Die Jahre der Toten

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
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Die Jahre der Toten
Die Jahre der Toten
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2012

Welt-Regime allgegenwärtiger Zombies

Sie haben es seit Jahren angekündigt, wurden aber wie üblich aus Kostengründen überhört: Mediziner aus aller Welt warnten deshalb vergeblich vor der Geschwindigkeit, mit der eine unbekannte, unheilbare Seuche in einer globalisierten Welt über die Menschheit kommen könnte. Genau dies ist jetzt geschehen. Irgendwo in Afrika entwickelte sich der Morgenstern-Virus. Er verwandelt seine Wirte in tollwütige Zombies. Nur ein Kopfschuss kann diese Kreaturen stoppen, sonst stehen sie selbst tot wieder auf.

Sämtliche Quarantäne- und Evakuierungsmaßnahmen versagen. Die örtlich begrenzte Seuche wird zur Pandemie: Ahnungslos tragen bereits infizierte aber zunächst noch von Symptomen freie Menschen den Virus per Flugzeug in die ganze Welt. Überall bricht die Krankheit aus. Die Behörden sind machtlos, bald muss das Militär eingreifen, doch die lebenden Toten sind bereits überall und weit in der Überzahl.

Aus dem nördlichen Afrika schlägt sich eine kleine Gruppe notverbündeter US-Soldaten und Zivilisten um den Drei-Sterne-General Francis Sherman heimwärts gen Vereinigte Staaten durch. Der Weg ist weit, und als an Bord des Schiffes, auf dem man reist, die Seuche ausbricht, gibt es kein Entrinnen. Nur wenige Überlebende erreichen ihr Ziel - und betreten einen Kontinent, auf dem der Virus die Oberhand gewonnen hat.

In Washington versucht die Morgenstern-Spezialistin Anna Demillio, ein geheimes Forschungsinstitut der US-Army im US-Staat Nebraska zu erreichen, um dort ein mögliches Gegenmittel zu entwickeln. Ihr sind nicht nur die Zombies, sondern auch ein fanatischer Beamter der Nationalen Sicherheitsbehörde auf den Fersen, der Demillio für eine Landesverräterin hält. Während die großen Städte in Flammen stehen, versuchen die beiden Gruppen verzweifelt, einen sicheren Ort zu finden, an dem sie vor den allgegenwärtigen Zombies sicher sind ...

Sie sind überall: Zombies!

Den schlappschwänzigen Nackenbeißer-Vampiren hart auf den Fersen sind in deutschen Buchläden aktuell die Zombies. Während die einen Jungmädchen-Träume befeuchten, sind und bleiben die anderen unbelehrbare Horror-Schweine: Sie verwesen im Stehen, sind unverbesserliche Kannibalen, und ihr Hirn besteht aus Matsch. Damit taugen sie überhaupt nicht als Projektionsfiguren für die oben genannte Klientel - glücklicherweise, denn so bleibt uns echten Horrorfreunden wenigstens ein Monster, das sich der Weichspülung erfolgreich widersetzen kann!

Natürlich hält sich der Unterhaltungswert kannibalischer Untoter im Gegenzug in Grenzen. Vor allem existieren sie, um zu fressen. Darüber hinausgehende Motive lassen ihre zerfallenden Hirne nicht zu. Z. A. Recht ist in diesem ersten Band seiner "Morgenstern-Virus"-Trilogie konsequent. Zwar gibt es neben den fußlahm torkelnden "Watschlern" auch die pfeilschnellen "Sprinter". Nach dem Tod wieder schlau gewordene Zombies spart der Autor jedoch aus. Die Furcht vor den wandelnden Untoten beschränkt sich deshalb auf äußere Eigenschaften: Überzahl, relative Unverwundbarkeit, Furchtlosigkeit, Kannibalismus und hässliches Aussehen.

Dies mag erschreckend genug sein, verzichtet aber als Konzept dennoch auf den wichtigsten Furcht-Faktor: einen intellektuell präsenten Gegner, der seinen Feldzug gegen die Menschheit planvoll führen kann. Allerdings wäre dieser Kampf wohl rasch entschieden, denn solchen Zombies könnten die Lebenden nicht widerstehen.

Der Zombie in uns allen

Also konzentriert sich der Schrecken, der dem Zombie innewohnt, primär auf die unbarmherzige Feindschaft eines Feindes, der gerade noch Familienmitglied, Freund oder Nachbar gewesen ist. Hinzu kommt die vollständige Auflösung bisher schützender Strukturen. Angesichts der wirklich großen Katastrophen ist in der Geschichte der Menschheit noch niemals ein Rettungsschirm groß genug gewesen. Hinzu kommt der Faktor menschlichen Versagens. Je mehr Menschen an einem Unternehmen beteiligt sind, desto höher werden die damit verbundenen Risiken. Autor Recht spielt dies sehr anschaulich mit dem Versuch nach, den gesamten Kontinent Afrika vom Rest der Welt abzuriegeln. Anfänglich ist vor allem das Militär davon überzeugt, mit Manpower und Ausrüstung die Aufgabe meistern zu können. Stück für Stück zerfällt mit der Mauer um Afrika diese Selbstsicherheit, die nahtlos in Arroganz übergeht. Hier kommt ein Feind, dem nicht beizukommen ist.

Die Konsequenzen sind spektakulär - und sie fallen beim US-amerikanischen Autor Z. A. Recht entsprechend aus: amerikanisch. Auf den anderen Kontinenten mögen die Menschen ihr Heil in der Flucht suchen. In den USA verbarrikadiert man sich und geht in die Offensive. In einem kurzen, launigen aber informativen Vorwort bringt es Bowie V. Iberra so auf den Punkt: "Der Fremde von gegenüber wird plötzlich zu deinem besten Freund. Der ´Verrückte´, den jeder wegen seiner Waffensammlung für einen Terroristen gehalten hat, wird plötzlich zu eurem größten Aktivposten. Jetzt muss man auch dem seinem Rivalen zusammenarbeiten, um einen gemeinsamen Gegner zu bekämpfen ... Die Zombie-Apokalypse bringt die Menschen einander näher." (S. 6) Der uramerikanische Pioniergeist erwacht zu neuem Leben. Wie man sich einst gegen die Briten, die Indianer oder gegen die Kommunisten gestellt hat, wird man auch die Zombies Mores lehren.

Yes, we can!

Wenn Recht diesen Punkt erreicht hat, beginnt seine Geschichte zu verflachen. Die Besonderheit einer ansonsten typischen Horror-Story lag bisher in dem ´globalisierten´ Blick auf die Apokalypse. Recht hat die Mechanismen einer Pandemie sehr genau erfasst und umgesetzt. Über viele Seite schildert er die Bemühungen, der Morgenstern-Seuche Einhalt zu gebieten. Forscher, Katastrophenschutz-Behörden, das Militär und sogar Politiker arbeiten dabei zusammen. Selbstverständlich vereinfacht Recht, aber seine Darstellung funktioniert und fasziniert.

Dem allgemeinen Zusammenbruch folgt wie angedeutet der regionale Pakt des zur Zusammenarbeit bereiten Individuums. Leider aber sehr typisch verknüpft Recht dies mit einer allgemeinen, nicht sehr zielsicheren und eher aus dem Bauch kommenden Kritik an einer US-Regierung, der man spätestens seit dem 9/11-Inferno jede Dumm- und Bosheit zutraut. Hier begibt sich Recht auf ein Terrain, das von Verschwörungsfanatikern, Survival-Rednecks u. ä. Spinnern bevölkert wird, die sogar noch gefährlicher als Zombies sind.

Hatte Recht bisher die Welt im Auge, verengt sich im letzten Drittel sein Fokus auf zwei kleine Gruppen, die in einem chaotischen Amerika nicht nur um ihr Leben kämpfen, sondern gleichzeitig eine Mission verfolgen - selbstverständlich, muss man sagen, denn der wahrlich Tüchtige denkt nie nur an sich selbst, sondern auch an die Rettung der Welt. Von dieser antiquierten, nicht nur in Hollywood gepflegten Haltung will oder kann auch Recht nicht lassen. "Die Jahre der Toten" verwandelt sich in die bekannte Abfolge von Kämpfen Mensch gegen Zombie, die in dunklen Kellern, unübersichtlichen Lagerhäusern oder in dreiseitig umbauten Hinterhöfen stattfinden. Dabei kommt ein vom Verfasser detailtreu in Konstruktion und Wirkung beschriebenes Waffenarsenal zum Einsatz; es lässt sich jederzeit ergänzen, da überall im Land vorsichtige Bürger (s. o.) entsprechende Lager angelegt haben.

Geprüft & für hart genug befunden

Mit der Figurenzeichnung hapert es, was vielleicht auch dem Alter des Verfassers geschuldet ist: Z. A. Recht war gerade 23 Jahre ´alt´, als er "Die Jahre der Toten" veröffentlichte. Dies hat auf der anderen Seite durchaus Vorteile: Die Handlung bleibt von vielen einschlägigen Klischees verschont. Es gibt keine "Love-Amongst-the-Ruins"-Interludien, Familiendramen oder ähnliche Seifenoper-Einschübe, mit denen gern Zeit geschunden wird. Auch der bekannte Diktator, der die Überlebenden härter drangsaliert als die Zombies, bleibt (noch) ausgespart.

Klug hält sich der Verfasser daran, was er meistern zu können glaubt. Dies gelingt ihm abermals in den ersten beiden Roman-Dritteln besser. Als er sich seinen Hauptfiguren, die sich ohnehin erst im Verlauf der Handlung herauskristallisieren, stärker nähert, verschwimmen die Konturen. Plötzlich gewinnt an Bedeutung, was Recht bisher in Frage zu stellen schien. Der ´gute´ General Sherman gibt seine Männer zwar frei, die jedoch unter Beibehaltung des militärischen Zeremoniells sämtlich bei ihm bleiben. Sie werden sogar noch patriotischer, falls dies überhaupt möglich ist, wobei "patriotisch" hier im ursprünglichen Sinn gemeint ist und das Festhalten an nunmehr obsolet gewordenen Vorschriften und Regeln ausdrücklich ausklammert: Sherman und seine Männer schlagen sich direkt auf die Seite derjenigen, die sie bisher höchstens im Ausland beschützen sollten. Die Kavallerie ist da, um die bedrohten Siedler vor den Indianern zu schützen, die dieses Mal indes (politisch korrekt) alle Ethnien vertreten.

"Die Jahre der Toten" - für den seltsamen deutschen Titel, der wohl vor allem eindrucksvoll klingen soll, kann der Autor nichts: Die "Jahre" beschränken sich auf die Monate von September 2006 bis Januar 2007 - endet mit einem Cliffhanger. Die Handlung wird in "Thunder and Ashes" - in Deutschland abermals dämlich mit "Der Aufstieg der Toten" ´übersetzt´, obwohl diese schon in Band 1 die Macht übernommen haben - fortgesetzt. Man darf gespannt sein, denn Z. A. Recht weiß, wie man unterhält, und schreiben kann er auch: keine Selbstverständlichkeit gerade im Sub-Genre Zombie-, Atommutanten- und Killer-Horror, in dem sich viel zu viele Autoren darauf beschränken, durch die Reihung möglichst ´schockierender´ Meuchel-Szenen zu langweilen und dabei vor Sätzen mit mehr als fünf Wörtern zurückscheuen.

(Dr. Michael Drewniok, Juli 2012)

Die Jahre der Toten

Z. A. Recht, Heyne

Die Jahre der Toten

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