The Walking Dead
- Heyne
- Erschienen: Januar 2012
- 3
Zombie-Terror als Tyrannen-Schule
Eines Tages kehrten die Toten aus ihren Gräbern zurück. Sie überrannten die überraschten und entsetzten Lebenden und haben die meisten von ihnen entweder gefressen oder gebissen, was zuverlässig weitere Zombies entstehen lässt. Unter dem milliardenfachen Ansturm der von der Gier nach Menschenfleisch beherrschten, nur durch einen gezielten Kopfschuss auszuschaltenden Untoten ist die Zivilisation zusammengebrochen.
Auch die USA existieren nicht mehr. Versprengte Gruppen verzweifelter Flüchtlinge suchen nach Orten, an denen sie vor den Zombies sicher sind. Zu ihnen gehören die Brüder Philip und Brian Blake. Mit Tochter bzw. Nichte Penny sowie den Freunden Nick und Bobby, die ebenfalls von der Apokalypse entwurzelt wurden, machen sie aus der heimatlichen Provinz des US-Staates Georgia auf in die Hauptstadt Atlanta. Dort soll die Regierung ein Flüchtlingslager eingerichtet haben, zu dem man sich durchschlagen will.
Die Reise wird zu einer Odyssee des Grauens. Überall lauern die Untoten, die niemals schlafen und immer hungrig sind. Jeder Moment der Unaufmerksamkeit oder gar der Entspannung ist lebensgefährlich. Ohne den charismatischen aber auch jähzornigen und skrupellosen Philip wäre die Gruppe verloren. Energisch lässt er das Ziel ansteuern. Aber das endlich erreichte Atlanta erweist sich als Metropole der Untoten. Sie haben jeglichen menschlichen Widerstand längst weggefegt.
Selten treffen die Flüchtlinge auf lebende Leidensgefährten. Die Menschen sind nicht nur vor den Zombies auf der Hut. Selbsternannte ´Führer´ nutzen die Gunst der Stunde und schaffen sich kleine Königreiche. Jeder ist sich in dieser Welt selbst der nächste - eine Lektion, die schnell gelernt sein muss, bevor es zu spät ist ...
Zombies als Superstars!
2003 hatte Autor Robert Kirkman die Idee seines Lebens: Er schuf (in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Tony Moore, der später von Charlie Adlard abgelöst wurde) die Comic-Serie "The Walking Dead". Hier mischten sich geschickt inhaltlich einschlägige Klischees und formale Brillanz und generierten einen durchschlagenden Erfolg. Dieser gipfelte 2010 in einer gleichnamigen TV-Serie, die ihrerseits zumindest dort neue Maßstäbe setzte, wo es um die offene Darstellung plakativen Horrors ging: Spätestens jetzt hatte das Fernsehen den Horrorfilm eingeholt oder sogar übertroffen.
Die Möglichkeit, malerisch zerfallende, kannibalische, aufregend hässliche Zombies explizit darzustellen, ist sicherlich DAS Pfund, mit dem "The Walking Dead" als Comic und im Fernsehen wuchern kann. Als Treibriemen dienen der Handlung ansonsten seit Jahrzehnten bewährte und zweckdienlich adaptierte Seifenoper-Elemente, die vor allem die in der US-Unterhaltungskultur unentbehrlichen "family values" durchspielen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine kleine Gruppe Überlebender um den ehemaligen Sheriff Rick Grimes. Man schlägt sich und verträgt sich wieder, intrigiert und sympathisiert, während in regelmäßigen Abständen die Zombies angreifen und für Abwechslung sowie den Abgang diverser Haupt- (selten) und Nebenfiguren (ständig) sorgen.
Auf diese Weise funktionierten früher u. a. TV-Western-Serien, mit denen sich "The Walking Dead" gut vergleichen lässt. Die Zombies ersetzen die feindlichen Indianer, die wiederum vor allem die Bedrohung von außen symbolisieren, der sich die belagerte Gruppe zu stellen hat. Nicht mehr wie einst mit den Planwagen, sondern in Kombis und geländegängigen SUVs ziehen die Überlebenden durch das Land und bilden eine schützende Wagenburg, wenn sie ihr Lager aufschlagen.
Da Flucht unmöglich ist, müssen sonst verdrängte Konflikte ausgetragen werden, was nicht nur die Gruppendynamik erhöht, sondern auch für zwischenmenschlichen Wirbel sorgt. Dabei müssen die Untoten keineswegs ständig sichtbar sein. Das Wissen um ihre Präsenz sorgt bereits für eine ständige Spannung, die sich immer wieder entladen muss.
Der Aufstieg eines entschlossenen Irren
In der TV-Serie trat der sadistische "Gouverneur" Philip Blake erst in der dritten Staffel erstmals auf. Schon in seiner gezeichneten Inkarnation hatte er sich als Bösewicht etabliert, den man gern hasste, weil er so abwechslungsreich böse war. Allerdings tauchte er als uneingeschränkter Herrscher von Woodbury quasi aus dem Nichts auf - ein Warlord und ein irres Genie, wie es nur die triviale Unterhaltung hervorbringen kann.
Da der Erfolg von "The Walking Dead" auch auf möglichst breiter Medienpräsenz beruht, verstärkt das Franchise sein Fundament, indem es nun Romane auf den Markt wirft. Robert Kirkman beschloss, die Vorgeschichte des "Gouverneurs" in eine Buch-Trilogie zu gießen. Da ihm auf diesem Gebiet die notwendige Erfahrung (noch) fehlte, stellte man ihm einen Profi zur Seite. Jay Bonansinga schreibt nicht nur Horror-Romane, sondern ist außerdem nachweislich ein schneller Autor, was für das Franchise den letzten Ausschlag gab; literarische Qualitäten standen dagegen eher nicht auf dem Anforderungsprofil, wie der Blick auf das Bonansingasches Rvre rasch enthüllt.
Freilich trägt nicht Bonansinga, sondern Kirkman die Schuld daran, dass dieser "Walking-Dead"-Roman der Serie einen Bärendienst erweist. Was gezeichnet oder in Szene gesetzt eindrucksvoll und erschreckend wirkt, ist und bleibt hier Papier. Kirkman hat keine originellen Ideen, und Bonansinga ist ein Zeilenfüller. Das Ergebnis ist Horror-Junkfood, wie es durchschnittlicher kaum sein könnte.
Nicht Neues nach dem Ende der Welt
Faktisch hat George A. Romero in seinen ersten drei "Zombie"-Filmen alles Themenrelevante gesagt. Er stellte es unfreiwillig selbst unter Beweis, als er in seiner zweiten Zombie-Trilogie zum eigenen Plagiator wurde. In der Tat ist das von den Untoten präsentierte Schreckens-Spektrum denkbar schmal. Wir können keine Raffinesse von Kreaturen erwarten, deren Hirne bis auf den Hirnstamm abgestorben sind. Instinktgesteuert herrschen sie allein durch ihre Quantität: Für jeden mühsam endgültig ausgeschalteten Zombie springen umgehend zehn neue Moderlinge in die Bresche.
Diese Omnipräsenz ist es, die sie so gefährlich macht. Kirkman favorisiert die ´klassischen´ Zombies, die ungelenk und ohne Intelligenz umher schlurfen. Dies macht sie nicht faszinierender. Viele, viele Seiten füllt das Autorenduo mit detailfroh geschilderten Schlachten zwischen Mensch und Zombie. Diese folgen identischen Mustern, sodass sie schnell langweilen. Kirkman & Bonansinga versuchen gegenzusteuern, indem sie ihre Helden die Zombies förmlich pürieren lassen - zwecklos, wenn man dies nicht sehen kann.
Zu den unverzichtbaren Elementen erfolgreicher, d. h. routiniert nach bewährten Mustern gestrickter Unterhaltung gehört der schon erwähnte menschliche Faktor. Sogar der "Gouverneur" schlüpfte nicht als Finsterling aus einem Schlangenei. Umstände und Erfahrungen haben ihn geprägt. Nun erzählt uns Kirkman, was ihm zugestoßen ist. Bloß: Wollen wir das eigentlich wissen?
Auch große Schurken fangen klein an
Die Antwort lautet wie so oft "Nein!" Ein ´erklärter´ "Gouverneur" ist auch ein ´entzauberter´ "Gouverneur". Sobald wir wissen, wie er entstand, hat sich mit dem Mythos ein Großteil der Faszination verflüchtigt. Dies gilt vor allem, weil Kirkman & Bonansinga uns diese Vorgeschichte abermals mit der ganz groben Kelle servieren.
Bruderzwist, Dauerstress, der Verlust von Familienangehörigen und Freunden, Verrat durch Räuber, die eigentlich Verbündete sein müssten: Es ist nie schlüssig nachvollziehbar, wieso ausgerechnet Philip Blake aus diesen Erlebnissen die Kraft zieht, sich zum Tyrannen aufzuschwingen. Die Figurenzeichnung gibt die dafür erforderliche Stärke nicht her. Die Autoren haben es selbst bemerkt, weshalb sie Blake auf den letzten Seiten eine Epiphanie erleben lassen: Als er vor die Gemeinde von Woodbury tritt, zuckt ihm eine Art Blitz durchs Hirn, der ihn schlagartig in den "Gouverneur" verwandelt.
Auch sonst stammen die von den Autoren oft beschworenen Emotionen aus der Plastikflasche: Sie werden wie Ketchup über das blutige Geschehen gegossen. Die entstehende Mixtur ist geschmacklich indifferent. Noch viele, viele hundert Romanseiten wird sich dies fortsetzen und die Rechnung des Franchises dabei aufgehen: Bestseller-Status ist für die "Walking-Dead"-Trilogie vorprogrammiert. Der kritischer eingestellte Leser, der seine Lektüre durchaus mit einigen frischen Ideen versetzt vorzieht, kann auf diesen "Roman zur Blockbuster-Kultserie" - eine brachiale Wortneuschöpfung skrupel- und grammatikbefreiter Werbestrategen - getrost verzichten.
(Dr. Michael Drewniok, August 2012)
Robert Kirkman, Heyne
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