Mr. Chartwell

  • Luchterhand
  • Erschienen: Januar 2012
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Mr. Chartwell
Mr. Chartwell
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Almut Oetjen
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2012

Esther, Churchill und der schwarze Hund

Die junge Esther Hammerhans, seit sechs Jahren Bibliotheksangestellte im Westminster Palace, sucht im Juli 1964 einen Untermieter für ein Zimmer ihres Reihenhauses im Londoner Stadtteil Battersea. Es meldet sich ein einziger Interessent, ein großer, schwarzer Hund namens Mr. Chartwell alias Black Pat. Eher widerwillig geht sie einen Vertrag mit dem aufdringlichen, rüpelhaften Tier ein, das sofort Besitz von ihrem Haus und ihrem Leben zu ergreifen beginnt. Mit großer Befürchtung sieht Esther dem zweiten Todestag ihres Mannes Michael entgegen und versinkt dabei immer mehr in eine düstere Stimmung. Zur gleichen Zeit bereitet sich Winston Churchill, der mittlerweile neunundachtzigjährige Altpremierminister und Abgeordnete für Woodford, auf sein Ausscheiden aus dem Parlament vor. Esther wird beauftragt, zu ihm nach Kent zu fahren und seine Rede zu tippen. Churchill spürt intuitiv, dass etwas mit Esther nicht stimmt. Vorsichtig aber nachdrücklich dringt er auf sie ein, um sie vor dem schwarzen Hund zu retten, der schon lange sein ständiger Begleiter ist.

Winston Churchill litt Zeit seines Lebens unter Depressionen, die er mit dem Begriff "der schwarze Hund" umschrieb. Die junge englische Malerin und Autorin Rebecca Hunt greift die Metapher auf und gestaltet sie zu einer Manifestation und Überrealität. Ihr Mr. Chartwell, benannt nach Churchills Landhaus in Kent, vereint negative Eigenschaften eines Hundes und eines Menschen und überzeichnet sie zu einer düster-bedrückenden Monstrosität. Mr. Chartwell ist ein zotteliges dunkles Tier und groß wie ein Schrank. Mit breitem, vulgärem Mund und grauer, speicheltropfender Zunge, stinkendem Atem und der Gier eines Fleischfressers verdunkelt er den Raum, verpestet die Luft und macht das, was den Depressiven am meisten quält. Mitunter verschwindet er kurzzeitig, um überraschend und umso niederdrückender zurückzukehren.

Rebecca Hunt zeigt, wie sich Mr. Chartwell mit zudringlicher Intimität in Esthers Leben drängt und schmeichelt. Er trinkt Bier aus ihrer Blumenvase, deponiert Knochen in ihrem Kühlschrank, legt Patiencen an ihrem Küchentisch, verballhornt einen Song von Marilyn Monroe, zitiert Shelley und Wilde absichtlich falsch, frisst Michaels Schuh und verwüstet das Badezimmer, alles mit dem Ziel, eine Krise bei Esther auszulösen. Für die einsame, traurige Bibliotheksangestellte ist die Versuchung groß, dem Werben ihres Anbeters nachzugeben. Doch die Begegnung mit Mr. Chartwell bringt sie endlich auch zu einer Auseinandersetzung mit der Depression und dem Suizid ihres Mannes. Michaels Leidensweg in Verbindung mit Churchills Aufruf zum Widerstand, die Aufmunterungsversuche ihrer Freunde Beth und Oliver sowie das Verständnis ihres neuen Kollegen und Verehrers Corkbowl geben ihr die Kraft, sich gegen Mr. Chartwell zu wehren.

Ein origineller Debütroman, der sich zwischen tiefem Ernst und charmanter Ironie mit dem Thema Depression auseinandersetzt.

(Almut Oetjen, März 2012)

Mr. Chartwell

Rebecca Hunt, Luchterhand

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