Die Wandlung
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2012
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Gefangen zwischen Eis und Maschinen-Zombies
Franz-Josef-Land ist ein Insel-Archipel in der arktischen Barentssee. Bis zum Nordpol ist die Entfernung deutlich geringer als zu jeder Stadt irgendwo auf dieser Erde. An diesem öden Ort und sogar noch einen Kilometer vor der Küste steht in der eisigen See "Kaskar Rampert", eine gigantische Erdöl-Förderstation, die gleichzeitig Raffinerie ist.
Als das Öl noch aus dem Meeresboden gepumpt wurde, arbeiteten hier tausend Menschen rund um die Uhr für den Konzern "Con Amalgan". Doch der Quelle ist versiegt, und "Kaskar Rampert" steht vor der Stilllegung. Noch 15 Männer und Frauen verlieren sich in den Gängen und Räumen der Station; sie halten die Anlage in Ordnung und warten darauf, endlich abgeholt zu werden.
So weit jenseits der Zivilisation werden Neuigkeiten nur indirekt zur Kenntnis genommen. Die Rumpfbesatzung begreift deshalb nicht wirklich, was es tatsächlich bedeutet, als sie die Nachricht einer global wütenden Pandemie erreicht: Überall mutieren Menschen zu mörderischen Bestien. Da die Infektion sich rasant ausbreitet, brechen Gesetz und Ordnung zusammen.
Angesichts dieser Katastrophe denkt niemand an die Pechvögel auf "Kaskar Rampert". Dort begreift man, dass man sich selbst helfen muss. Die Notlage ist dem Zusammenhalt keineswegs zuträglich. Eine über Franz-Josef-Land abstürzende Raumstation bringt zudem die Seuche auch auf die Station. Zwischen den Infizierten und den Gesunden brechen erbitterte Kämpfe aus. Gleichzeitig streiten die noch nicht Erkrankten um die wenigen Ressourcen.
Als ein riesiges Kreuzfahrtschiff angetrieben wird, scheint sich die Lage zum Besseren zu wenden. Doch hier warten nicht nur Nahrungsmittel und dringend benötigte Medikamente: Passagiere und Besatzung sind grässlich mutiert und hungrig an Bord geblieben und empfangen die Besucher mit offenen Armen und Mäulern ...
Ein Unglück kommt selten allein
Ein Romandebüt gleicht einer Wundertüte: Der Inhalt kann überraschen oder ärgern. Dabei gibt jeder neue Autor sich Mühe, hat womöglich Jahre in seinem Erstling investiert, ihn mit Herzblut geschrieben und dabei alles hineingepackt, was ihm zum Thema eingefallen ist.
"Die Wandlung" ist definitiv ein solcher Roman. Er birst geradezu vor Action und schlägt dabei immer neue Handlungshaken, die im Grunde eigene Nebengeschichten sind. Faktisch begeht Autor Adam Baker damit einem typischen Anfängerfehler: Er begräbt seine Story unter einem Overkill immerhin spannungsreicher Szenen, bis aus einem Roman eine Sammlung mitunter mühsam verbundener Episoden geworden ist, die als Grundlage für eine TV-Serienstaffel taugt. Was soll beispielsweise Nikkis ausführlich geschilderte Bootsfahrt gen Europa, die plötzlich wieder am Ausgangspunkt endet? Hier sieht es aus, als wolle uns Baker neugierig machen und einen Blick auf das verheerte Festland werfen lassen, dem er sich - man zieht es keinen Augenblick in Zweifel - in einem Fortsetzungsroman widmen wird.
Hinzu kommt ein gewisser Gottkomplex des Verfassers, der als Schöpfer seiner Geschichte über deren Entstehung und Verlauf gebietet. Was in der Bibel recht planmäßig wirkt, wird bei Baker allerdings zu einer Kette reichlich unwahrscheinlicher Zufälle: Eine Raumstation stürzt ab, ein Riesenschiff treibt vorbei, unter der Insel-Oberfläche tut sich plötzlich eine ganze Höhlenwelt auf.
Dabei böte allein die gewaltige Förderplattform "Kaskar Rampart" mehr als genug Schauplätze für Katastrophen und Intrigen. In der Tat breitet Baker eine breite Palette entsprechender Ereignisse vor seinen Lesern aus, die sich später an Bord der zum Geister- bzw. Zombieschiff gewordenen "Hyperion" und in den Grusel-Gewölben unter der Insel leicht variiert bzw. ins Absurde gesteigert wiederholen. Faktisch zerfällt "Die Wandlung" in drei Teile, die Baker in Großkapitel einteilt; ein viertes Kapitel beschreibt das große Finale, das jedoch als Höhepunkt mit dem Vorgeschehen nicht mithalten kann.
Die Maus in der Falle
Wie verhalten sich Menschen unter Druck? Die Antwort auf diese Frage ist mindestens so spannend wie die Umstände, die zur Krise führen. Baker schlägt sich in beiden Punkten gut. Obwohl oder gerade weil er kein begnadeter Figurenzeichner ist, gelingen ihm Protagonisten, deren Schicksale den Leser kümmern. Bakers Trick ist es, die Charaktersierungen nicht zu übertreiben. Viele Autoren schinden gern Seiten mit ellenlangen Rückblenden in frühere Leben, die selten wirklich interessieren. Baker kann entsprechende Anwandlungen nicht vollständig unterdrücken, hält sich aber zurück.
Hilfreich ist dabei die nicht allzu intensive Fixierung auf Jane Blanc, die zunächst als Hauptfigur eingeführt wird und dies durchaus bleibt, ohne dabei allzu dominant zu sein. An ihre Seite rücken weitere Figuren, denen Baker genug Raum bietet, eigene Persönlichkeiten zu entwickeln. Natürlich schlagen dabei einschlägige Klischees durch, selbst wenn der Autor sich sichtlich um die Vermeidung einer Schwarz/Weiß-Zeichnung bemüht. Da "Die Wandlung" pure Genre-Unterhaltung ist, wird dies kein gravierender Kritikpunkt.
Die Verbindung zwischen Figur und Leser ist Baker auch deshalb wichtig, weil er sich in der Handlungsführung sehr modern gibt: Der Bodycount ist außerordentlich hoch, und niemand ist vor einem bösen Ende sicher. In dieser Hinsicht erinnert "Die Wandlung" an moderne TV-Serien wie "The Walking Dead", in denen Sicherheit ebenfalls zum Fremdwort geworden ist.
Apokalypse in der Eiswüste
Vor allem in den letzten Jahren lassen (Dreh-) Buchautoren Zombies über die gesamte Erde ausschwärmen. Die Arktis blieb bisher ausgespart; ökonomische Verfasser stehen wohl sehr richtig auf dem Standpunkt, dass eine elementare Bedrohung pro Geschichte genügt, während ein Zuviel an lebenskritischen Umständen die Spannung aushebelt.
In unserem Fall ist die Umwelt mindestens ebenso lebensfeindlich wie die Seuchen-Zombies, die dort ihr Unwesen treiben. Baker versteht es, diese Drangsale gleichgewichtig zu beschreiben. Da "Die Wandlung" viele gefahrenreiche, gruselige, tragische Ereignisse aneinanderreiht, verinnerlicht der Leser ein Konzept, das ihn sonst vielleicht stören würde. Schließlich hat er sich nicht nur daran gewöhnt, dass immer wieder neue Schrecken über die schmelzende Schar der "Kaskar-Rampart"-Besatzung hereinbrechen - er erwartet sie!
Enttäuscht wird er nicht. Baker hat sich (marginal) Neues einfallen lassen. Die von der Seuche Hingerafften benehmen sich zwar wie Zombies, sind aber keine: In den Körpern sprießen Metallstränge u. a. metallene Zusätze, weshalb die Opfer sich allmählich in Menschmaschinen verwandeln. Über die genaue Ursache schweigt Baker sich aus; auch dies wird er zweifellos in einer Fortsetzung aufgreifen. Unter dieser Prämisse relativiert sich auch das Problem eines Finales, das nicht als solches wirkt, weil es tatsächlich keines ist, sondern nur Auftakt für weitere Abenteuer, die den wenigen Überlebenden der "Kaskar Rampart" bevorstehen.
Die Story steht über dem Spektakel
Obwohl es hart zur Sache geht und reihenweise Schädel gespalten, Körper zerstückelt oder Leichen gefressen werden, beschränkt sich Baker nie auf die möglichst detailfreudige Zurschaustellung solcher Gräuel. Sie sind Teil der Geschichte, statt die Geschichte zu ersetzen. Die Suche nach einer Fluchtmöglichkeit ist als roter Faden stets präsent. Entsprechende Möglichkeiten werden ausgelotet, die Infizierten sind nur Teil der dabei auftauchenden Probleme. Für diese Entscheidung ist der Leser dem Verfasser sehr dankbar: Nichts ist langweiliger als eine endlose Folge von Metzeleien, die sich in ihrer natürlichen Limitierung - wie viele Möglichkeiten gibt es, einen Körper zu pürieren? - letztlich kontraproduktiv ins Lächerliche verkehren.
Baker ist weder raffiniert oder originell, aber er weiß, wie er seine Geschichte zu erzählen hat. Sie ist zwar bei nüchterner Betrachtung deutlich zu lang geraten, weil der Verfasser sich nicht bändigen konnte. Auf der anderen Seite sprudelte die Quelle gern schräger Einfälle so reichhaltig, dass daraus ein triviales, möglicherweise ausgeartetes aber inhaltlich jederzeit unterhaltsames Garn entstanden ist, das einen angenehmen Kontrast zu den Action-Dümmlichkeiten eines James Rollins oder Matthew Reilly bietet. Abgerundet wird dieses Vergnügen durch die Tatsache, dass Baker schreiben kann (bzw. dies durch eine gelungene Übersetzung bewahrt bleibt). Deshalb sorgt der Gedanke an die nun schon mehrfach erwähnte Fortsetzung nicht für augenverdrehenden Verdruss, sondern für Erwartung.
(Dr. Michael Drewniok, Mai 2012)
Adam Baker, Blanvalet
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