Ritus
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2006
- 40
Ein Thema – zwei Zeiten
Es ist nicht ungewöhnlich, wenn in einem Roman zwei Handlungsstränge kapitelweise abwechselnd erzählt werden. Auch der große örtliche Abstand – Heitz wechselt zwischen Frankreich auf der einen sowie Deutschland, später auch Russland und Kroatien auf der anderen Seite – ist nicht das Besondere. Daß jedoch zwischen der Story um Jean Chastel und der um Eric von Kastell 240 Jahre liegen, hebt ";Ritus"; vom Aufbau her schon aus der Masse solcher Romane etwas hervor. Doch Sinn macht diese Konstruktion für den Leser meiner Ansicht nach überhaupt keinen und logisch gerechtfertigen lässt sie sie ebenfalls nicht.
Eine Bestie wütet im Süden Frankreichs im Jahre 1764. Nicht nur Schafe, sondern auch Menschen, insbesondere Frauen und Kinder werden auf bestialische Weise getötet. Aufgrund der ausgesetzten hohen Belohnung macht sich der Wildhüter Jean Chastel zusammen mit seinen beiden Söhnen Pierre und Antoine wie so viele andere Jagd auf das unbekannte Wesen, von dem die meisten glauben, daß es sich um einen Wolf handelt. In ihrer Falle finden die drei jedoch ein merkwürdig aussehendes Wesen. Erst als sich dieses nach seinem Tod in einen Menschen verwandelt, wird ihnen klar, daß es sich um einen Loup-Garou – einen Werwolf – handelt. Da sie keinen Beweis für das haben, was sie erlebt haben und nur ein toter Mensch in ihrer Falle verblieben ist, behalten sie ihr Wissen für sich.
Daß das erlegte Tier jedoch nicht das einzige seiner Art war, merken die Chatels, als sie von einem seiner Artgenossen angegriffen werden. Dabei werden die beiden Söhne schwer verletzt. Die Chatels sind Einzelgänger und werden von der Bevölkerung gemieden. Vater Jean ist als Gotteslästerer verschrieen und seinem jüngeren Sohn Antoine sagt man pädophile Neigungen nach. Pierre, der ältere Sohn, leidet seit dem Angriff an einem merkwürdigen Fieber und anschließenden Gedächtnisstörungen. Als er nach einem Anfall blutbefleckt wieder zu sich kommt, hat er Angst, selber zu einem Werwolf geworden zu sein. Schon bald wird klar, daß beide Söhne infiziert wurden und fortan als Wandelwesen leben müssen. Vater Jean sucht verzweifelt nach einem Ausweg.
Aufgebaut auf historischen Geschehnissen
Markus Heitz hat für seinen Roman reale Geschehnisse aus dem 18. Jahrhundert zum Vorbild genommen. Der Mythos der ";Bestie von Gévaudan"; diente bereits als Vorbild für den französischen Film ";Pakt der Wölfe"; aus dem Jahr 2001, von dem sich der Autor offenbar stark beeinflussen ließ. Hunderte von Menschen kamen damals im Süden Frankreichs auf grauenvolle Weise ums Leben, doch die genaue Ursache konnte nie aufgeklärt werden.
Im Jahr 2004 sind Lykantrophen – so der Sammelbegriff für Wandelwesen zwischen Mensch und Tier – noch immer nicht ausgerottet. Dies aber ist nur einer kleinen Zahl von Menschen bekannt wie Eric von Kastell, der zusammen mit seinem Vater Jagd auf die Bestien macht, die im Verborgenen leben, und sie zu Dutzenden tötet. Nachdem sein Vater bei der Jagd sein Leben lassen musste, ist Eric nun ganz auf sich allein gestellt. Quer durch ganz Europa von Deutschland über St. Petersburg bis nach Kroatien verfolgt er die Bestien.
Mit dem Wildhüter Jean Chatel sowie Eric von Kastell hat Markus Heitz zwei völlig unterschiedliche Typen von Protagonisten erschaffen. Chatel ist eher ein ruhiger Familienmensch. Nach dem Tod seiner Frau, den er nicht verwinden kann, fühlt er sich von Gott verlassen und wird zum Einzelgänger. Doch tief in seinem Inneren ist er ein herzensguter Mensch, der Liebe und Zuneigung sucht. Der Porsche Cayenne-Fahrer Eric dagegen mit seinen Stiefeln und seinem Lackledermanter ist ein Macho, wie er im Buche steht. Im Gegensatz zum realistischen Chatel ein absolut unnatürlicher und überzeichneter Charakter. Eine hübsche Frau wird mal eben so im Vorbeigehen genommen. Auch nach dem Verkehr bleibt er beim höflichen ";Sie";, denn er will ja schließlich keine Bindungen eingehen.
So unterschiedlich wie die Protagonisten ist aber auch die Atmosphäre, was zwangsläufig durch die unterschiedlichen Zeiten nicht verwunderlich ist. Auf der einen Seite das Frankreich des 18. Jahrhunderts mit Klöstern und Kutschen, Jägern und Edelmännern, so wie man es sich aus unserer Warte heraus vorstellt. Dagegen auf der anderen Seite ein Europa der Gegenwart, wie man es allenfalls aus Science Fiction-Filmen kennt. Dunkel, schmutzig, schnell und kalt – eine Welt mit einem Protagonisten, die frappant an ";Blade"; erinnert. Der einsame Jäger, der in Windeseile von Ort zu Ort reist, um seine Feinde zu erlegen; viel Drumherum bleibt da nicht.
Die Enttäuschung kommt zum Schluß
Als Leser ist man permanent zur Story in Frankreich hingezogen, die gut aufgebaut und flüssig erzählt ist, wenn auch die sprachlichen Mittel eher bescheiden sind. Die Geschehnisse der Gegewart dagegen bilden oft nur eine lästige Pausen-Action, die man gerne überfliegen möchte.
Eine direkte Verbindung zwischen den beiden Handlungsstängen entsteht nicht. Der Leser hat im Prinzip zwei völlig unabhängige Stories vor sich, die er abwechselnd verfolgen kann. Für Spannung ist dabei ausreichend gesorgt, zuweilen bietet der Autor Action pur. Dennoch entsteht aus dem Wechsel jedesmal ein Bruch, oftmals blättert man kurz zum Abschluß des vorigen Kapitels zurück. Die Enttäuschung kommt jedoch zum Schluß, denn Markus Heitz hat nicht mal im Ansatz einen befriedigenden Abschluß gefunden. ";Ritus"; ist ein reiner Fortsetzungsroman und verpflichtet den Leser, auch den Nachfolgeband ";Sanctum"; zu kaufen, wenn er sich nicht mit diesem Ende zufrieden geben will. Einen Hinweis, daß es sich um ";Teil 1"; eines Fortsetzungsromans handelt, vermisst der später vermutlich verärgerte Käufer.
Große Mühe dagegen hat sich der Knaur-Verlag mit der Gestaltung des Buches gemacht. Die großen schwarz-roten Titelbuchstaben ragen erhaben aus dem Coverdeckel heraus, der Hintergrund ein verästelter Baum in glänzendem Schwarz auf mattem Schwarz. Das gleiche Muster findet sich im Buch auf den Seiten jedes Kapitelanfangs wieder.
Markus Heitz, Droemer-Knaur
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