Faszinierendes Kopfkino mit erschreckenden Logikfehlern
"Quiet Earth" - das war mein erster Gedanke, als ich las, dass fast alle Menschen von einem Moment auf den anderen von unserem Planeten verschwunden waren. Da dieser Gedanke wohl zu offensichtlich ist, weist der Autor selber bereits auf S. 25 auf einen Film hin, bei dem sämtliche Menschen gleichzeitig verschwunden sind außer denen, die gerade in diesem Moment gestorben sind. Eine Selbstanzeige für Ideenklau? Mal was Neues. Wird es dadurch weniger verwerflich, abgekupfert zu haben?
Zugegeben, die Idee ist faszinierend und perfekt für ein Kopfkino. Von Anfang fühlt man sich selbst in die Situation hinein versetzt und fragt sich: Was würde ich tun, wenn ich von heute auf morgen auf die Annehmlichkeiten des Lebens verzichten muss, dafür aber den Planeten fast für mich alleine habe? Wie komme ich psychisch mit der Tatsache klar? Kann ich die Handlungsweise der Protagonisten nachvollziehen? Und daran krankt es auch schon.
Wer würde, wenn er sich plötzlich mit einer kleinen Gruppe von Menschen allein auf der Welt vorfindet, nicht sämtliche Resourcen nutzen, die er noch vorfindet? Wer verzichtet freiwillig auf funktionierende Autos, nur weil er weiß, diese werden ihm nicht ewig zur Verfügung stehen? Wer geht mit Pfeil und Bogen auf die Jagd, solange genügend Schusswaffen und Munition vorhanden sind? Wer zieht mit einem Pferd und ein paar Satteltaschen los, um aus einzelnen Häusern brauchbare Dinge zu sammeln, solange es noch gut gefüllte Supermärkte gibt?
Oberflächliche Charaktere, beklemmende Atmosphäre
Gestern noch war Daniel auf einem Klassentreffen. Dort verliebte er sich in seine ehemalige Mitschülerin Esther und sprach dem Alkohol ein wenig zu sehr zu. Und so wird ihm die neue Situation auch nur sehr langsam klar, als Esther ihn auf das Fehlen der Menschen hinweist. Nach und nach gesellen sich einzelne Versprengte zu den beiden. Wie sich herausstellt, scheinen nur die Personen überlebt zu haben, die auf diesem Klassentreffen waren. Warum? Als einzige auf der ganzen Welt? Oder gibt es woanders noch Menschen? Fragen, die man erst einmal zurückstellt. Im Vordergrund steht die Frage: Was jetzt tun?
Die Gruppe spaltet sich. Ein Teil zieht hinaus in die Welt, der andere Teil mit Daniel und Esther, den der Leser begleitet, geht "Back to the Roots" und sucht sich einen ehemaligen Bauernhof, um sesshaft zu werden.
"Der Finder" ist Michael Schreckenbergs erster Roman. Selten merkt man dies einem Buch so deutlich an wie hier. Schreckenbergs Schreibstil ist extrem einfach gehalten. Kurze Sätze, leicht lesbar. Doch die Story kommt nur langsam in Schwung. Die Charaktere werden nur sehr oberflächlich beschrieben und es dauert lange, bis Daniels und Esthers Mitstreiter ein wenig bildhaft werden. Im Gegensatz dazu schafft er es sehr gut, die bedrückende Stimmung und die depressiven Gedanken des Protagonisten zu vermitteln. Doch spätestens mit dem Auftauchen der Heuler, einer gefährlichen Rasse, die es darauf abgesehen hat, die Menschen zu töten, nimmt die Geschichte Fahrt auf und wird immer mehr zum Pageturner.
Gibt es eine Auflösung?
"Der Finder" ist ein faszinierender Endzeit-Thriller, der die Phantasie des Autors nur erahnen lässt. Viele Ideen hat er in sein Buch gepackt, leider nicht alle gut zu Ende gedacht. Viele sind nur angerissen und logische Fehler stören immer wieder den Lesegenuss. Viel zu wenig geht der Autor auf das Thema fehlender Strom ein, von dem wir doch in allen Lebenslagen abhängig sind.
Dazu bleibt für den Leser die spannende Frage, ob der Autor noch auf den Grund für das Endzeit-Szenario eingehen wird. Die Protagonisten haben zu viel mit ihrem Überlebenskampf zu tun, um sich weiterhin Gedanken zu machen, doch ohne zu spoilern kann ich hier soviel sagen, dass sich zum Ende hin diesbezüglich noch überraschendes tut. Ob man dies positiv oder negativ wertet, darüber kann man zweigeteilter Meinung sein. Das Ende des Romans hat der Autor offen genug für eine mögliche Fortsetzung gehalten.
Etwas unpassend gewählt finde ich das Cover, das zwar den Protagonisten Daniel auf seinem Pferd zeigen soll, dem unbedarften Leser jedoch eher einen Mittelalter-Roman vorgaukelt.
Trotz der zwiespältigen Gefühle für "Der Finder" sehe ich bei Michael Schreckenberg reichlich Potential. Er geht trotz übernommener Grundidee eigene Wege und scheint sich nicht auf ein einziges Genre festzulegen. Ich bin gespannt auf weitere Romane aus seiner Feder.
(Peter Kümmel, Dezember 2012)
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