Das Geschenk der Wölfe
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2013
- 2
Vampirromane waren gestern!
Reuben Golding, - 23 Jahre jung, dunkle Locken und bestechend blaue Augen - Reporter beim San Francisco Observer, soll einen Artikel über das berühmte Nideck-Anwesen an der nordkalifornischen Küste schreiben, denn die Erbin möchte es zum Verkauf anbieten nachdem ihr verschollener Onkel Felix Nideck endlich für Tod erklärt wurde. Nicht nur das Haupthaus samt Redwoodwald fasziniert Reuben sogleich, auch die interessante Merchant Nideck trägt dazu bei, dass in ihm immer mehr der Wunsch laut wird, selbst das Haus zu kaufen und damit einen Zweck für sein Treuhandvermögen gefunden zu haben.
Nach einem wundervollen Abend mit fantastischen Geschichten über Felix, den Weltenbummler und Erforscher längst vergangener Kulturen, und einer noch leidenschaftlicheren Nacht mit der Hausbesitzerin, zerplatzt Reubens Traum jäh: Zwei Fremde dringen in das Gebäude ein und töten Merchant, wollen auch ihn umbringen. Doch in der Finsternis kann Reuben ein animalisches Geheul und Knurren ausmachen, hört Knochen brechen und Fleisch reißen und wird im Eifer des Kampfes selbst schwer gebissen.
Als er im Krankenhaus wieder zu sich kommt, stehen die Ärzte - allen voran seine eigene Mutter Grace, eine berühmte Chirurgin - vor einem Rätsel, heilen seine Wunden doch rasant und Blutuntersuchungen zeugen von Wachstumshormonen, die da nicht sein dürften. Auch Reuben dämmert, dass irgendetwas mit seinem Körper vor sich geht, seine Sinne schärft, seinen Drang nach Natur und Wildnis prägt. Binnen kürzester Zeit findet er sich vor dem Spiegel seines Badezimmers wieder und versucht mit dem iPhone die Verwandlung zu einem Wolfmenschen festzuhalten, die fortan jede Nacht geschieht. Getrieben von den Stimmen unschuldiger Opfer begibt er sich in Wolfgestalt auf die nächtliche Jagd nach Mördern, Vergewaltigern und Psychopathen. Ganz klar, dass dies nicht ohne Medienrummel verläuft und die Bevölkerung spaltet. Seine eigene Herausgeberin bittet ihn in seiner gewohnt brillanten Art das Phänomen der "Bestie" nieder zu schreiben, nicht wissend, dass er der Gesuchte ist.
Der Klappentext ist hier etwas irreführend, soll er doch wohl nur daran erinnern, dass Anne Rice die Chronistin der Vampire schlechthin ist, denn nirgends wird ein Interview mit einem der Protagonisten geführt. Keine Frage, ihre Chronik der Vampire um Lestat de Lioncourt und Louis Pointe de Lac ist ein großes, sinnliches Gesamtwerk. Ob eine Reihe um die "Morphenkinder" um Reuben Golding und Felix Nideck ähnlich berühmt werden wird, bleibt abzuwarten. Zu schnell erkennt man ein ähnliches Schema wieder: Ein schöner Jüngling auf der Suche nach seinem Platz im Leben wird in eine unsterbliche Kreatur verwandelt, eine junge Liebe, die auf den ersten Blick zum Scheitern verurteilt ist, "böse" und gute Gestalten der neuen Gattung, die seinen Weg kreuzen. Vampire und Morphenkinder, wie sich der Zirkel um Felix Nideck selbst nennt, sind beide Geschöpfe der Nacht, nur dass diesmal nicht das Blut Unschuldiger gesaugt wird, sondern böse Verbrecher brutal in Stücke gerissen werden.
Und doch: Anne Rice ist und bleibt die Grande Dame der großen Fantastik-Chroniken, die an historische Familiensagen erinnern und mit viel Gefühl das Menschliche in tötenden Bestien greifbar machen. Der über 600 Seiten starke erste Teil der als Trilogie angelegten Reihe endet somit auch eher ruhig, denn mit einem großen Finale oder spannungstreibendem Cliffhanger. Einmal von der Story und den Figuren gepackt, stört es allerdings nicht, denn man möchte sogleich zum nächsten Band der Reihe greifen und wissen, wie es weitergeht. Bleibt zu hoffen, dass die Übersetzung nicht mehr lange auf sich warten lässt!
Silke Wronkowski im August 2013
Anne Rice, Rowohlt
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