Tim Burton - Der melancholische Magier

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2012
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Tim Burton - Der melancholische Magier
Tim Burton - Der melancholische Magier
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2012

Melancholischer Magier mit widerstandshartem Kern

Tim Burton, geboren 1958 in einem Vorort-Viertel der kalifornischen Stadt Burbank, gilt in Europa mehr noch als in den USA als einer der originellsten und einfallsreichsten Filmemacher der Gegenwart. Obwohl für mehrere Hollywood-Blockbuster (u. a. "Edward mit den Scherenhänden", 1990; "Batman" und "Batmans Rückkehr", 1989 bzw. 1992, "Alice im Wunderland", 2010) verantwortlich, gelang es ihm, eine eigene Stimme zu entwickeln, zu entfalten und zu erhalten.

Dieser Weg war steil und reich an Stolpersteinen, denn der junge Tim Burton passte schlecht in die stromlinienförmige Welt der Erfolg- und Einflussreichen. Er war als Kind und in der Schule ein Außenseiter, und er blieb es, als er nach einem Studium am "California Institute of the Arts" ausgerechnet vom Disney-Studio angestellt wurde. Die Liebe zum Morbiden, Abseitigen und dabei Liebenswerten konnte ihm selbst die Fließbandarbeit als Zeichner für Filme wie "The Fox and the Hound" (1981, dt. "Cap und Capper") und "The Black Cauldron" (1985, dt. "Taran und der Zauberkessel" nicht austreiben. Stattdessen nutzte er die Gelegenheit, abseits der Studio-Großfilme mit angeblich veralteten Techniken wie dem Stop-Motion-Trick zu experimentieren und schräge Kurzfilm-Visionen zu verwirklichen.

Nach "Beetlejuice" (1988) und "Edward Scissorhands" (1990, dt. "Edward mit den Scherenhänden") und dank des gewaltigen Erfolgs der beiden "Batman"-Filme gewann Burton allmählich Routine und Ruf, was ihm ermöglichte, Filme nach eigenen Vorstellungen zu drehen.

Alles ganz anders und oft besser

Relativ früh erregte Burtons Werk das Interesse des Film-Spezialisten Mark Salisbury. Er schrieb eine erste Fassung von "Burton on Burton" 1995, blieb aber mit Burton in Kontakt und wurde schließlich in das "Tim Burton Collective" aufgenommen. Es umfasst Freunde und Verbündete, die Burton im Laufe der Jahre um sich scharen konnte und auf die er immer wieder zukommt, wenn er einen Film dreht.

Quasi exklusiv verfasst Salisbury seit einigen Jahren Bücher zu Burton-Filmen, die reich illustriert und von Burton mit (sorgfältig ausgesuchten) exklusiven Informationen angereichert werden. "Burton on Burton" wurde zur "work in progress", wie Salisbury in einem Nachwort belegt. Eine ergänzte und erweiterte Version erschien 2000, eine wiederum überarbeitete Fassung 2006. Für die deutsche Ausgabe griff Salisbury exklusiv auf Interviews zurück, die er 2007 und 2009 mit Burton geführt hatte; "Tim Burton" ist damit in seiner deutschen Ausgabe sogar aktueller als das Original - ein seltener aber vorbildlicher Service des Verlags, denn was nützt dem Leser eine veraltete Biografie und Werkschau? Die ´modulare´ Struktur des Buches ermöglicht zudem das zukünftige Andocken weiterer Ergänzungen, die zweifellos kommen werden. Burton ist ein fleißiger Mann, der schon wieder mehrere Filme gedreht hat, die noch keine Aufnahme in Salisburys Buch fanden.

Die enge Beziehung zu Tim Burton prägt das Werk. "Burton on Burton" ist weder eine die üblichen Stationen eines Lebens abhakende Biografie noch eine kritikintensive Betrachtung und Bewertung der Burtonschen Filme durch den Fachmann Salisbury. Stattdessen überlässt der Autor weitgehend Burton selbst das Wort und kanalisiert dessen Erinnerungsfluss höchstens durch eingestreute Fragen, die dem Text eine chronologische Struktur geben.

Das Ergebnis ist ein Buch, das den strengen Filmkritiker nur bedingt zufriedenstellen kann, weil weder Salisbury noch Burton daran denken, das (eigene) Werk unter filmwissenschaftlichen Aspekten zu betrachten. Leser, die gern in privaten Details schwelgen, bleiben erst recht außen vor. Salisbury interessiert sich ausschließlich für Burtons Vita als Filmemacher. Privates wird knapp dort angesprochen, wo es den Künstler Burton betraf. Nicht nur hier mag sich eine vielleicht allzu große Nähe zwischen Autor und Regisseur zwiespältig auswirken. Allerdings fällt zumindest der Verzicht auf die öffentliche Waschung schmutziger Privat-Wäsche, die auch der gar nicht so ätherische und weltfremde Burton zurückgelassen hat, nicht negativ auf.

Ein literarischer Trip in exotische Welten

Auch formal geht "Burton on Burton" eigene Wege. Zum Text treten gleichwertig Fotos, die ´typische´ Burton-Filmszenen oder Aufnahmen von Dreharbeiten zeigen. Hinzu treten zahlreiche Zeichnungen und Skizzen, die Burton als Vorlagen für Storyboards und Gedächtnisstützen anfertigte. Es sind kleine Kunstwerke, die für sich stehen sowie Burtons Gedankenwelt oft besser erhellen können als viele Worte. Da für die deutsche Ausgabe durchweg hochwertiges Kunstdruckpapier Verwendung fand, kommen diese schwarzweißen oder pastellfarbigen Zeichnungen ausgezeichnet zur Geltung.

Weil Salisbury wie gesagt zum "Burton Collective" zählt, hat er Zugriff auf diese Zeichnungen. Sie sind ein fixer Bestandteil jener Bücher geworden, die Salisbury seit 2001 zu beinahe jedem Burton-Film veröffentlicht - bildreich im Burton-Stil gestaltet und mit knappen aber informativen Texten versehen.

Eingeleitet wird "Burton on Burton" durch gleich zwei Vorworte des ebenfalls zum "Collective" gehörenden Burton-Freund und Weggefährten Johnny Depp. Er ist dem Regisseur in ewiger Dankbarkeit verbunden, seit dieser ihn 1993 aus der verhassten Fronarbeit an der TV-Serie "21 Jump Street" erlöste.

Ein wenig Skepsis ist angebracht

Tim Burton sagt nur, was er sagen möchte, und Mark Salisbury hakt nicht wirklich nach: Die daraus resultierenden Unschärfen wurden bereits angesprochen. Burton ist keineswegs frei von Selbstkritik. Allerdings fragt man sich, wie tief Burton - auch nur ein Mensch - für dieses Buch in solche Wunden wie "Planet of the Apes" (2001; dt. "Planet der Affen") bohrte.

Glaubhaft sind die immer wieder geschilderten Auseinandersetzungen mit Filmstudios und Produzenten, die Burton in seine Arbeit hineinreden, um das Ergebnis möglichst massentauglich und damit einträglich zu trimmen. Hier merkt man dem sich sonst sehr gelassen gebenden Burton die damit einhergehenden Belastungen an. Anders als seine Anti-Helden konnte sich Burton jedoch an der Spitze halten und sogar in Hollywood eine Nische schaffen. Wie ihm dies gelang, muss sich der Leser oft zwischen den Zeilen zusammenreimen: Burton vermag auf beiden Hochzeiten zu tanzen, was ihn als ´echten´ Außenseiter eigentlich disqualifizieren müsste. Gern stellt er seine Karriere als Kette glücklicher Zufällen dar, bei der ihm außerdem talentierte Menschen hilfreich unter die Arme griffen. Tatsächlich ist Burton alltagstauglich genug, sich ein beachtliches Netzwerk zu schaffen, auf deren oft prominente Mitglieder er zählen kann.

Der "melancholische Magier" stellt nur die eine Seite Burtons dar. Sie ist längst auch zur Rolle geworden, in die Burton betont unkonventionell mit tiefschwarzer, der profanen Mode enthobenen Kleidung und der Wirrhaar-´Frisur´ des wahren Genies zu schlüpfen weiß. Mit "Burton on Burton" unterstützt ihn Salisbury dabei, ohne zu hinterfragen. Somit fehlen wichtige Stücke des Puzzles, die Tim Burtons Charakter ausmachen. "Burton on Burton" ist - um es überspitzt aber dadurch deutlich auszudrücken - durch Fakten gestützte Hagiografie und in Sachen Tim Burton keineswegs der Weisheit letzter Schluss.

Bis zum Erscheinen einer "unauthorisierten Biografie" erfüllt dieses Buch dennoch seinen Zweck. Was Burton künstlerisch antreibt, wird auf jeden Fall deutlich. In diesem Punkt fällt es dem Leser leicht, die Sympathie des Autors (Salisbury) mit dem Subjekt seiner Darstellung (Burton) zu teilen.

(Dr. Michael Drewniok, November 2012)

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