Eine fesselnde wie verstörende Vision vom Überleben der Menschen
Vorstellungen vom Untergang der Menschheit spuken nicht nur seit der Erfindung der Science Fiction, auch die beiden vergangenen Weltkriege haben Schreckensvisionen ungeahnten Ausmaßes heraufbeschworen, manche mit einem beängstigenden Wahrheitsgehalt. Hugh Howey malt mit "Silo" eine Wirklichkeit, die so unmöglich nicht zu sein scheint. Unter der Erde eingekerkert durch die giftige Umwelt, fristen die letzten Menschen in einem eigens dafür gebauten Silo ihr Dasein. Bis eines Tages der Zeitpunkt gekommen sein mag, erneut in das Licht der Sonne zu treten. Dieser ist allerdings in derart weite Ferne gerückt, dass er für die Bewohner im Silo nicht einmal relevant ist. Die Gesellschaft hat sich in Stockwerke aufgeteilt, widmet sich ihren jeweiligen Aufgaben, die das fortdauernde Überleben mehr schlecht als recht sichern sollen, und ahnt dabei nicht, dass alle in einem großen Gebäude aus Lügen, Intrigen und Manipulation leben.
Ein geheimer Plan, den keiner kennt
Nachdem Sheriff Holston freiwillig zur »Reinigung« antrat, um seiner vor drei Jahren verstorbenen Frau auf dem gleichen Weg nach draußen zu folgen, wird Juliette Nichols, eine fähige Mechanikerin aus den unteren Stockwerken, zum neuen Sheriff des Silos ernannt. Wirklich glücklich ist sie mit dem Posten nicht, hat sie sich doch bereits auf dem Weg nach oben (und auch früher) mit dem Leiter der IT-Stockwerke, Bernard Holland, angelegt. Als erste Amtshandlung versucht sie die Beweggründe für Holstons Freitod nachzuvollziehen und entdeckt einen Computer-Code, der auf eine unbekannte Funktion hinweist. Läuft im Silo ein abgekartetes Spiel?
Unglücklicherweise übernimmt Holland nach dem Tod von Mayor Jahns die Führung im Silo. Er lässt Juliette schon nach kurzer Zeit unter einem Vorwand verhaften und schickt sie zur Strafe ebenfalls zur »Reinigung«. Das Todesurteil für die junge Frau. Doch gute Freunde in der Versorgungsabteilung kümmern sich darum, dass der Schutzanzug wenigstens dieses eine Mal der toxischen Umwelt etwas länger trotzt. Und Juliette kommt der Wahrheit über das Silo näher, als jeder andere.
Düster, beklemmend und trotzdem hoffnungsvoll
Das Genre Dystopie ist natürlich keine neue Erfindung. Der Trend, der seine Erfolgsspur in den Jugendbuchregalen Deutschlands erst in 2011 aufnahm und anscheinend bereits wieder abflacht, ist in den USA eigentlich längst passé. So heißt es bei den amerikanischen Verlagen, obwohl Teil 2 des großen Dystopien-Blockbuster »Die Tribute von Panem« für Ende 2013 in den Kinos angekündigt ist. Dass Dystopien dennoch ein Thema sind, zeigt das aktuelle Beispiel von Hugh Howeys »Silo«.
Konzipiert als eBook-Reihe bzw. erst einmal als Novelle, tritt man als Leser zunächst in die Gefühlswelt von Sheriff Holston ein. Der pflichtmüde Mann, der drei Jahr zuvor seine Frau an eine vermeintlich fixe Idee verloren hat, folgt seiner Frau in einer nicht näher definierten Zukunft der Menschheit nach draußen. In den Tod. Dadurch hofft er, die Beweggründe seiner großen Liebe endlich verstehen zu können und ist dafür sogar mehr als bereit, sein eigenes Leben hinzugeben. In Kontext des Romans wirkt der Anfang zuweilen wie eine großzügig angelegte Rückblende, die zugleich die Welt des Silos vorstellt. Die Ursache liegt hier fraglos in der Art und Weise, wie der Roman verfasst wurde. Nämlich als eBook-Novelle, die nach dem zunehmenden Erfolg schließlich in fünf Teilen abgeschlossen wurde.
Ein Nachteil für »Silo« ist dies hingegen nicht. Der eher gemächliche Einstieg gibt dem Leser ausreichend Zeit, sich in die durchaus ungewohnte Welt der unterirdischen Siedlung und in die Struktur der Gesellschaft einzufühlen. Wenn man es denn weniger schnell mag. Natürlich lassen sich gewisse Ähnlichkeiten zu anderen Dystopien wie zum Beispiel »Metro 2033« nicht gänzlich leugnen. Ohne Frage liegt das einfach an der Natur des Genres, das zumeist auf zerstörter Umwelt und verkorksten Gesellschaftsstrukturen basiert. Dystopien eben. Auffällig ist unbedingt, dass der Roman ohne fortschrittliche oder übermächtige Technik auskommt, sondern auf einem leicht angeschlagenen Niveau von "heute" aufbaut.
Ist der Einstieg geschafft, gewinnen die vermeintlich blassen Charaktere schnell an Farbe und besonderer Tiefe. Die komplexe und ausgezeichnet durchdachte Form der Silo-Struktur setzt sich immer mehr zusammen und bildet ein einheitliches Ganzes. Als versierter Leser meint man ab und zu einige Reaktionen der im Silo lebenden Menschen hinterfragen zu müssen, jedoch wirken sie nie völlig unglaubwürdig.
Juliette bewegt sich in dieser Welt als zielstrebiger Sonderling und später Ausgestoßene und hat es zumeist nicht sonderlich leicht. Um vieles schwerer wird es für sie, als sie das Geheimnis des Silos mit eigenen Augen entdecken muss. Allerdings geschieht dies in letzter Konsequenz erst, als sie längst aus ihrer Heimat verbannt ist. Und man Juliette als Streiterin für die Wahrheit absolut ins Herz geschlossen hat. Ein geschickter Schachzug des Autors. Zu diesem Zeitpunkt haben sich jedoch bereits weitere Mitstreiter nach vorne gearbeitet und bringen das überaus spannende Finale mit Blut und Schweiß zu einem gelungenen Ende.
Eine düstere, mitreißende Dystopie mit einem guten Mix aus bekannten und überraschenden Elementen, die die Idee einer untergegangenen Welt von einer neuen Seite aus beleuchtet. Ein starkes Setting und einnehmende Charaktere runden den außerordentlich positiven Eindruck ab.
(Carsten Steenbergen, März 2013)
Hugh Howey, Piper
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