Winterkind

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  • Erschienen: Januar 2012
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Winterkind
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Sanja Döttling
83°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2012

Frauenschicksale zum Beginn der Moderne

Der historisch-phantastische Roman "Winterkind" erzählt von zwei Frauenschicksalen in der deutschen Kaiserzeit, besticht durch einen unglaublich feinfühligen Schreibstil und tiefe, sanft ausgestaltete Persönlichkeiten.

Niedersachsen, um 1880. Die Fabrikanten-Ehefrau Blanka von Rapp hat ein äußerlich perfektes Leben. Ihr Mann Johann ist liebevoll und einfühlsam, ihre Tochter Johanna wächst unter dem strengen, aber gerechten Blick des schlauen Kindermädchens Sophie gut heran. Doch Blanka ist zu ängstlich, um die Anforderungen ihres Lebens als standesgemäße Ehefrau zu erfüllen. Ihr Kosmos erstreckt sich nur auf das Haus und seine Bewohner, ihre Welt ist durch ihre Ängste und Vorahnungen begrenzt.

Blankas kleine Welt gerät aus den Fugen, als ihr Mann den großen Quecksilberspiegel aus ihrem Elternhaus mitbringt. Wie ein Katalysator verschlimmert er ihre Ängste. Der Spiegel beschwört Erinnerungen an die Vergangenheit im Elternhaus herauf, diese zwingen Blanka, ihre eigene Persönlichkeit neu zu bewerten. Blankas innere Unruhe treibt sie um, doch es gibt keinen Fluchtweg für sie.

Auch materielle Nöte plagen Familie von Rapp. Deshalb fährt Johann im tiefsten Winter in die Stadt, um mit den Gläubigern zu sprechen. Im Haus zurück bleiben die Frauen, sie sind auf sich allein gestellt. Und nun droht alles zusammenzubrechen. Der Zahltag für die Arbeiter in der Glashütte rückt immer näher, doch Geld gibt es nicht mehr im Herrenhaus. Soziale Unruhen der Arbeiterschaft zwingen die resolute Sophie und die sensible Blanka in die Ecke.

Überzeugt durch einen schönen Schreibstil

Das Buch "Winterkind" von Lilach Mer ist in der Reihe "Die grüne Fee" im Dryas-Verlag erschienen, diese Reihe erkundet die Ursprünge der Moderne. Die Romane beleuchten, wie sehr diese Phase von Gegensätzen geprägt und wie eng Fluch und Segen der Technik verwebt waren.

"Winterkind" betrachtet die vergangene Zeitperiode mit einfühlsamen Blick. Dabei geht es der Autorin Lilach Mer nicht darum, ein historisches Spektakel zu inszenieren. Sie erzählt den Alltag zweier Frauen der damaligen Zeit mit größter Selbstverständlichkeit. Ihr Detailreichtum verleiht dem Buch große Authentizität, man kann die weiten, raschelnden Röcke und die das einengende Korsett fast fühlen. Doch das Buch ist alles andere als trockene, historische Prosa. Eben durch die korrekte und selbstverständliche Erzählung bekommt die vergangene Zeit einen phantastischen Hauch.

Doch das Buch ist mehr als ein Zeitgemälde, es ist auch ein psychologischer Roman. Es erzählt vorrangig das Schicksal der Kaufmannsfrau Blanka von Rapp, die sich selbst beschränkt und von unfassbaren, fein erläuterten Ängsten geplagt wird, sowie das ihres Kindermädchens Sophie. Die Autorin Lilach Mer zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich und wie ähnlich zugleich das Leben der Frauen damals zu dem heute ist: Es zeigt, wie klein der Spielraum der Frauen damals war, und wie viel Stärke sie trotzdem entwickeln können.

Der Roman überzeugt nicht nur durch seine sich langsam entwickelnde und zuspitzende Erzählung, sondern auch durch einen feinen und schönen Schreibstil, der Gedankengänge und Handlungsmotive in verständlicher und künstlerischer Art zum Ausdruck bringt. Er passt sich wunderbar in das ansonsten sehr leise, aber tiefgründig geschriebene Buch an.

Fazit

Der Roman "Winterkind" ist ein feines, ruhiges Werk, bei dem Schreibstil, Handlung und Setting einwandfrei miteinander harmonieren. Das Buch beleuchtet eine vergangene Zeitperiode auf detailgenaue Art, ohne wie ein Geschichtslehrbuch oder ein großes Spektakel zu wirken. Es ist aber auch ein psychologisches Werk, dass den weiblichen Charakteren große Tiefe zuschreibt und ihre Motivation ganz nah an den Leser heranholt. Zusammengehalten wird der Roman von der ausgewählten und ästhetischen Sprache. "Winterkind" ist kein action-lastiges, handlungsgetriebenes Werk, sondern wird getragen von den fein gestalteten weiblichen Protagonisten.

(Sanja Döttling, Februar 2013)

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