Der Streik

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  • Erschienen: Januar 1959
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Der Streik
Der Streik
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Almut Oetjen
84°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2013

Ayns Welt

Dagny Taggart ist Vizepräsidentin von Taggart Transcontinental, einem großen Eisenbahnunternehmen, gegründet von ihrem Großvater. Dagnys Bruder James ist Präsident des Unternehmens, das sich in einer Krise befindet. Er hat aber kaum eine Wahrnehmung für die Probleme, will keine Verantwortung übernehmen, trifft Fehlentscheidungen wie die, Stahl von dem unzuverlässigen Anbieter Orren Boyles zu kaufen.

Als Hank Rearden (Rearden Steel) ein revolutionäres Metall entwickelt und Dagny es einsetzt, reagieren Hanks Konkurrenten neidisch. Manche von ihnen setzen Gerüchte in die Welt, das Metall sei minderwertig, und sie nehmen Einfluss auf die Politik, die steuernd eingreifen soll. Dagny soll wieder konventionellen Stahl einsetzen, weigert sich aber. Hank wird von Wesley Mouch, der erst für ihn arbeitete und nun als Lobbyist in Washington aktiv ist, hintergangen. Eine Melange aus Interessenvertretern und Regierungspolitikern sorgt für zunehmenden Regulierungsdruck. Die Wirtschaftslage verschlechtert sich, die Politik reagiert mit weiteren Eingriffen. Dagny beobachtet, dass immer mehr Entwickler, Wissenschaftler, Künstler und Unternehmer spurlos verschwinden. Die Regierung erlässt eine Direktive, die die Menschen daran hindern soll, ihre Arbeit aufzugeben. Es wird kaum noch produziert, eine Hungersnot und Bürgerkriege brechen aus. Die Nation steht vor dem Zusammenbruch.

Welt am Abgrund

Ayn Rands 1957 erschienener Roman erfährt mit "Der Streik" seine dritte deutsche Übersetzung ("Atlas wirft die Welt ab" (1957), "Wer ist John Galt?" (1997)). Er zeigt uns eine Welt am Abgrund. Während die Wirtschaftslage sich verschlechtert und die Politik reflexartig reagiert, wird in Zusammenhängen, in denen es keine Antworten gibt, keine Lösungen für Probleme möglich sind oder scheinen, immer öfter die Frage gestellt: "Wer ist John Galt?"

Irgendwann "hackt" sich John Galt, der Anführer der Streikenden, in den öffentlichen Rundfunk und hält eine lange, erklärende Ansprache, in der er die Philosophie des Objektivismus darlegt. Danach lässt die Regierung Jagd auf ihn machen.

"Der Streik" präsentiert Ayn Rands Philosophie des Objektivismus in Romanform. Rand entwickelt eine Umwelt, in der ihre Philosophie in den Handlungen der Figuren zum Leben kommt. Über beinahe 1300 großformatige Seiten verknüpft sie Figuren, Handlungen und ihr Anliegen. Dabei sind die Figuren wenig mehr als Chiffren, aber sie sind konsistent entwickelt und ihnen werden große Gefühle zugewiesen. Zwar liegt ihm der Objektivismus zugrunde, aber das Buch ist zuerst eine geistige, keine geisteswissenschaftliche Arbeit, ein fiktionales und kein akademisch-philosophisches Werk.

Wenn Atlas mit den Schultern zuckt

Der Originaltitel "Atlas Shrugged" adressiert die Frage, was geschähe, würde die mythologische Gestalt Atlas die Welt nicht mehr auf den Schultern tragen. Man kann den Roman dogmatisch lesen oder als Steinbruch, politisch oder zur Unterhaltung, ihn zum Positionspapier der Republikaner machen, von denen ihn nicht wenige uneingeschränkt gutheißen, auch wenn er viel von dem, wofür die Republikaner stehen, eher kritisiert denn bestätigt. Für die Atheistin Rand war Ronald Reagan, der Namensgeber der Reaganomics, ein Politiker, der die Menschen ins Mittelalter zurückbringen wollte, indem er Politik und Religion zu vereinigen suchte. Dagny ist sexuell sehr aktiv und lässt sich im Verlauf der Handlung mit drei Männern ein. Einer von Rands Kerngedanken: Menschen sollen freiwillig und auf faire Weise interagieren, Ideen und Güter austauschen. Dieses Denken korrespondiert mit dem in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten verankerten unveräußerlichen Recht auf "Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit". Mit Machtgier, der Rücksichtslosigkeit, die dem Neoliberalismus und den "Heuschrecken" zugeeignet werden, mit Staatseingriffen bis hinein in das Private ist dies nur schwer vereinbar.

Rand, 1905 in Sankt Petersburg geboren als Alissa Sinowjewna Rosenbaum, hat schon früh in ihrem Leben einen Kampf zwischen Kollektivismus und Individualismus ausgemacht, in den sie direkt verwickelt war. Ihre Erfahrungen haben aus ihr eine konsequente Individualistin werden lassen, deren Weltsicht vermutlich nur wenige Grautöne zuließ - ganz ein Kind ihrer Zeit, mit eindeutiger Position in einer Welt, die das Denken in Kategorien wie Lagern bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts pflegte.

Über fünfzig Jahre ist Rands Roman alt, liest sich jedoch, als würde es um das Heute gehen. "Der Streik" dürfte heute literarisch unter dem Label "Dystopie" eingeordnet werden. Er zeigt eine Möglichkeit auf, was geschehen kann, wenn eine Gesellschaft nicht der Vernunft folgt, die Rand zu einem zentralen Argument in der gesellschaftlichen und individuellen Entwicklung macht. Rand verbindet in ihrem Roman eine fantastische Erzählung mit einer Philosophie, die über die Handlung entwickelt wird, über komplizierte Liebesbeziehungen, Interessenverbindungen und Verrat. Der in Teilen der Phantastik wichtige Weltenentwurf gelingt Rand sehr effektiv, wir lernen diese Welt und ihre Spielregeln früh im Roman kennen. Rand hält sich konsequent an diese Regeln. Phantastik-Autor John Scalzi schreibt in seinem Blog, dass er "Atlas Shrugged" alle paar Jahre liest, weil ihm das Buch als Roman gefällt, während er der zugrunde liegenden Philosophie eher ablehnend gegenübersteht.

In den USA wurde "Der Streik" in einer Umfrage der Library of Congress aus dem Jahr 1991 zum wichtigsten Buch nach der Bibel und verkauft sich dort auch heute noch jährlich im sechsstelligen Bereich. Von Rands Philosophie sind verschiedene Autoren beeinflusst. Am bekanntesten dürfte Terry Goodkind mit seiner Reihe "Das Schwert der Wahrheit" sein.

(Almut Oetjen, Januar 2013)

Der Streik

Ayn Rand, -

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