Die Geächteten

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2013
  • 1
Die Geächteten
Die Geächteten
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Melanie Reichert
71°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2014

Gelb für Raub. Blau für Pädophilie. Rot für Mord. Welches Verbrechen hast du begangen?

Hannah Payne wächst als Tochter streng gläubiger Eltern auf. Ihr behütetes Umfeld drängt sie mehr und mehr dazu, sich entgegen ihrer Erziehung zu verhalten und so dauert es nicht lange, bis sie einen Fehler begeht. Einen Fehler, der nicht nur einen verheirateten Priester in Gefahr bringt, sondern auch mit dem Mord endet.

Das Amerika der nahen Zukunft, in dem Hannah lebt, geht mit Verbrechern allerdings anders um: Anstatt einer Gefängnisstrafe zu erhalten, wird sie verchromt. Fortan wird sie durch ihre rote Haut als Vogelfreie eingestuft. Sie hat keinerlei Rechte mehr und jeder darf auf der Straße mit ihr tun, was immer ihm beliebt: Prügel, Folter, Vergewaltigung, selbst der Mord an ihnen, ist nicht verboten. Für Hannah beginnt der Kampf ums Überleben ...

Rein optisch macht die Lektüre schon einiges her. Das rote Cover mit den stechend blauen Augen erinnert zunächst eher an eine Horrorgeschichte a la Carrie, aber schon nach wenigen Seiten wird klar, dass wir uns in einer Zukunft wiederfinden, die für die Bewohner alles andere als rosig ist: Die Verchromung – also die Veränderung der Hautfarbe je nach Verbrechensart – hat Einzug gehalten.

Der Schreibstil der Autorin holt einen bereits nach wenigen Seiten ab und begleitet zuverlässig durch die Geschichte hindurch. Dabei haben wir es eher mit einer gehobenen, aber dennoch verständlichen Sprache zu tun. Die Fremdwörter bzw. Wortschöpfung der fiktionalen Zukunft werden erklärt, ohne in seitenlange Ausführungen abzuschweifen. So bekommt man als Leser relativ schnell einen ersten Eindruck des dystopischen Amerikas. Das Buch ist in vier große Abschnitte aufgeteilt, die mit ihrer jeweiligen Überschrift die (psychischen) Stationen der Protagonistin wiederspiegeln.

Hannah gibt eine perfekte Antiheldin ab. Zu Beginn der Geschichte finden wir sie direkt in ihrem schlimmsten Moment wieder: nach der Verurteilung zur Mörderin. Sie muss sich in einer Welt beweisen, die eigentlich keinen Platz mehr für sie bereithält und darf sich dabei nicht selbst verlieren. Hannah schöpft aus jeder noch so prekären Lage neuen Mut und möchte doch nur eins: leben. Ihr Wille ist dabei so groß, dass sie immer wieder als Siegerin aus den Auseinandersetzungen hervorgeht. Sie macht dem Leser Hoffnung und erweckt doch gleichzeitig ein Verbunden in ihm, weil man ihre Beweggründe absolut nachvollziehen kann. Hannah besticht deswegen, weil sie "echt" und menschennah ist.

Der Autorin ist es besonders gelungen, die Nebencharaktere herauszuheben. Von den Guten bis hin zu den Gegenspielern wurden alle mit einem Detailreichtum versehen, der Spaß macht. Gerade die "Bösen" rufen beim Lesen echte Abscheu hervor. Man fühlt mit den Charakteren mit und möchte wissen, was sie weiter erleben, wie sie ihren Alltag meistern – man möchte einfach mehr von ihnen erfahren.

Die Spannung hat ebenfalls einen Pluspunkt verdient. Gerade der Anfang bietet einen tollen Einstieg, weil man zwar mitten in die Geschichte hineingeworfen wird, aber durch gekonnte Rückblenden erfährt, wie Hannah in die Situation gekommen ist, in der sie nun feststeckt. Immer wieder passieren unvorhergesehene Ereignisse, die die Protagonistin wieder in Gefahr bringen und so zusätzlich die Spannung anschüren. Durch die Sympathie zu Hannah hängt man ihr als Leser direkt an den Fersen und möchte natürlich wissen, wie und ob sie jemals wieder in Frieden leben kann.

Der einzige Kritikpunkt geht an den "Fantasy"-Anteil. Eigentlich möchte ich das Buch nicht in diesem Genre einordnen. Ja, wir haben es hier mit einer Dystopie zu tun, die ein mögliches Zukunftsszenario darstellt. Ja, vielleicht kann man auch bis zu einem gewissen Teil von Sci-Fi sprechen, denn immerhin hat die Hautverchromung doch etwas ziemlich "Abgespactes" (wo bitte laufen schon rote, grüne, blaue oder gelbe Menschen auf der Straße herum?). Aber von Fantasy kann man beim besten Willen nicht sprechen. Die Idee mit der Verchromung fand ich aber ganz ansprechend und die Autorin konnte mich überzeugen, dass ich in einer solchen Welt lieber nicht leben möchte.

Eins sollte noch gesagt sein: Man sollte keine Abneigung gegen Religion im weitesten Sinne haben, denn wir bekommen es im Laufe der Story immer wieder mit Glaubensfragen bzw. –auseinandersetzungen zu tun. Das fängt damit an, dass Hannah von sehr gläubigen Eltern aufgezogen wurde und setzt sich dann über ihre Affäre bis hin zu ihrer Buße fort. Selbst auf den letzten Seiten spielt die Religion noch eine große Rolle. Wer also nicht über Gott sinnieren möchte, sollte lieber die Finger von der Geschichte lassen. An manchen Stellen ist die Religionsdiskussion wirklich etwas zäh.

Das Buch konnte mich im Großen und Ganzen überzeugen und für ein paar Stunden unterhalten. Für alle Liebhaber von Verfolgungsjagden eine spannende Geschichte. Allerdings sollte man sich auf etwas abgehobenere Zukunftsvisionen einstellen können und auch dem Thema Religion einiges abkönnen – sonst hat man vielleicht nicht so viel Spaß.

Die Geächteten

Hillary Jordan, Bastei-Lübbe

Die Geächteten

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