Simple Queste
Dass "Heldenwinter" keinen roten Faden hätte, kann man dem Buch wirklich nicht vorwerfen. "Heldenwinter" hangelt sich geradezu daran entlang. Es ist die typische Geschichte eines nach außen rundum gewöhnlich scheinenden Charakters, der durch ein grausames Ereignis aus dem gewohnten Trott und seiner Umgebung geworfen wird, mit seinem Mentor aufbricht in die große weite Welt, gefährliche Abenteuer besteht und letztlich zu Höherem berufen ist.
Handlungsstationen
Namakan ist ein junger Halbling, der mit anderen Waisen zusammen in einem abgeschiedenen Tal der Halblinge bei einem Menschen, Dalarr, und seiner Frau Lodaja lebt. Dalarr ist ein Schmied mit beachtlichen Fähigkeiten, der das magische Skaldat zu verarbeiten weiß. Gleich zu Beginn der Geschichte stellt sich auch der Bösewicht Waldur in denkbar grausamster Weise vor: Er schlachtet Lodaja und alle Waisenkinder bis auf Namakan ab. Übrig bleibt neben Namakan nur Dalarr, so dass die beiden nichts mehr hält und sie sich auf den Kriegspfad begeben, um blutige Rache zu üben.
Was nun folgt, sind Stationen auf dem Weg zur Rache, die wie Perlen auf einer Schnur aneinander gereiht sind. Die Gefährten treffen aus dem blauen Himmel heraus verschiedenste Charaktere, so dass nach und nach der Trupp um Namakan und Dalarr wächst. Alle sind verbunden durch den Hass auf Waldur und den schlimmen König Arvid, in dessen Namen Waldur seine Grausamkeiten verübt. Und wie nicht anders zu erwarten haben sie jeweils eine besondere Eigenschaft, Herkunft und/oder Fähigkeit, die dem gemeinsamen Vorhaben zu nützen vermag. Der Leser trifft im Laufe der Reise unter anderem auf ein Spinnenvolk, aus dessen Fängen die schöne Hexe Morittbi befreit wird, einen Grafen ohne Land, der vom üblen Schurken mit einem Gestaltwandlungsfluch belegt wurde und seine Amme, die den Mentor aus früheren Zeiten kennt und von einem Geheimnis weiß, das Dalarr dem Helden nicht enthüllen will. Es gibt sogar Elfen, die so gut wie ausgestorben sind, einen Trunkenbold von Zwerg, der von seinem Volk verstoßen wurde und eine Armee von Untoten. Einige Artefakte mit geheimnisvollen Eigenschaften werden unterwegs auch eingesammelt.
Immer wieder erzählt jeder der hinzugestoßenen Gefährten und insbesondere auch Dalarr in Einschüben ihre Geschichten á la: "und das kam so...", was zur Ausgestaltung der Hintergrundgeschichte beiträgt.
Klischees am laufenden Meter
Was die Lektüre von "Heldenwinter" so zäh macht, ist die komplette Vorhersehbarkeit. Natürlich ahnt jeder fantasyaffine Leser schon nach den ersten Kapiteln, dass weder Dalarr noch Namakan das sind, was sie zu sein scheinen. Während Dalarrs Geheimnis noch im Laufe der Geschichte gelöst wird, ist Namakans Rätsel quasi bis zum Schluss der Motivator, das Buch zu Ende zu lesen. Ist die Geschichte auf der einen Seite wenig originell, holprig konstruiert und völlig unsubtil, so ist sie zumindest auch logisch aufgebaut und die Charaktere in sich stimmig.
Sprachlich kommt "Heldenwinter" ein wenig altertümelnd derb herüber und ist gleichzeitig mit zotigen Schenkelklopfern versetzt, á la "die Panzer der Elfen [sind] härter als der Gondull eines Jünglings, der im Badehaus in den Weiberzuber steigt". Der immer wieder vorkommende Einschub der Hintergrundgeschichten ist nicht gerade raffiniert umgesetzt. Der raue Umgang und ungehobelte Ton unter den Gefährten ist konsistent, hat mich aber leider nicht angesprochen, ebensowenig wie die versprenkelten welteneigenen Worterfindungen. Teilweise wird, sicherlich unbeabsichtigt, der Eindruck einer Persiflage auf Sapkowski gemacht. Da gab es auch am Anfang der Kapitel Zitate aus fiktiven Büchern, eine etwas gestelzte Sprache, die bei Sapkowski intelligent und stimmig rüberkam, bei Heldenwinter aber nur hölzern und unfreiwillig komisch klingt.
"Heldenwinter" erweckt den Eindruck eines ausufernden Rollen- oder Computerspiels. Geschuldet ist dies sicherlich dem schlichten Aneinandereihen der einzelnen Stationen der Queste, so dass selbst die Auflösung der ganz offensichtlich gehüteten Geheimnisse nicht mit Spannung erwartet wird, dazu sind sie zu plakativ. Es fehlt zudem an einer gefühlten Verbindung des Lesers zu den Charakteren, die zwar mit ihren ganz besonderen Eigenschaften ausgestattet sind und auch interagieren, aber dennoch seltsam schnittmusterartig bleiben. Obwohl die Handlung stetig vorangetrieben wird und so auch keine Längen im eigentlichen Sinne entstehen, fehlt es dennoch an Spannung.
Ein Buch kann aus einer Kombination aus Sprache, Spannung, gedanklicher oder fantasievoller Anregung und Emotionen den Leser fesseln und kann das eine durch das andere bis zu einem bestimmten Punkt wieder ausgleichen. Der Ansatz war da, doch "Heldenwinter" fehlte es ein wenig an allem. "Heldenwinter" ist jedenfalls nichts Besonderes, was einen Leser mit nie gekannten Ideen, sprachlicher Finesse oder tief schürfenden Gefühlen vom Hocker zu reißen vermag.
(Julia Tambor, Juli 2012)
Jonas Wolf, Piper
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