Scrooge - Ein Zombie-Weihnachtsmärchen
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 2012
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Weihnachtliches Zombie- und Humor-Massaker
Ebenezer Scrooge genießt im London des 19. Jahrhunderts einen legendären Ruf als Geizhals und Geldverleiher. Er liebt den Mammon und verabscheut die Menschen, seit er als Kind auf einem Friedhof überfallen von einem Verrückten und in Todesangst versetzt wurde. Selbstverständlich ist Scrooge unverheiratet und hat keine Freunde; gerade ist sein ehemaliger Geschäftspartner Jacob Marley gestorben, mit dem er sich vor Jahren überworfen hatte.
Doch am bitterkalten Heiligen Abend vor Weihnachten taucht eben dieser Marley in Scrooges Heimstatt auf - mausetot aber sehr agil und bestrebt, seinem Opfer das Gehirn aus dem Schädel zu fressen: Marley ist zum Zombie mutiert! Diese Information verdankt Scrooge einem Geist, der ihm kurz darauf erscheint. Darüber hinaus muss er feststellen, dass in dieser Nacht überall in London Zombies über die Lebenden herfallen. Ausgerechnet er, Scrooge, ist nach Auskunft des Geistes immun gegen die Seuche und der einzige Mensch, der ihren Ausbruch verhindern kann.
Wie dies zu bewerkstelligen ist, muss Scrooge selbst herausfinden. Zwei weitere Geister sollen ihm bei der Erkenntnisfindung helfen. Der eine nimmt ihn in eine Zukunft mit, in der die Zombies erst England, dann Europa und schließlich die ganze Erde überrollt haben, der andere kehrt mit ihm in die Vergangenheit und an den Ursprungsort der Seuche zurück.
Bei diesen Reisen durch Zeit und Raum trifft Scrooge nicht nur prominente Zeitgenossen wie Königin Viktoria oder die Schriftsteller Charles Dickens und H. G. Wells, sondern immer wieder sich selbst, der in unterschiedlichen Parallelwelten zu überleben sowie das Rätsel der Zombies zu lösen versucht. Als er schließlich hinter das Geheimnis kommt, konfrontiert ihn dies mit einem Feind, der deutlich heimtückischer als die Untoten ist ...
Vom Ursprung (auch) des Blöden
Am 19. Dezember 1843 veröffentlichte der Verlag Chapman & Hall eine Novelle des Schriftstellers Charles Dickens. Dieser musste die Kosten selbst übernehmen; eine gute Investition, denn "A Christmas Carol" ging nicht nur in die Literatur-, sondern auch in die Kulturgeschichte ein. "Eine Weihnachtsgeschichte" erschien in den Sprachen dieser Welt, wurde als Theaterstück adaptiert, als Hörspiel ausgestrahlt und selbstverständlich immer wieder verfilmt. Zu tief hatte Dickens an einem Nerv gerührt, der beim Menschen vor allem zur Weihnachtszeit empfindlich ist: Ebenezer Scrooge, ein hartherziger aber nicht grundsätzlich böser, sondern eher unglücklicher Mensch, wird durch den Besuch seines verstorbenen Geschäftspartners sowie durch eine Art Zeitreise durch das eigene Leben, auf der ihn drei Geister führen, aus seiner Gefühlsstarre gerissen und verwandelt sich in einen Menschenfreund.
Dies las sich schon 1843 naiv und ging doch ans Herz, weil Dickens alle Register zog. "A Christmas Carol" wurde zu DER Weihnachtsgeschichte. Noch die geringste Nebenfigur gewann eigenen Ruhm. Der arme, kleine, kranke "Tiny Tim" schaffte es sogar ins 3. Jahrtausend und trat als weihnachtsgeplagter, reparaturanfälliger Roboter in der Zeichentrickserie "Futurama" auf. Und Ebenezer Scrooge verschmolz ab 1947 kongenial mit Scrooge McDuck alias Dagobert Duck.
Was bereits darauf hinweist, dass nicht sämtliche Leser in Bewunderung oder Rührung zerflossen. "A Christmas Carol" birgt wie jeder Archetyp bereits den Keim der eigenen Parodie in sich. Die Konstruktion der Story bietet wunderbare Kontakt- bzw. Angriffsflächen. Drei Geister erscheinen, die Scrooge sein in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verpfuschtes Leben vor Augen führen. Diese Episoden lassen sich mit eigenen Inhalten füllen, was die Geschichte in völlig neue Bahnen lenkt.
Abkupfern und umformen
Adam Roberts ist nur einer von unzähligen Autoren, die sich der Dickenschen Vorlage bedient haben. Roberts gilt als Humorist, was zwar keinesfalls zutrifft, seinem Erfolg jedoch keinen Abbruch tut, da der Autor schlau genug ist, sich nicht auf sein diesbezügliches Talent zu verlassen, sondern sich an aktuelle Erfolgstrends hängt, die er ´witzig´ veredelt. So stieß es u. a. der "Millenium"-Trilogie von Stieg Larsson, aber auch dem Film-Dreiteiler "Der Herr der Ringe" zu, der Roberts gleich zu zwei Parodien inspirierte; zum "Hobbit"-Dreiteiler ist er erneut mit einem entsprechenden Werk am Start.
Nun ist die "Weihnachtsgeschichte" zwar alles andere als aktuell, aber Roberts fand dennoch seinen Zugang: Derzeit höchst erfolgreich sind in allen Unterhaltungsmedien die Zombies. ´Dank´ des Autors Seth Grahame-Smith und seines Untoten-Ulks "Pride and Prejudice and Zombies" (dt. "Stolz und Vorurteil und Zombies") existiert seit 2009 sogar eine Horror-Nische, in der die Klassiker der Literaturgeschichte von lebenden Leichen gestürmt werden.
Darauf beschränkt sich der unterhaltsame Mehrwert in der Regel, was den humoristischen Reiz - falls überhaupt vorhanden - rasch verfliegen lässt. Nichtsdestotrotz hieb auch Adam Roberts gleich 2009 beherzt in die vorgegebene Kerbe. Da der "Monster-Mash-up" zur Verbrauchs-Literatur mit begrenzter Haltbarkeit gehört, griff sich Roberts keinen Roman, sondern eine Novelle heraus. So konnte er die Arbeit minimieren, die es mit sich brachte, Ebenezer Scrooge mit einer Zombie-Epidemie zu konfrontieren, und das Ergebnis so rasch wie möglich auf den Buchmarkt werfen.
"Witz ist glitzernder Schaum der Oberfläche"
So sprach der Dichter Peter Sirius (1858 - 1913), um so fortzufahren: "Humor ist die Perle aus der Tiefe." Mit der ersten Feststellung liegt er richtig, mit der zweiten stellt er fest, was Adam Roberts nicht geborgen hat. "Eine Weihnachtsgeschichte" plus Zombies! Was konnte da schiefgehen? Vom Standpunkt des Marketings vermutlich nichts, denn dass sich hinter dieser unschlagbaren Kombination ein denkbar witzflaues und auch sonst mattes Machwerk verbirgt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für das Weihnachtsgeschäft und dort als nettes, angenehm kostengünstiges Geschenk für den lesenden Gruselfreund taugt dieses "Weihnachts-Zombiemärchen" allemal.
Nur in dieser Funktion ist es denn auch erträglich. Schon nach wenigen Seiten fragt sich der ungeachtet des Themas entgeisterte Leser, welcher Teufel den Verfasser geritten haben mag. "Eine Weihnachtsgeschichte" und Zombies passen zumindest so, wie Roberts die Sache angeht, eben nicht zusammen. Die Untoten werden einer Handlung gewaltsam aufgezwungen, in der sie sichtlich gar nichts verloren haben. Roberts´ Scheitern ist mindestens so schmerzhaft wie ein Zombiebiss, seine Horror-Humor-Mixtur nicht einmal un-, sondern mausetot.
Das Spiel mit dem Original, das wenigstens in der Grundstruktur unberührt bleiben muss, damit die parodistischen Verfremdungen umso stärker wirken, ist auch deshalb verlorene Liebesmühe, weil die Mehrheit der modernen Leser die historische Vorlage selbst nicht kennt. Etwaige Wortspiele gehen deshalb sowie in der Übersetzung verloren. Lieblos aufgepfropfte Zombie-Ekeleien bieten keinen Ersatz, da ihr Zweck allzu eindeutig ist: Roberts lässt beißen, wenn und weil ihm keine logische Fortsetzung der sinnlosen Story einfällt.
Missratener Humor kann Schmerzen bereiten
Charles Dickens nahm sich die Zeit, nicht nur Ebenezer Scrooge, sondern auch seinen geplagten Angestellten Cratchit oder den Neffen Fred sorgfältig zu charakterisieren. Jacob Marley, den Roberts im Rahmen einer Zombie-Metzelei verheizt, ist eine für die Handlung wichtige Figur, zeigt sie Scrooge doch als Geist, wie auch er enden könnte, und leitet den Besuch der drei Weihnachts-Geister ein.
Roberts lässt diese ohne entsprechende Ankündigung auftreten, was nicht nur Scrooge, sondern auch der Leser spätestens dann übelnimmt, als sich der "Geist der künftigen Weihnacht" als Prolet aus dem 21. Jahrhundert entpuppt. Sein Dummsprech-Slang soll komisch sein, lädt aber zumindest in der deutschen Übersetzung nur zum Fremdschämen ein.
Besondere Botschaften haben die Geister nicht an Scrooge. Stattdessen schleppen sie ihn durch die Lüfte und lassen ihn beobachten, wie die Zombies durch die Straßen von London toben. Dies bringt zwar die Geschichte nicht voran, bietet dem Verfasser aber Raum für ´witzige" Episoden, in denen u. a. Königin Viktoria einen Zombie mit der Reichskrone erledigt oder Jack the Ripper - der in Scrooges Epoche gar nichts verloren hat - unter die Untoten gerät.
Die Story selbst bietet in einem endlosen Mittelteil Zeitreise-SF aus zweiter bis dritter Hand. Schließlich kehrt Scrooge ins 19. Jahrhundert zurück und wird endlich in ein nicht einmal als Witz funktionierendes Komplott eingeweiht. Eine Auflösung erspart sich Roberts; die Geschichte endet quasi mitten im Satz. Auf diese Weise erreicht des Lesers "Gehürn!", nach dem die Zombies ständig rufen, jene Weißglut, die es ermöglicht, ihm den Autorennamen "Adam Roberts" als ewig dem Vergessen trotzende Warnung einzugravieren.
(Dr. Michael Drewniok, November 2012)
Adam Roberts, Bastei-Lübbe
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