Flammen über Arcadion

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  • Erschienen: Januar 2012
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Flammen über Arcadion
Flammen über Arcadion
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Anja Helmers
72°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2012

Bei Licht besehen, recht ordentlich

Arcadion ist eine der wenigen Städte, die nach dem Sternenfall und den anschließenden dunklen Jahren noch existiert. Unter der Obhut des Lux Dei führen die meisten Einwohner ein gesichertes Leben, solange sie nicht aus dem Raster fallen oder sich gegen den Orden auflehnen. Die sechszehnjährige Carya ist eine fleißige Schülerin in der Akademie des Lichts, sie ist Mitglied in der Jugendorganisation der Templer und sie ist aufgewachsen im Kreise einer liebevollen Familie. Ihre beste Freundin ist Rajael, eine Waise, die sich ihren Lebensunterhalt als Arbeiterin in einer Fabrik verdient. Carya glaubt, alles über Rajael zu wissen und ist deswegen überrascht, als diese ihr eines Tages ihren Freund Tobyn vorstellt. Als Tobyn kurz darauf in die Fänge der Inquisition gerät und Rajael sie um Hilfe bittet, bekommt Caryas heile Welt die ersten Risse. Als sich bei der Hilfsaktion die Ereignisse überschlagen und Carya selbst zu einer Verfolgten wird, erhält sie von unerwarteter Seite Unterstützung. Jonan, ein schwarzer Templer, ist zwar Adjutant des Inquisitors, aber er schlägt sich auf die Seite von Carya.

Flammen über Arcadion ist der erste Band einer Trilogie, deren zweiter Teil im nächsten Frühjahr erscheinen soll. Das Cover der gebundenen Ausgabe ist ein echter ´Hingucker´ und passt ausgezeichnet zum Inhalt. Im Strom der Dystopieschwemme, besonders ausgeprägt vor allem im Bereich Jugendbuch, kann sich aber nicht nur der Einband, sondern auch der Inhalt von Bernd Perplies Roman sehen lassen. Der Roman beginnt beschaulich, nimmt aber stetig an Fahrt auf und steigert sich zu einem Wendepunkt, der in einer äußerst nervenaufreibenden Szene dargestellt wird.

"Niemand weiß genau, warum es damals geschah"

So beginnt Caryas Aufsatz über den Sternenfall und auch das Buch. Durch den kurzen Aufsatz ist der Leser gleich im Bilde, dass eine globale Katastrophe die Welt verändert hat, aber er erfährt keine Fakten. Das von Carya wiedergekäute Geschwafel des Lux Dei rückt den Orden sofort ins richtige Licht und bietet Deutungsmöglichkeiten, die Neugier wecken. In den nächsten Kapiteln werden die Hauptprotagonistin und ihre Umgebung vorgestellt. Arcadion ist aus den Resten des einstigen Roms entstanden, das Land ringsum ist verwüstet und von dem Wissen und den technischen Dingen vor der Katastrophe sind nur noch wenige Relikte geblieben. Die Angehörigen des Lux Dei sind religiöse Fanatiker, die einerseits frühere wissenschaftliche Errungenschaften verteufeln, andererseits ihre Macht durch den Gebrauch technischer Wunderwerke untermauern. Ihre Gardisten, die roten und die schwarzen Templer, stecken in Kampfanzügen, die sie praktisch unverwundbar machen.

Inmitten dieses postapokalyptischen Szenarios erlebt der Leser durch Carya den normalen Schulalltag, lauscht ihren gedanklichen Schwärmereien und verfolgt einen Nachmittag mit der Templerjugend. Diese Organisation, in der fast jedes Kind Mitglied ist, bietet religiöse und politische Unterweisung, körperliche Ertüchtigung, Handarbeit und Werken sowie begleitete Ausflüge. So werden die Kinder von klein auf indoktriniert. Das erinnert sehr an Hitlerjugend oder FDJ zu DDR-Zeiten.

Carya ist bestens integriert in die Gesellschaft, sie himmelt den gut aussehenden Leiter ihrer Jugendgruppe an, sie ist eine fleißige Schülerin und brave Tochter, ohne die geringsten Anzeichen von jugendlicher Aufmüpfigkeit oder persönlicher Sinnsuche. Ihr größtes Vergehen besteht im Lesen von verbotenen Liebesromanen, gemeinsam mit ihrer Freundin Rajael. Dann wechselt die Perspektive im vierten Kapitel zu Jonan.

"Jonan wusste, in was für einer Welt er lebte"

Der Zweiundzwanzigjährige wird von Anfang an als Zweifler vorgestellt. Nach drei Jahren an der Akademie gehört er seit einem Jahr zu den Schwarzen Templern. Nur auf Druck seines Vaters, des einflussreichen Stadtrats Estarto, ist er der allseits gefürchteten Garde des Tribunalpalasts beigetreten. Aber er leistet nur widerwillig Dienst, er hasst die Einsätze. Wehrlose Männer und Frauen niederzuschießen, auch wenn sie in den Augen des Lux Dei Aufrührer und Gesetzesbrecher sind, nur weil sie sich bei der Gefangennahme wehren, entspricht nicht seinem soldatischen Verständnis. Er kann die Litanei seines Vaters, warum es sinnvoll ist, sich das Wohlwollen des Inquisitors zu erarbeiten, nicht mehr hören. Sein Wut auf seinen Vater wächst, und auch die Spannung wächst, als die Ereignisse allmählich ins Rollen kommen.

Normaler Weise halte ich es nicht für angebracht, in einer Buchbesprechung inhaltlich weit vorauszugreifen. Diesmal mache ich eine Ausnahme, da ich auf den ersten Wendepunkt der Handlung eingehen möchte und der Klappentext diese Geschehnisse so und so vorwegnimmt. Die Folterszene während des Schauprozesses ist nervenaufreibend und äußerst brutal beschrieben. Das schiebt die Spannung um einige Grade höher. Caryas spontanes Eingreifen im Gerichtssaal und ihre sich daran anschließenden Aktionen haben allerdings meinen guten Willen, dem Autor die Ereignisse und vor allem die abrupte Wandlung seiner Protagonistin abzunehmen, arg strapaziert. Sie agiert teilweise wie fremdgesteuert, ohne ihr bewusstes Zutun. Im weiteren Verlauf der Handlung tauchen Ansatzpunkte für eine Erklärung dieses Charakter-Twists auf, aber eine eindeutige Auflösung bleibt aus. Ich denke, der Aha-Effekt wird noch kommen, spätestens im letzten Band der Trilogie, ansonsten kann ich die Verwandlung einer angepassten, behüteten und vor allem wenig aufmüpfigen Tochter in eine furchtlose Kämpferin nicht nachvollziehen. Jonans Motivation, die Seiten zu wechseln, ist leichter verständlich, seine Entwicklung ist anschaulich und gut aufgebaut dargestellt.

"Ihr Herz aber fühlte sich zu den Liebenden hingezogen, und deren grausames Schicksal rührte sie zutiefst"

Flammen über Arcadion beinhaltet ein paar Szenen, in denen die Dialoge konstruiert wirken und es deshalb nicht leicht machen, dem Autor an den Stellen zu folgen. Wenn die jugendliche Tochter ein Kapitalverbrechen beichtet und der Vater ´mit einem schweren Seufzen´ sagt: Oh Carya, was hast du angerichtet, und die Mutter ihm dann einen ´sorgenvollen Blick´ zuwirft, wirkt das für mich gestelzt. Überhaupt mutet der gesamte Roman eher wie Jugendbuch an, obwohl der LYX-Verlag nicht in die Sparte gehört.

Leicht durchschaubare Schemata, wer gut oder böse ist, die Hauptfiguren sind sehr heldenhaft, edel und nicht besonders facettenreich, und insgesamt läuft alles ziemlich glatt ab. Verstärkt wird dieser Eindruck auch durch den Stil. Es gibt immer wieder Stellen, an denen der Autor seinem eigenen Text nicht traut, den Sachverhalt oder die Gefühle seiner Protagonisten zu transferieren, und er deswegen gouvernantenhafte Erklärungen einschiebt, die den Spannungsfluss unterbrechen. Der Tonfall klingt leider häufig wie aus einem angestaubten Mädchenbuch.

Die Liebesgeschichte

Bei der angestrebten Zielgruppe darf eine Liebesgeschichte nicht fehlen. Und natürlich hat Jonan sich gleich auf den ersten Blick in Carya verliebt, auch wenn er sich das nicht sofort eingestehen will. Carya benötigt etwas länger, sie muss erst ihre Gefühle sortieren, bevor sie zu Jonan findet. Leider knistert es nicht und der erste Kuss wird so harmlos beschrieben, dass es für eine Jugendfreigabe ab sechs genügen würde.

Trotzdem lässt 'Flammen über Arcadion' keine Langeweile aufkommen, liest sich gut in einem Rutsch weg und macht durch einige spannende Ideen neugierig auf den nächsten Band. Allerdings fehlt dem Buch dank eines behäbigen Stils und mangelnder Vielschichtigkeit der Charaktere wirklich mitreißende Intensität, die in einigen anderen Dystopien deutlich besser geboten wird.

(Anja Helmers, Oktober 2012)

Flammen über Arcadion

Bernd Perplies, -

Flammen über Arcadion

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