Traveler

  • Page & Turner
  • Erschienen: Januar 2006
  • 11
Traveler
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Frank A. Dudley
73°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2006

Das Raster sieht fast alles

Die Welt, in der wir leben, ist eine der Überwachung und Kontrolle: Jeder von uns hinterlässt ständig elektronische Fingerabdrücke, die von Staat und Wirtschaft gespeichert und ausgewertet werden. Dass George Orwells Vision von ";1984"; längst Realstatus erreicht hat, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Satellitengestützte Mautsysteme, biometrische Reisepässe, Internetzensur durch Google und Co. gehören zum beaufsichtigten Alltag. Wir alle wissen es, verschließen dennoch nur allzu gerne die Augen.

Nicht so der Autor von ";Traveler";, der sich John Twelve Hawks nennt. In seinem Erstling verarbeitet er laut Selbstauskunft persönliche Erfahrungen mit der Totalüberwachung zu einem hochdynamischen und vielschichtigen Science-Fantasy-Thriller. Es gibt eine totale Überwachungsmaschine, Kung-Fu-Schwertkämpfe und mythische Propheten, die ihre Seele in anderen Welten wandern lassen können. Klingt verquast, ist es aber nicht. Hawks hat eine packende Geschichte aufgeschrieben, die trotz des gelegentlichen Verschwörungspathos' fesselt und nachdenklich stimmt. Würden Bestseller-Listen inhaltliche Qualität widerspiegeln, dann müsste ";Traveler"; eigentlich Dan Browns anti-klerikale Pamphlete von den Spitzenplätzen ablösen.

Aber die Welt ist nicht gerecht. Das führt uns ";Traveler"; deutlich vor Augen. Im ersten Teil seiner Trilogie zeigt Hawks eine mögliche Gegenwart, in der sich die breite Öffentlichkeit von Sport-Großveranstaltungen, Vorabend-Serien und Einkaufszentrum-Neueröffnungen und anderen Sinnlosigkeiten einlullen lässt. Die Menschheit lebt im sogenannten ";Raster";, einem Netz nahezu vollständiger Überwachung. Die Fäden ziehen dabei nicht Regierungen und Konzerne, sondern drei höchst unterschiedliche Gruppen von Menschen: Tabula, Harlequins und Traveler.

Schwertkampf und Computermacht

Die Geschichte hat eine ausgefeilte Mythologie zum Hintergrund, die weit in die Vergangenheit zurückreicht. Traveler gab es in allen Zeitaltern, ihre Spezialeigenschaft ist die Seelen- oder Astralkörper-Wanderung zwischen verschiedenen Sphären. Erleuchtet kehren sie zurück in diese Welt und predigen ihre mythisch-esoterischen Visionen von Aufklärung, Individualismus und Nächstenliebe. Einige der Traveler haben Weltreligionen gegründet oder große wissenschaftliche Theorien entworfen, andere ahnten oder ahnen nichts von ihrer besonderen Gabe. Zu ihnen gehören die Brüder Michael und Gabriel Corrigan, denen der Autor nicht von ungefähr die Namen zweier Erzengel gegeben hat.

Möglicherweise sind die Corrigan-Brüder die beiden letzten Traveler, deshalb werden sie seit Urzeiten wie alle Seelenreisenden von der eingeschworenen Kriegerkaste der Harlequins beschützt. Die Harlequins bringen neben den Travelern die Fantasy-Komponente in den Plot. Leider ist aber auch ihre Anzahl während der jahrtausendelangen Nachstellungen durch die Tabula stark geschrumpft: Die einzige Überlebende ist Maya, die Hauptfigur des Romans. Sie schwingt ihr Schwert schneller und kickboxt treffsicherer als Uma Thurman in ";Kill Bill";, und sie soll die Corrigans vor der Tabula retten.

Die krakenartige Tabula ihrerseits nennt sich auch Bruderschaft (Orwell lässt grüßen), strebt die indirekte Kontrolle über alles und jeden, also die Weltherrschaft hinter den Kulissen, an. Um ihr Ziel zu erreichen, benötigt die Bruderschaft neben ihren hochtechnisierten Methoden sozusagen als i-Tüpfelchen die transzendenten Fähigkeiten der Traveler. Die beiden verbliebenen melden sich dafür allerdings nicht freiwillig, und so geht die Verfolgungsjagd durch diese und andere Welten los.

Hawks lässt seine Akteure auf mitreißende Weise den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse austragen. Er jongliert in seiner Dystopie gekonnt und sicher mit den Genres, vermengt buddhistische Elemente mit technischer Totalüberwachung und kombiniert Quantencomputer mit Schwertkampf. Typisch für eine Fortsetzungsgeschichte ist der Cliffhanger am Ende. Einer, der von den Lesern allerdings Ausdauer verlangt, denn Teil zwei soll erst im Herbst 2007 erscheinen.

Der Stoff bietet sich aufgrund der zahlreichen überzeugenden Actionszenen für eine Verfilmung geradezu an, die Rechte sind bereits verkauft. Ist dies ein heutzutage normaler Vorgang im Medienzirkus, so ist es der Auftritt des Autors John Twelve Hawks mit Sicherheit nicht. Falls man überhaupt von einem Auftritt sprechen kann, denn Hawks entzieht sich bis auf ein paar Interviews jeglicher Publicity. Er behauptet, außerhalb des ";Rasters"; zu leben, unbeeinflusst von moderner Technologie und somit beinahe unerreichbar für staatliche Überwachung. Sogar sein Agent beteuert, ihn noch nie persönlich gesprochen zu haben.

Nur ein Marketing-Trick?

Diese Anti-PR war Teil der Marketingstrategie mit einer elaborierten Online-Kampagne und hat dem Buch allein in Deutschland zu einer Top 25-Platzierung und bislang mehr als 30.000 verkauften Exemplaren verholfen. Aufschlussreiches Detail: Hawks erscheint im selben Verlag wie Dan Brown, ";Traveler"; wurde vom selben Lektor betreut wie ";Sakrileg"; und ";Illuminati";.

John Twelve Hawks spielt mit Verschwörungsängsten und der Furcht vor dem schleichenden Verlust der bürgerlichen Freiheit. Vor dem Hintergrund der immer noch grassierenden Post-11.September-Paranoia ist er damit sicher kein Rufer in der Wüste. Aber ist er wirklich ein Systemaussteiger, ein Mahner und Aufrüttler? Oder stattdessen ein raffinierter Marketing-Trickster, der sich selbst zum Gegenstand einer Verschwörungstheorie machen will?

Ohne Zweifel, ";Traveler"; ist ein außergewöhnliches und spannendes Buch. Aber der Autor ist vielleicht nur ein Tabula-Bruder in Traveler-Kleidung.

Traveler

John Twelve Hawks, Page & Turner

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