Die Treppe im See

  • Voodoo Press
  • Erschienen: Januar 2012
  • 0
Die Treppe im See
Die Treppe im See
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2019

Geist nutzt Schuldbewusstsein

Vor drei Jahrzehnten ertrank Kyle Glasgow zehnjährig bei einem Unfall. Die Familie hat den Verlust nie überwunden. Vor allem Bruder Travis gibt sich die Schuld an Kyles Tod, denn er hatte den Jüngeren zum verhängnisvollen Bad im nächtlichen Fluss mitgenommen. Viele Jahre drohte Travis sich selbst zu zerstören, bis er als Schriftsteller ein Ventil fand, die Trauer leidlich zu bewältigen.

Aktuell ist Travis als Autor erfolgreicher Horrorromane prominent geworden. Er hat Jodie geheiratet, und nun zieht das Paar in ein Haus, das Travis‘ älterer Bruder Adam, ein Polizist, in seinem Heimatort Westlake, US-Staat Maryland, für sie gefunden hat. Die Umgebung ist idyllisch, aber abgelegen, die wenigen Nachbarn freundlich, wenn auch reserviert.

Allerdings scheinen Travis und Jodie nicht allein in dem alten Haus zu sein. Er meint das Phantom eines Kindes durch die Räume schleichen zu sehen, was die Erinnerung an Kyle zurückbringt. Recherchen ergeben, dass im Vorjahr ein Kind im hausnahen See zu Tode kam. Elijah war der geistig offenbar labile Sohn der ebenfalls psychisch kranken Veronica Dentman, die mit ihrem Bruder David jenes seenahe Haus bewohnte, in dem nun die Glasgows wohnen. Elijahs Leiche wurde nie gefunden, der Fall konnte - auch zu Adams Kummer - nicht gelöst werden.

Dass etwas Hässliches womöglich ungesühnt blieb, wird klar, als Travis im Keller eine geheime Kammer entdeckt, in der Elijah offenbar hausen musste. Das Rätsel lässt ihn nicht ruhen, die Parallelen zum Tod des Bruders fesseln ihn zusätzlich. Außerdem mehren sich die Anzeichen, dass es im Haus umgeht: Auch Jodie stößt Unheimliches zu. Will Elijah ‚erlöst‘ werden? Hat ihn sein Onkel umgebracht? Gibt es ein anderes Geheimnis, das gelöst werden soll? Immer tiefer gerät Travis in den Bann eines Mysteriums, das ihn auf eine Fährte mit lebensgefährlichem Ziel führt …

Ungelöstes zwischen Himmel/Hölle und Erde

Der ‚ungesühnte‘ Tod ist elementar für den Horrorroman: Wer auf eine Weise zu Tode kam, die eigentlich den Einsatz des Gesetzes erfordert hätte, kann nicht in Frieden ruhen, sondern muss spuken. Erlösung = der Aufstieg in eine Sphäre, die offenbar ‚unbelasteten‘ Geistern vorbehalten bleibt, muss sich ein solcher Pechvogel verdienen, was gewisse Probleme aufwirft. Der Tod sorgt für Verständigungsschwierigkeiten, und Spuk löst Unverständnis und Schrecken aus.

Die Bereitschaft, sich einen Geist zu stellen, ist deshalb keineswegs identisch mit der Lösung des Problems. Zum Schrecken gesellt sich deshalb Frustration: Was will das Phantom eigentlich? Genretypisch ist die geisterseitige Weigerung Tacheles zu reden. „Spuk“ ist auch das intensive, Dringlichkeit signalisierende Unvermögen deutlich auszudrücken, was Erlösung bringen könnte. Natürlich liegt dem das durchsichtige Bemühen zugrunde, den Spuk dramatisch auszubeuten. Jede Gruselgeschichte käme rasch zu ihrem Ende, würden sich Geist und Helfer wortklar unterhalten. Außerdem wäre das Jenseits ein wenig fesselnder Ort, würde es diesseitiger Logik folgen.

In diese Tradition reiht sich Ronald Malfi mit „Die Treppe im See“ ein. Das ist mutig, denn kaum ein Subgenre der Phantastik ist so klischeelastig wie die klassische „ghost story“, die von der Variation allseits bekannter Elemente lebt. Wer als Autor ausschließlich zitiert, ist schnell verloren. Malfi beherrscht dagegen die (Handwerks-) Kunst, eigentlich sattsam bekannte, sogar ausgelaugte Module zu einer fesselnden Geistergeschichte zu verknüpfen.

Sanft-Grusel mit Nachbrenner

Malfis Leistung ist umso beachtlicher, weil er sich auf ein Terrain wagt, das u. a. von Stephen King meisterhaft beackert wird. Vor ihm muss sich Malfi keineswegs verstecken. „Die Treppe im See“ bietet Geister-Grusel der einerseits gepflegten, andererseits spannenden Art. Blut und Eingeweide bleiben außen vor; niemand vermisst ihr offensives Verspritzen, denn eine gute „ghost story“ wirkt durch Stimmung und Andeutungen, die sich nach und nach verdichten, um in einem dramatischen Finale deutlich auszuklingen.

Autor Malfi konzentriert sich auf die positiven Aspekte des Genres, ohne nach ‚Neuem‘ zu haschen, das es möglicherweise ohnehin nicht gibt. Das einsame Haus, in dem es umgeht und dessen Abgelegenheit eine rasche Flucht verhindert, wird ergänzt durch Figuren, die eindeutig gegen den gesunden Menschenverstand agieren, indem sie sich dem Spuk stellen. Dies gilt es zu begründen. Auch hier erfindet Malfi das Rad nicht neu, indem er einen vom Schicksal vorgebeutelten Protagonisten mit dem Geist konfrontiert. Die eigene ‚Schuld‘ lässt Travis Glasgow nicht los. Wie der tote Elijah sucht auch er nach Erlösung. Das flößt ihm den nötigen Mut ein, sich mit dem Übernatürlichen einzulassen, trennt ihn aber auch von der diesseitigen Welt, deren Angehörige immer misstrauischer beobachten, wie Travis offenbar in den Wahn abgleitet.

Diese Isolation der Hauptfigur ist ein bewährter Trick, um die Spannung zu schüren: Sowohl in dieser als auch in der ‚nächsten‘ Welt ist Travis auf sich gestellt und umgeben von potenziellen und echten Feinden. Die Unterscheidung fällt schwer, und Irrtümer rächen sich. Hier repräsentieren vor allem Gattin Jodie und Bruder Adam die verständnisarme Gemeinde der ‚vernünftigen‘ Menschen, die an Spuk nicht glauben, sondern Wahnsinn als Erklärung vorziehen.

Wer wird das Rennen machen?

Malfi könnte problemlos die Geschichte auf jenem Kurs in den Zielhafen steuern, die sie irgendwann eingeschlagen zu haben scheint. Stattdessen wagt er es, die Vorgeschichte in Frage zu stellen. Was tatsächlich geschieht, hat Travis Glasgow schlicht fehlinterpretiert. Nun könnte die Story in einem wüsten Gemetzel gipfeln, denn falsch eingeschätzte Geisterkraft führt im Horror-Genre oft zu eindrucksvollen Ergebnissen. Wiederum meidet Malfi das Offensichtliche und legt sogar einen niedrigeren Gang ein. Nicht Gewalt, sondern Tragik steckt hinter dem Spuk, was dennoch zum spektakulären Finale führt, dem auf vielen Seiten nachträgliche Erklärungen folgen; sie sind nötig, um uns Lesern sämtliche aufgeworfenen Rätsel zu erläutern.

Dadurch verliert das Geschehen an Spannung, was aber ein generelles Problem solcher Geschichten ist: Die Auflösung kann mit dem Spuk-Grusel nur in Ausnahmefällen schritthalten. Außerdem widersteht Malfi der Versuchung nicht, seiner Hauptfigur die ersehnte Erlösung in Sachen ‚Brudermord‘ zu gewähren. Sie fällt recht sentimental aus, was nur deshalb die Gesamtwirkung nicht in Frage stellt, weil Malfi auch emotionale Szenen so darstellen kann, dass dem Leser Hirngrimmen aufgrund Fremdschämens erspart bleibt.

„Die Treppe im See“ ist kein Klassiker und wird nie zu einem reifen. Das ist auch unnötig, denn dieses Buch ist etwas mindestens ebenso Wertvolles: Eine inhaltlich interessante Geschichte wird gut erzählt. Man liest Seite um Seite, ohne fürchten zu müssen, dass sich Rätsel und Stimmung in beliebigem Dumpf-Splatter auflösen.

Fazit:

Typische Spukgeschichte, in dem der heimgesuchte ‚Held‘ versucht herauszufinden, was der in seinem Heim umgehende Geist von ihm erwartet. Obwohl sämtliche Register des Genres „ghost story“ gezogen werden, entsteht kein Klischee-Bündel, sondern ein spannender, stimmungsvoller Gruselroman, der auf Bauch- und Schädelplatz-Horror verzichtet und verzichten kann.

Die Treppe im See

Ronald Malfi, Voodoo Press

Die Treppe im See

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