Godzilla Minus One

Film-Besprechung von Michael Drewniok

Im Sommer des Jahres 1945 liegt Japans Krieg gegen die USA in den letzten Zügen. Insel für Insel hat „der Feind“ erobert und setzt zum Sturm auf die Hauptinseln an. In ihrer Verzweiflung haben fanatische Militärs junge Männer dazu aufgerufen, sich in Flugzeugen auf die Schiffe der Amerikaner zu stürzen.

Auch Kōichi Shikishima meldet sich für einen Kamikaze-Einsatz, besinnt sich jedoch eines Besseren, als er zu seinem letzten Flug aufgestiegen ist. Statt sich zu opfern, landet er aufgrund eines angeblichen Maschinenschadens auf der abgelegenen Insel Odo. Während er mit seiner ‚Feigheit‘ hadert, steigt ein gewaltiges, dinosaurierähnliches Ungeheuer aus dem Meer. Es löscht die kleine japanische Inseltruppe aus, nur Kōichi überlebt abermals.

Später wieder ‚daheim‘ in Tokio steht er in einer völlig zerstörten Stadt. Seine Eltern sind tot. Als Kamikaze-Pilot wirft man ihm Feigheit vor. Verzweifelt sucht Kōichi nach einem Grund für sein Weiterleben in einem kriegsverheerten Japan, dessen Bevölkerung sich in einer durch Niederlage und Massensterben gezeichneten Welt nicht in der „Stunde Null“ vor einem Neuanfang wähnt, sondern hoffnungslos im Status „Minus One“ verharrt.

Von Schuld zerrissen, nimmt Kōichi die junge Noriko auf, die ihrerseits ein Baby aus den Ruinen retten konnte. Das Trio wird zur Zweckgemeinschaft. Um sich und seiner ‚Familie‘ ein Auskommen zu schaffen, heuert Kōichi auf einem der Boote an, die in der Bucht vor Tokio die unzähligen dort im Krieg postierten Seeminen entschärfen.

1946 finden diverse Atombombentests im Pazifischen Ozean statt. Die Strahlung lässt das Monster von der Odo-Insel gewaltig wachsen. Es ist nun praktisch unverwundbar und kann sich mit radioaktiver Strahlung zur Wehr setzen. „Godzilla“, wie die Kreatur genannt wird, steigt vor Tokio aus dem Meer und legt die Stadt in Schutt und Asche. Zwar verschwindet die Kreatur anschließend, aber sie wird wiederkommen.

Die japanische Regierung ist ratlos, die US-amerikanischen Besatzer werden nicht eingreifen. Die Menschen von Tokio müssen sich selbst helfen. Eine verzweifelte Abwehraktion wird improvisiert; ein Himmelfahrtskommando, zu dem sich auch Kōichi meldet, der auf diese Weise endlich sühnen will, dass er im Krieg ‚versagt‘ hat. Vor der Küste stellt sich eine erbärmlich ausgerüstete, aber entschlossene Gruppe Godzilla entgegen …

Oppenzilla - das Erbe der Atombomben-Ära

1945 wurden über Japan zwei Atombomben abgeworfen. Sie zerstörten zwei Städte, brachten Zehntausenden einen grässlichen Tod und verursachten ein nationales Trauma, das sich in vielerlei Gestalten, Medien und Künsten manifestierte. Auch im Film nahm der Schrecken des Atoms und seine jederzeit mögliche Rückkehr Gestalt an. 1954 entstand „Gojira“, in dem ein Monster über Japan herfällt. Die Bilder der Zerstörung glichen auffällig den Bilddokumenten aus Hiroshima, Nagasaki und Tokio.

„Gojira“ war ein düsterer Film, der die japanische Erschütterung auf den Punkt brachte, aber auch ein enormer Erfolg in den Kinos. Dies führte dazu, dass Godzilla rasch und dann immer wieder dorthin zurückkehrte. Rasch verlor sich der depressive Unterton. In den Vordergrund rückte das Spektakel. Immer wieder sprangen Godzilla und dann weitere Großmonster aus dem Ozean, fielen aus der Luft oder sogar aus dem Weltraum, um in erster Linie Tokio im Rahmen epischer Auseinandersetzungen zu verwüsten.

Die Handlungen dieser Filme wurden immer alberner, und Godzilla mutierte zum ‚guten‘ Monster, Retter der Menschheit und trotteligen Freund der Kinder. Dank der simplen Machart hielt sich der Horror in Grenzen. Durch mit viel Liebe zum Detail im Atelier aufgebaute Miniaturstädte tobten Stuntmänner in sperrigen Monster-Kostümen (mit manchmal sichtbaren Reißverschlüssen). Sie schlugen die Modelle systematisch in Stücke, was in Zeitlupe aufgenommen recht ‚realistisch‘ wirkte. Diese Sequenzen wurden die eigentlichen Attraktionen der in Serie produzierten „Godzilla“-Filme, während die Basishandlung unwichtig war.

Liebe & Hass: Godzilla will, kann und darf nicht sterben!

Godzilla überstand die Infantilisierung. Mehrfach wurde das Monster für das Kino wiederbelebt, dabei modernisiert und seit den 1980er Jahren wieder bösartiger. Der Trickfilm (bzw. „Anime“, denn Godzilla ist Japaner) erleichterte die kostengünstige Herstellung einschlägiger Zerstörungsorgien. „Godzilla Minus One“ ist der 33. Film und wurde wie üblich in den „Toho“-Studios gedreht. (Hinzu kommen bisher - Stand 2024 - fünf „Godzilla“-Filme, die in den USA entstanden, wo sich unser Kaijū-Monster ebenfalls großer Beliebtheit erfreut.)

„Zurück zu den Wurzeln“ heißt es im Film oft, wenn eine Idee ausgelaugt ist bzw. auf die Spitze und darüber hinaus getrieben wurde und ihr Ende erreicht hat. Ein „Prequel“ kann die ‚Lösung‘ sein, aber auch eine „Reboot“-Neufassung. „Godzilla Minus One“ mag beides sein; die Fortsetzungen werden zeigen, ob die Vorgängerfilme ignoriert oder (zum Teil) in den Plot integriert werden. Da sich die Fans moderner Film- (und Comic- oder Game-) Reihen selbst von Neustarts im Salventakt nicht abschrecken lassen, ist diese Frage womöglich überflüssig.

„Godzilla Minus One“ kehrt in die Vergangenheit zurück; dies gleich zweifach, denn einerseits spielt die Handlung in den ‚realen‘ Jahren 1945 bis 1947, während andererseits Godzilla ‚erstmals‘ auftaucht. Allerdings findet diese Wiedergeburt nicht ohne Bezug auf die Vorgeschichte statt. Regisseur und Drehbuchautor Takashi Yamazaki erweist dem ‚historischen‘ Godzilla und hier vor allem der Nummer 1 von 1954 gern und oft seine Reverenz. Dies spiegelt sich in der Story selbst, aber auch in einzelnen Szenen wider: So wurde Godzillas Biss in den Waggon einer Hochbahn 1954 zu einer Ikone. Darüber hinaus ertönt der klassische „Godzilla-Marsch“, und auch der Schrei des Ungetüms kommt dem Filmfreund bekannt vor.

Fortschritt und Rückbesinnung

Der Fortschritt der Filmtechnik sorgt für ein neues Leistungsniveau. Heute torkelt kein Gummibauch-Ungetüm mehr unbeholfen über die Leinwand. Zwar kommen weiterhin ‚analoge‘ Modelltricks zum Einsatz, doch das digitale Zeitalter hat auch die Toho-Studios erreicht. Godzilla ist weiterhin eine plumpe, hüftgoldstarke und borkenhäutige Gestalt, doch die Inszenierung sorgt dafür, dass dieses Mal niemand über ihn lacht.

Sein Erscheinen wird sorgfältig inszeniert. Godzilla taucht zwar in dem 1945 spielenden Prolog kurz auf, verschwindet dann aber für mehr als eine halbe Stunde aus dem Geschehen. Auch später bleiben seine Attacken sparsam in einem immerhin zweistündigen Film. Wer den Prolog überspringt, könnte sich in einem Drama wähnen, das im Japan der unmittelbaren Nachkriegszeit spielt. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Was in einem „Monsterfilm“ oft üble Methode hat und dem Zweck dient, möglichst viele Minuten kostengünstig = ohne teure Spezialeffekte zu füllen, ist hier handlungsrelevant. In einem japanischen Film erstaunen dabei die zahlreichen und (aus westlicher Sicht) überdeutlichen Appelle an das Leben, das im Pazifikkrieg dem Staat und dem Militär ‚gehörte‘ und zu opfern war, wenn es ‚von oben‘ angeordnet wurde. Auf diese Weise begingen ‚programmierte‘ Soldaten, aber auch Wissenschaftler oder Verwaltungsbeamte grauenhafte Kriegsverbrechen bzw. leisteten einem überlegenen Feind erbittert, aber sinnlos Widerstand bis in den massenhaften Tod.

Was nach dem Krieg noch lange als ‚Mut‘ gefeiert wurde, stellt Yamazaki offen in Frage. Kōichi Shikishima ringt stellvertretend für den ‚normalen‘ japanischen Bürger mit den Konsequenzen dieser Ideologie. Dies ist ebenso wichtig wie der Kampf gegen Godzilla, der erst im letzten Drittel buchstäblich Fahrt aufnimmt. Wenn sich schlecht ausgerüstete Männer dann in die Schlacht stürzen, steht nicht mehr der „ehrenwerte Tod“ auf dem Programm, sondern hoffentlich der Sieg und das Überleben. (Ganz ohne Pathos kommt allerdings auch Yamazaki nicht aus.)

Die Drohung über dir

Godzilla ist kein simples Monster. Radioaktive Strahlung mag einen banalen Ex-Dinosaurier getroffen haben. Entstanden ist jedoch ein Gott - oder ein Dämon. Schon Godzillas Unsterblichkeit weist auf seinen Status hin. Auch sonst setzt Yamazaki auf eindeutige Zeichen. Mehrfach verschwindet Godzilla im Rauch explodierender Bomben, Granaten und Minen. Die Kamera verharrt auf dieser Wolke, dann taucht Godzilla langsam (und meist im Low-Angel-Shot aufgenommen) wieder auf: Er steht riesig, übermächtig, angst- und ehrfurchteinflößend über den ohnmächtigen Menschen.

Eindrucksvoll ist auch jene Szene, in dem Godzilla in den Trümmern von Tokio zu einem von ihm verursachten Atompilz hinaufbrüllt: Hier bekommt die Katastrophe ein ‚Gesicht‘. (Die erschreckenden Bilder der verheerten Stadt basieren übrigens auf authentischen Fotos aus Hiroshima, Nagasaki und Tokio; sie wurden digital bearbeitet.)

Der limitierte Auftritt des Ungeheuers intensiviert seine Eindringlichkeit - und schont das Budget. „Godzilla Minus One“ hat (umgerechnet) etwa 10 Mio. US-Dollar gekostet. Von dieser Summe könnte man in Hollywood nicht einmal das Catering für die Filmcrew bezahlen. Dagegen sorgt Yamazaki für Bilder, die im Gedächtnis haften. Vor und hinter der Kamera wurden Schaueffekte aus jeder Münze gepresst. Nur was (finanziell) möglich war, wurde planvoll umgesetzt. Das Ergebnis überzeugt in beinahe jeder Szene. Nicht grundlos wurde dies ausgerechnet in/von Hollywood 2024 mit einem „Oscar“ für „beste visuelle Effekte“ honoriert.

Lernen zu leben

Die Godzilla-Filme der 1960er und 70er Jahre sind nicht nur wegen des Teddybär-Monsters trashig. Da die Schauspieler wussten, dass sie (s. o.) nur die Zeit zwischen den ungeheuerlichen Raufereien füllten, hielten sie sich handwerklich zurück und waren primär anwesend. In „Godzilla Minus One“ hält nur Sae Nagatani, die kleine Akiko, diese Tradition aufrecht - dies sicherlich nur unfreiwillig, denn es ist eher davon auszugehen, dass Yamazaki die schlechteste Kinderdarstellerin der Gegenwart beschäftigte: Entweder blickt Sae unübersehbar in Richtung Kamera, oder sie steht völlig teilnahmslos herum, während um sie herum die Dramatik tobt.

Die übrigen Schauspieler verkörpern echte Rollen, so eindimensional sie manchmal (man denke an das proletarische Gold vom Minenräumboot) wirken. Ryūnosuke Kamiki überzeugt als an sich (ver-) zweifelnder Kōichi. Wenn er in diesem Punkt dick aufträgt, muss man bedenken, dass solche Szenen in Japan anders ‚gesehen‘ und gewertet werden. Dies verzeiht auch manche ‚komische‘ oder ‚dramatische‘ Szene, die so ausgewalzt wird, bis die Stimmung ins Gegenteil umschlägt: So ist es üblich im asiatischen Film - und es hätte wesentlich schlimmer kommen können!

Ungeachtet solcher Hürden kann „Godzilla Minus One“ die US-amerikanischen Kaijū-Filme hinter sich lassen. Diese sind zu megateuren Digital-Schlachten verkommen, in denen die Darsteller laut schreien müssen, um in dem Getöse bemerkt zu werden. Emotionen werden in diesen Reißbrett-Blockbustern diktiert, nicht geweckt. Dessen ungeachtet wird Godzilla sowohl in Hollywood als auch in den Toho-Studios weiterleben.

 

Fazit

Godzilla wird nicht nur zum Zerstörer, sondern auch zum Symbol, an dem sich eine niedergeschlagene Nation aufrichtet und neuen Lebensmut schöpft. Die Handlung stellt lange das menschliche Drama in den Mittelpunkt, bis es letztlich doch zur Entscheidungsschlacht kommt: ein quasi ‚erwachsener‘ Godzilla-Film, der trotz inhaltlicher Längen überzeugt und bemerkenswerte Effekte bietet.

Wertung: 8

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