Das Atmen der Bestie

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
Das Atmen der Bestie
Das Atmen der Bestie
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2012

Dämon frankensteint sich selbst ins Leben

John Hyatt arbeitet für das Gesundheitsamt der Stadt San Francisco. Er betreut jene Bürger, die Stadtschmutz, allzu sichtbare Ratten oder andere krankheitserregende Ärgernisse des urbanen Lebens melden wollen. Seymour Wallis´ Meldung sprengt diese Routine: In seinem erst vor wenigen Wochen erworbenen Haus "atme es", klagt der ehemalige Ingenieur. Dafür ist das Amt eigentlich nicht zuständig, aber Hyatt besucht Wallis zusammen mit einem ebenso neugierigen Arbeitskollegen.

Tatsächlich "atmet" das Haus nicht nur, sondern wird auch handgreiflich. Mit Verstärkung kehrt Hyatt am nächsten Abend zurück. Die erwartungsvoll auf weitere Phänomene hoffenden Geisterjäger werden nicht enttäuscht: Der Spuk reißt dem Amtmann Bryan Corder Haut und Haarskalp vom Schädel und fährt in seinen Körper.

Hyatt wendet sich an eine Spezialistin - Freundin Jane Torresino, die in ihrem Buchladen auch Werke über Okkultismus verkauft. Sie recherchiert, dass wahrscheinlich ein indianischer Dämon in dem Haus sein Unwesen treibt. Glücklicherweise ermittelt Jane auch die Adresse des Medizinmanns George Thousand Names, der seinen Besuchern Näheres schildern kann: In Wallis´ Haus lauert ausgerechnet "Coyote", einer der übelsten Bewohner der Geisterwelt. Sogar seine Mit-Dämonen können ihn nicht ausstehen, weshalb sie halfen, als Coyote vor vielen hundert Jahren nicht nur besiegt, sondern in vier Stücke gerissen wurde, die an verschiedenen Stellen versteckt wurden. Leider ist Coyote selbst unsterblich, weshalb ihm die Wiederbelebung seines Körpers so schwierig wie möglich gemacht werden sollte.

Dummerweise hat der Dämon einen Weg gefunden, auch als Geist Nachforschungen anzustellen. Herz, Hirn und Blut konnte Coyote schon an sich bringen. Sollte er noch seine Haare bergen können, wäre er unbesiegbar. Mit George Thousand Names, Jane und dem durch die Ereignisse zum Geisterglauben bekehrten Dr. Jarvis versucht Hyatt, genau das zu verhindern, doch der Gegner ist nicht nur stark und skrupelfrei, sondern auch schlauer als gedacht ...

Manitous garstiger Bruder im Geiste

1974 schrieb Graham Masterton seinen Roman-Erstling. "The Manitou" erzählte vom Geist des notorisch übellaunigen und mordlustigen Medizinmanns Misquamacus, der aus dem Jenseits in die nun bleichgesichtig dominierte Welt der Gegenwart eindrang, um dort blutige Rache für längst vergessenes Unrecht zu nehmen. Das recht ungelenke Werk fand seine Leser und wurde sogar (bzw. leider) 1976 verfilmt. Das musste Folgen haben: In der Tat kehrte Misquamacus 1979 und danach drei weitere Male zurück, um die weiter oben beschriebenen Possen zu treiben.

Zwischen den ersten beiden Bänden veröffentlichte Masterton 1978 "Das Atmen der Bestie", der inhaltlich mehr als nur ein wenig an den ersten "Manitou"-Roman erinnert. Der seit jeher ungemein fleißige Autor kennt die Notwendigkeiten einer ökonomischen Arbeitsweise. Auf der Grundlage offensichtlicher Recherchen in Sachen indianischer Mystik wollte Masterton aber keine weitere Misquamacus-Episode erzählen. "Das Atmen der Beste" ist trotzdem "Der Manitou" ohne Manitou.

Was hierzulande freilich niemandem auffallen dürfte, da die beiden ersten "Manitou"-Bände schon seit vielen Jahrzehnten vergriffen sind. Deshalb steht zu erwarten, dass man "Das Atmen der Bestie" als altes und im positiven Sinn altmodisches Horror-Garn zur Kenntnis nehmen wird. So sollte man diesen Roman jedenfalls lesen, denn hier taucht keinesfalls ein vergessener Klassiker aus der Versenkung auf!

Wenn's gruselt, kommt's mit in die Suppe

Masterton mischt einfallsreich und unbekümmert diverse Genre-Elemente zu einem stets trivialen aber routiniert gestrickten, rasanten und längenfreien Spektakel. Es beginnt mit einer Geistergeschichte in einem Spukhaus, doch Masterton weicht bald vom üblichen Schema ab. Subtilität ist sein Ding nicht, weshalb sich der unter dem Dach des Pechvogels Seymour Wallis hausende Unhold als recht grober Klotz erweist, dem jegliche Spuk-Raffinesse vollständig abgeht.

Stattdessen fliegen die Fetzen, die aus den Resten zerbrochener Möbel und unglücklicher Geisterjäger bestehen. 1978 konnte von den Splatter-Orgien des 21. Jahrhunderts noch keine Rede sein. Für die zeitgenössischen Leser dürften Mastertons eigenwillige Körperwelten aus ramponierten Körperteilen und Leichenblut harter Tobak gewesen sein. Heute lassen diese Szenen jede Provokationen vermissen. Sie erfüllen schlicht ihren Zweck; ein positiver Ansatz in einer literarischen Gegenwart, in der viel zu viele Horror-Autoren glauben, auf das Fundament einer Story zugunsten von bis zur Lächerlichkeit übertriebener Blut-&-Gekröse-Ekstasen verzichten zu dürfen.

Natürlich ist der Plot eher bizarr als auch nur annähernd logisch nachvollziehbar. Die Story schlägt jederzeit bekannte Haken, die Grusel-Effekte sind vor allem grell, und formal schwebt das Ganze nicht sehr weit über dem Groschenheft-Horizont. Aber Masterton versteht sein Handwerk, das Unterhaltung heißt und nie mehr sein möchte.

Seltsame Helden, schräger Spuk

Das Grauen benötigt einen möglichst ´normalen´ Hintergrund. Masterton findet hier einen besonders profanen Einstieg: ´Held´ John Hyatt ist ein Angestellter des Gesundheitsamtes, wo er sich als kleines Rädchen irgendwo im behördlichen Apparat meist unbemerkt dreht. Er ist nicht klug oder stark, sondern der mustergültige Mr. Jedermann, mit dem sich der Leser identifizieren kann.

Auch eine wenig heldenhafte Hauptfigur benötigt Nebenpersonal, das u. a. dafür herhalten muss, wenn jemand dem Spuk zum Opfer fallen soll. Hier treten auf: ein unkonventioneller Arbeitskollege aus dem Amt, ein zunächst skeptischer und später gläubiger Arzt und natürlich eine schöne Frau, nach der sich der Dämon buchstäblich die Krallenfinger leckt: Dass Masterton sein Geld auch mit der Niederschrift diverser Sex-Ratgeber verdient, kann er an solchen Stellen frivol einfließen lassen.

Da Spukbold Coyote der indianischen Mythologie entspringt, wirkt natürlich ein Medizinmann mit. George Thousand Names heißt er, und einer dieser tausend Namen könnte auch "Singing Rain" sein, der in den "Manitou"-Romanen an seine Stelle tritt. Masterton entwirft eine Figur, die mit einem Bein in der Moderne und mit dem anderen in der indianischen Geisterwelt steht. Dies schafft Raum für farbenfrohen Hokuspokus und schlichte Witzchen - neben seinem Beutel mit dem Zauberwerkzeug trägt George Thousand Names eine goldene Rolex - und wird mit den obligatorischen Plattitüden - die Siedler waren einst sehr unfreundlich zu den US-Ureinwohnern; gute Bleichgesichter wie John Hyatt schämen sich wenigstens ein bisschen dafür - abgeschmeckt.

Coyote ist ein Geist mit erstaunlich weltlichen Bedürfnissen. Massenmord und Sex sind die Ziele, nach denen er strebt. Bis er sich aus den Teilen, in die man ihn vorsichtshalber zerlegte, wieder zusammengebastelt hat, gibt er auch optisch eine hübsch hässliche Erscheinung ab, was über die Eindimensionalitäten seines Handelns & Sprechens - eigentlich kommuniziert er nur über Drohungen - hinwegtröstet.

Damit ist es amtlich: "Das Atmen der Bestie" gehört zu dem Lesefutter, vor dem der Ernährungsberater warnt, weil es ungesund ist und dumm macht. Nichtsdestotrotz schmeckt solche Kost einfach gut und ist manchmal eine Sünde wert.

(Dr. Michael Drewniok, November 2012)

Das Atmen der Bestie

Graham Masterton, Festa

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