Super 8
Film-Kritik von Michael Drewniok
Spielberg reloaded: Retro-Jugendträume
In Lillian, einer Kleinstadt im US-Staat Ohio, spannt Jung- und Hobby-Regisseur Charles Kaznyk seine vier besten Freunde für den Zombie-Film „Der Zwischenfall“ ein. Er hat sogar die taffe und hübsche Alice angesprochen, was den traurigen Joe aufmerken lässt. Seit seine Mutter bei einem Arbeitsunfall starb, ist er in seiner Trauer allein, denn sein Vater, der Hilfssheriff des Ortes, flüchtet sich in die Arbeit.
Aktuell stehen Dreharbeiten in einem kleinen Bahndepot an. Ein zufällig vorbeifahrender Zug soll in die Aufnahmen integriert werden. Zum Entsetzen der Freunde entgleist er vor ihren Augen. Kurz darauf schwärmen Soldaten über das Gelände aus: Der Zug transportierte streng geheime Fracht für die Air Force. Unter dem Kommando des fanatischen Colonel Nelec wird Lillian von der Außenwelt abgeriegelt, denn die ‚Fracht‘ ist lebendig, riesig, wütend und hält sich nach dem Unfall irgendwo in der Stadt verborgen.
Zufällig hat die Super-8-Kamera der Freunde das Zugunglück und die Flucht des monströsen Waggon-Insassen aufgezeichnet. Die Freunde kennen deshalb die Ursache der erschreckenden Vorfälle, die in der Stadt für Unruhe sorgen. Als Sheriff Pruitt spurlos verschwindet, übernimmt Deputy Lamb die Untersuchung, wird jedoch von Nelec ausgebremst. Als Alice von der seltsamen Kreatur entführt wird, schleichen Joe und seine Freunde in die Stadt, um sie zu retten. Ihnen im Nacken sitzt der wütende Nelec, und vor ihnen lauert eine noch größere Gefahr …
Mit oder ohne Monster: Das Leben ist hart
Die Jahre zwischen Kinderstube und Erwachsenendasein sind schwierig. Man ist nicht mehr niedlich, Fehler werden nicht länger gnädig übersehen, stattdessen Anforderungen gestellt: Der „Ernst des Lebens“ naht mit Riesenschritten, wobei die damit einhergehenden Pflichten die Vorteile stets zu übertreffen scheinen. Zu allem Überfluss verwandelt sich das jeweils andere Geschlecht in eine gleichermaßen lockende wie gefährliche Herausforderung, was für pubertär geschürte Gefühle und entsprechende Verwirrungen sorgt.
Aus Eltern werden Gegner, die ihrerseits fassungslos vor der Teufelsbrut stehen, die plötzlich im eigenen Heim erwacht. Gegenseitiges Verständnis wird vehement eingefordert, wobei die Definitionen abgrundtief auseinanderklaffen. Die sechs Freunde aus Lilian haben das zusätzliche Pech, nicht einmal in der eigenen Parallelwelt der Teenager wohlgelitten zu sein. Sie gelten als Außenseiter, sind nicht ‚cool‘ und drehen - letzter Nagel im Sarg ihres sozialen Ansehens - einen trashigen Gruselfilm. (Als hübscher Gag ist „Der Zwischenfall“ als Film im Film neben den Schlusstiteln zu sehen.)
Wie es zumindest im Spielfilm möglich ist, wächst uns das Sextett gerade deshalb eng ans Herz. Jede Figur wird ausführlich und sorgfältig vorgestellt und entwickelt, bevor das Monster ins Spiel kommt. Es wird es zu einem weiteren Problem im Leben unserer Hobbyfilmer und reiht sich als solches in die „Coming-of-Age“-Geschichte ein, die „Super 8“ eigentlich ist.
Die Kamera als emotionaler Blitzableiter
Die scheinbar realistische Darstellung der Jugend ist ein Kunststück, mit dem vor allem Stephen Spielberg in Verbindung gebracht wird. Ihm ist es gelungen, Kinder und Teenager weder zu verklären noch zu verteufeln, sondern als Menschen mit altersbedingten Problemen anzuerkennen und ernst zu nehmen. Dieser Aspekt wurde besonders gelungen in „E. T.“ (1982) thematisiert, floss oder fließt aber auch sonst in Spielbergs Filme ein.
Diese sensible Darstellung wurde von zahlreichen Drehbuchautoren und Regisseuren aufgegriffen, wobei es so etwas wie eine eigene Spielberg-Schule gibt. Absolventen sind u. a. Joe Dante, Rob Reiner - und J. J. Abrams. Letzterem gelang mit „Super 8“ so etwas wie die Quadratur des Kreises; ein Film, der quasi in Spielbergs Jugendjahren spielt und den Faktoren Jugend und Abenteuer die Nostalgie hinzufügt.
Charles Kaznyk mag zumindest ansatzweise das Spiegelbild des jungen Stephen Spielberg sein, der mit der dem Vater enteigneten 8-mm-Kamera eigene ‚Spielfilme‘ drehte, die er mit Geschwistern und Nachbarskindern besetzte. Zwar blieb der spätere Erfolgsregisseur von familiären Katastrophen oder Außerirdischen verschont. Dennoch wurde die Kamera zum Ventil für einen zwar seinem familiären und schulischen Umfeld verhafteten aber sich dort bereits unwohl fühlenden Jugendlichen, der Wünsche und Träume in Filmgeschichten projizierte.
Teenies und Monster
„Super 8“ ist dennoch ein „Coming-of-Age“-Drama des 21. Jahrhunderts. Der verständnisvolle Blick auf die Probleme der jugendlichen Protagonisten ist geblieben. Verschärft hat sich das Element der Bedrohung: Die Welt ist gefährlicher geworden. Dass Misshandlung, Ausgrenzung sowie der Tod auch ‚unschuldige‘ Kinder und Jugendliche nicht verschont, konnte Spielberg in den 1980er Jahren nur andeuten. Heute werden solche Missstände eindeutiger ins Blickfeld gerückt.
Abrams macht davon subtil, aber wirkungsvoll Gebrauch. US-typisch kräftiger dreht er dagegen an der Gewaltschraube. „Super 8“ mag eine Mischung aus „E. T.“ und „Die Goonies“ sein, doch der spielerische Unterton der beiden Klassiker ist einer drastischeren Darstellung gewichen. Der Außerirdische in „Super 8“ ist unschuldig auf der Erde gestrandet, doch anders als E. T. wurde er nicht nur gefangengesetzt und misshandelt, sondern nimmt dies Folgen übel: Dieser Fremdling zahlt es seinen Peinigern heim. Außerdem ernährt er sich von Menschenfleisch, was auch Unschuldigen das Leben kostet.
Allerdings ist es schwierig, ‚Unschuld‘ zu definieren. Die Welt der Erwachsenen wirkt unzugänglicher denn je. Jackson Lamb trauert um seine Gattin und vergisst darüber seinen Sohn. In höchster Not entscheidet er sich, den Bürgern von Lillian beizustehen und lässt Joe erst recht im Stich. Louis Dainard ist ein Säufer, der seine Tochter wie eine Gefangene hält. Colonel Nelec verteidigt nicht sein Land, sondern folgt ohne Rücksicht auf Gesetz und Moral eigenen Absichten. Lehrer Woodward jagt seine Schüler mit einer Waffe in die Flucht.
Spektakel mit doppeltem Boden
Auch sonst spickt Abrams, der nicht nur Regie führte, sondern auch das Drehbuch schrieb, die Handlung mit Subtext (und übertreibt es vor allem im versöhnlich-süßlichen Finale). Letztlich ist „Super 8“ ein unterhaltsames Spektakel, eine Mischung aus Science Fiction und Horror, eingebettet in eine Vergangenheit, die durch ulkige Kleidung, krude Frisuren, seltsame Musik u. a. Faktoren den jüngeren Zuschauern ein Grinsen und den älteren Augenblicke nostalgischen Erinnerns bescheren.
Das Spektakuläre spiegelt sich eindrucksvoll in jenem Unglück wider, das dem Außerirdischen die Flucht ermöglicht. Lokomotive und Wagen springen nicht einfach aus den Schienen. Die Waggons werden klafterhoch in und durch die Luft gewirbelt; ihr Inhalt explodiert, Metallfetzen fliegen umher. Ein flammendes Inferno bricht aus, in dessen Zentrum die sechs Hauptfiguren geschockt um ihr Leben rennen.
Obwohl es sie erwischen müsste, bleiben sie natürlich unverletzt und werden nur von einigen Schmutzspritzern getroffen. Später überfällt der Außerirdische einen Bus, in dem die inzwischen von Nelec gefangenen Freunde in ein Lager gebracht werden sollen. Während die Kreatur sich systematisch durch die militärische Begleitmannschaft metzelt, ignoriert sie die Teenies, die in aller Ruhe flüchten können.
Aus dem Vollen geschöpft
„Super 8“ war mit einem Budget von ca. 50 Mio. Dollar beinahe eine Billig-Produktion. Deshalb erstaunen die oft großartigen Effekte. Freilich beherrscht Abrams die Kunst der Andeutung, die vor allem in der ersten Filmhälfte auch dramaturgisch begründet ist. Außerdem spielen trickreiche Szenen oft in der Dunkelheit.
Dem „Making of“ ist zu entnehmen, dass viele Großkulissen gar nicht real waren, sondern kostensparend, aber mustergültig aus dem Effektrechner kamen. Der weiter oben erwähnte Zug ist beispielsweise eine Schöpfung der Firma „Industrial Light & Magic“, die ihren Namen wahrlich zu Recht trägt. Die Verschmelzung von ‚Realität‘ und Trick gelingt erstaunlich perfekt, obwohl u. a. ganze Hügelketten digital eliminiert werden mussten, um die in Kalifornien gedrehte Geschichte im bodenebenen Ohio spielen zu lassen. Wenn die Kreatur aus dem All schließlich frontal ins Licht tritt, ist sie nur aufgrund ihrer bizarren Gestalt als künstliche Schöpfung zu erkennen. Die Bewegungen und vor allem die Mimik sind so ausgezeichnet animiert, dass dieses Wesen zur Persönlichkeit wird.
Da Abrams für „Super 8“ keine Starschauspieler besetzte, können wir uns besser auf die Figuren konzentrieren. Man muss Abrams bewundern bzw. zu seinem Geschick gratulieren: Er hat die schwierige Aufgabe, jugendliche Darsteller zu casten, die keine stereotypen Hollywood-Nervensägen sind, mit Bravour gemeistert. Sämtliche Darsteller überzeugen, obwohl sie zum Teil kaum oder gar keine Erfahrungen hatten und ihre Rollen trotz einiger Brechungen den üblichen Klischees - schmächtiger Held, dicker Witzbold, Nerd (mit Zahnspange) usw. - entsprechen. Eine besondere Erwähnung verdient Elle Fanning, die ihre Mit-Darsteller weit in den Schatten stellt. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade 12 Jahre alt, hat sie ihre Rolle mit allen emotionalen Zwischentönen vollendet im Griff.
„Super 8“ ist gewiss kein Meisterwerk. Als Unterhaltung mit Spannung, Witz und sogar Herz bewegt sich Abrams dennoch auf überdurchschnittlichem Niveau. Dies wurde von Kritiker und Zuschauern gleichermaßen gewürdigt; allein an den Kinokassen spielte „Super 8“ das Fünffache seiner Produktionskosten ein - und es dauerte nur fünf Jahre, bis Netflix die Mini-Serie „Stranger Things“ präsentierte, die in toto aufgreift, was „Super 8“ vorgegeben hatte, es weiterentwickelt - und wiederum selbst für ‚Ableger‘ sorgt.
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Super 8
- Originaltitel: Super 8 (USA 2011)
Regie/Drehbuch: J. J. Abrams
Kamera: Larry Fong
Schnitt: Maryann Brandon u. Mary Jo Markey
Musik: Michael Giacchino
Darsteller: Joel Courtney (Joe Lamb), Elle Fanning (Alice Dainard), Riley Griffiths (Charles Kaznyk), Ryan Lee (Cary), Zach Mills (Preston), Gabriel Basso (Martin), Kyle Chandler (Deputy Jackson Lamb), Ron Eldard (Louis Dainard), Glynn Turman (Dr. Thomas Woodward), Noah Emmerich (Colonel Nelec), Sheriff Pruitt (Brett Rice), Beau Knapp (Breen) uva.
Label/Vertrieb: Paramount Home Entertainment Germany
Erscheinungsdatum: 05.01.2012 (DVD)/05.07.2012 (Blu-ray)/02.09.2021 (4K UHD - Steelbook Blu-ray)
Bildformat: 16 : 9 (2,40 : 1; Blu-ray: 1080p, UHD: 2160p)
Audio (UHD u. Blu-ray): Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch), Dolby True HD 7.1 (Englisch)
Untertitel: Deutsch, Englisch
Länge: 107 min. (Blu-ray u. UHD: 112 min.)
FSK: 12
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