Nacht über Villjamur
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- Erschienen: Januar 2012
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In den Fußspuren China Miévilles
Zu den großen Vorbildern des jungen Autors Mark Charan Newton zählen China Miéville und Gene Wolfe. So verwundert es nicht, dass seine Werke am ehesten in die literarische Kategorie New Weird einzuordnen sind. Keine Angst, Newton liefert keineswegs Plagiate von Miévilles oder Wolfes Werken ab. Die Gemeinsamkeit zu diesen Autoren besteht eher in dem Bestreben Genre-Grenzen zu überschreiten und innovatives Lesefutter abseits jedweder Normen zu bieten.
"Nights of Villjamur" ist der Auftaktroman der vierbändigen Reihe "The Legends of the Red Sun". Das Buch ist vornehmlich Fantasy, bindet aber auch immer wieder Elemente anderer Genres, wie z.B. Science-Fiction, Horror oder Krimi, ein.
Villjamur ist die Hauptstadt des mächtigen und reichen Jamur-Imperiums und erstreckt sich über eine nördliche Inselgruppe. Wissenschaftler und Kultisten des Imperiums warnen vor einer bevorstehenden Eiszeit, welche mindestens 50 Jahre andauern und Tod und Verderben bringen soll. Tausende Flüchtlinge lagern vor den Toren der Stadt in der Hoffnung auf Schutz vor der Kälte. Der Imperator Johynn Jamur hat bereits die Einlagerung riesiger Mengen Feuerholz und Getreide veranlasst, um Villjamur durch den langen Winter zu bringen, jedoch drohen dem Imperium noch ganz andere Gefahren. Johynn ist mit der Situation psychisch überfordert und seine ältere Tochter und Thronerbin Rika entfremdet sich zunehmend von ihm. Auch Johynns jüngere Tochter Eir vermag es nicht, seine seelischen Schmerzen zu lindern, jedoch findet sie durch die Ankunft des Schwertkampf- und Tanzlehrers Randur Estevu etwas Freude im Leben. Randur hingegen ist nicht derjenige, der er zu sein scheint und verfolgt seine ganz eigenen Ziele.
Der erfahrene Ermittler Rumex Jeryd muss unterdessen den Mord an einem wichtigen Ratsmitglied untersuchen. Als Jeryd der Ursache auf den Grund geht, stellt er fest, dass das Imperium von Korruption durchsetzt ist und er selbst vermeintlichen Verbündeten nicht mehr trauen kann. Nebenbei versucht er zudem seine kriselnde Ehe zu flicken.
Der Albino Brynd Lathrea ist Kommandeur der Nachtwache, einer Elite-Einheit, die dem Schutz des Reiches dient. Er wird auf eine wichtige aber harmlose Mission geschickt, die sich letztlich als alles andere als ungefährlich herausstellt. Zudem hütet Brynd ein persönliches Geheimnis, dessen Bekanntwerden noch weitaus gefährlicher für ihn sein könnte als seine Profession.
Eine Stadt als Protagonist
Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt, darunter auch einige, die in dieser Rezension keine Erwähnung finden. Hinter den Perspektiven verbergen sich verschiedene Handlungsstränge, die teils mehr und teils weniger ineinander verwoben werden. Jede Perspektive hat ihren eigenen Reiz. Zum Beispiel verbirgt sich hinter der Perspektive des Rumex Jeryd beinahe so etwas wie ein Detektivroman. Der eigentliche Star dieser Geschichte ist jedoch keine der Personen, aus deren Sicht erzählt wird, sondern die Stadt Villjamur selbst. Villjamur ist nicht nur eine Ansammlung von Steinen, Holz und Stroh. Dank der sehr plastischen Beschreibung des Autors erhält die Stadt ihren eigenen Rythmus und Charakter. Man fühlt förmlich ihren Herzschlag, den eisigen Atem, den dekadenten Frohsinn und die Ignoranz in den Vierteln der Reichen und den Dreck, die Angst sowie den Schmerz in den Vierteln der Armen. Man sieht sie genau vor sich mit ihren verschneiten Dächern, getüncht in das rötliche Licht der sterbenden Sonne.
Rumel, Dawnir und Kultisten statt Elfen, Orks und Zauberer
In Newtons Welt tummeln sich zahlreiche Rassen und Kreaturen, welche zum Teil schon aus anderen Fantasy-Werken oder Mythologien bekannt sind. Elfen, Zwerge und Orks sind nicht vertreten, jedoch von den bekannten Vertretern geben unter anderem Garudas (indische Mythologie) und Banshees (irischer Volksglaube) ihr Stelldichein. Besonders zwei Rassen spielen neben den Menschen in diesem Roman eine bedeutende Rolle. Zum einen sind hier die Rumel zu nennen, eine langlebige Rasse, welche neben den Menschen den größten Anteil der Population Villjamurs ausmacht. Wegen ihrer Langlebigkeit (etwa dreimal so lang wie Menschen) besetzen sie auch viele wichtige Ämter, in denen es auf Erfahrung und über Jahrzehnte angesammeltes Wissen ankommt. Rumex Jeryd, Ermittler der Inquisition, ist ein Vertreter dieser Rasse. Leider sind die Beschreibungen zu den Rumel recht sparsam eingestreut, sodass es schwerfällt sich diese Rasse vorzustellen. Die andere für Handlung wichtige Rasse sind die Dawnir, eine einst mächtige und extrem langlebige Rasse, deren technischer Fortschritt legendär ist. Die Zivilisation der Dawnir ist jedoch längst untergegangen und lediglich Jurro, der vermutlich letzte der Dawnir, lebt noch in Villjamur. Jurros Existenz ist ein wohlgehütetes Geheimnis, das nur wenigen bekannt ist. Dummerweise hat Jurro sein Gedächtnis verloren und somit bleiben die größten Errungenschaften der Dawnir wohl für immer verschollen. Immer wieder werden Relikte der Dawnir gefunden, aber nur die Kultisten sind in der Lage einige dieser Relikte zu benutzen und ihnen magieähnliche Wirkungen zu entlocken.
Viele Relikte sind selbst den erfahrensten und mächtigsten Kultisten zu komplex, um sie nutzbringend einzusetzen. Die Erforschung der Relikte ist nicht nur eine nützliche, sondern auch eine äußerst gefährliche Wissenschaft. Die Kultisten spalten sich in mehrere sektenartige Gruppen auf, welche sich untereinander nicht unbedingt freundlich gesinnt sind und sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. Der Konflikt zwischen den Kultistengruppen macht einen weiteren Reiz dieser Geschichte aus.
Es gibt viel zu entdecken in "Nights of Villjamur", weit mehr als ich in dieser ohnehin schon zu lang geratenen Rezension angerissen habe. Nicht alles ist perfekt gelungen. Einige Charaktere lassen etwas Tiefe vermissen. Hier und da wäre etwas mehr Hintergrundwissen schön gewesen, z.B. hinsichtlich der politischen Landschaft in Villjamur. Einige Schilderungen sind unnötig drastisch, als dienen sie nur der Effekthascherei. Das alles ist jedoch Meckern auf hohen Niveau, denn Newton ist hier ein vielseitiger und interessanter Auftaktband, abseits ausgetretener Pfade, gelungen.
(Bernhard Renner, April 2012)
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