Crichtons Welt der kleinen Lebewesen und großen Gefahren
Als Michael Crichton im November 2008 an Krebs verstarb, steckte er gerade inmitten der Arbeiten zu "Micro", seinem letzten Roman, den er nicht mehr beenden konnte. Das zu tun, hat Crichton selbst Richard Preston auserwählt, den Autor von Wissenschaftsthrillern wie "Cobra" und dem Tatsachenthriller "Hot Zone". Eine logische Wahl, denn Preston hat in seinen Büchern bewiesen, dass auch er aus wissenschaftlichen Themen spannende fiktive Visionen machen kann.
"In welcher Welt leben wir eigentlich?"
...fragt Michael Crichton in seiner Einleitung zu "Micro". Und beklagt, das die junge Generation die Namen heimischer Käfer oder Pflanzen nicht mehr kennt. Auffallend sei, dass diese Entwicklung mit dem Aufkommen einer ökologischen Bewegung in der westlichen Welt einhergehe. Infolgedessen, argumentiert der Autor, werde der Naturschutz oft falsch angegangen. Crichton glaubt, dass die Menschen den Kontakt zur Natur längst verloren haben und daher nicht mehr in der Lage sind, zu verstehen, wie sie funktioniert.
Ein Forscher-Traum?
In einem Biologie-Forschungslabor der Harvard Universität in Cambridge arbeiten sieben Doktoranden: Rick Hutter, Karen King, Peter Jansen, die Deutsche Erika Moll, der indisch stämmige Amar Sing, Jenny Linn und Danny Minot. Peter Jansens Bruder Eric kommt in Begleitung der schönen Alyson Bender im Ferrari vorgefahren. Beide stellen sich als Manager der Biotechnologie-Firma Nanigen vor und laden die Gruppe ein, ihre Labore auf Hawaii zu besuchen, man wolle sie als wissenschaftliche Mitarbeiter anwerben. Kritische Töne und Gedanken daran, zuerst die Doktorarbeit zu beenden, werden schnell verworfen. Geld- oder Neugier obsiegt und die Gruppe macht sich kurze Zeit später auf den Weg nach Hawaii. Kurz vor der Abreise erhält Peter von seinem Bruder Eric die SMS-Mitteilung: "Komm nicht", seine Rückfrage bleibt unbeantwortet. Kaum in Hawaii gelandet, wird Peter mit dem tödlichen Bootsunglück seines Bruders konfrontiert. Die Polizei zeigt ihm Unfallvideos von Augenzeugen, auf denen unvermittelt Alyson Bender auftaucht.
Die Laborführung durch den CEO Vincent Drake offenbart einen Traum für jeden Forscher. Nanigen screent mithilfe einer einzigartigen Technologie alle Lebewesen und Mikroorganismen des Oahu-Urwaldes nach potentiellen Heilmitteln. Doch wie machen sie das und wozu bauen sie Kleinstroboter? Peters unangenehme Fragen zeigen deutlich, dass er den Machenschaften dieser Firma misstraut. Wie Recht er damit hat, erfährt die Gruppe, als sie in einen vermeintlichen Sicherheitsraum geschleust und auf ein Hundertstel ihrer normalen Körpergröße geschrumpft wird. Anschließend im Urwald ausgesetzt, sind sie eine leichte Beute für die zahlreichen Raubinsekten.
Eine ungewöhnliche Perspektive und ein grandioses Abenteuer
Michael Crichton (man muss leider sagen) war einer derjenigen Schriftsteller, der aktuelle Wissenschaft glaubhaft schildern und deren mögliche Konsequenzen zu einem unterhaltsamen "Near Future"-Thriller verarbeiten konnte. Sein wohl bekanntestes Werk "Jurassic Park" oder das Buch "Next" gehören in diese Kategorie. Reine Science-Fiction-Elemente wie Zeitreisen oder kleinste Maschinen-Organismen verwendete Crichton in Romanen wie "Timeline" oder "Beute" (orig.: "Prey"). "Micro" kommt wie ein Mix der letztgenannten Bücher herüber, was eine Stärke und Schwäche zugleich ist. Stärke, weil auch "Micro" über die selben Qualitäten wie ein anschauliches Setting und ununterbrochene Spannung bis zur letzten Seite verfügt. Schwäche, weil "Micro" keine neuen Ideen präsentiert, sondern bereits zuvor verwendete Themen recycelt.
Als roter Faden zieht sich die Perspektive eines Lebewesens, das gerade mal eineinhalb Zentimeter misst, durch den Roman und ist zugleich der Aspekt, der ihn besonders reizvoll macht. Eine umfangreiche Bibliographie an Fachbüchern zeigt, dass Crichton die Insektenwelt studiert hat und seine Vorstellungskraft, die Welt aus dieser Sicht zu betrachten, kommt unmittelbar beim Leser an. Eine Gruppe Forscher wird auf Insektengröße geschrumpft, im Urwald ausgesetzt und gejagt. Die Idee dieses magnetischen Schrumpfungsprozesses hat nichts mit gegenwärtiger Technik zu tun. Ähnlich wie in "Timeline" und "Prey" bedient sich der Autor eines Science-Fiction-Motivs und versetzt damit seine Protagonisten in eine feindliche fremde Welt. Teil dieser Welt sind Mini-Killerroboter und die sind mitnichten nur eine Gefahr für kleine Lebewesen. Das zentrale Thema und Besondere an "Micro" ist allerdings nicht die vorgestellte Technologie, sondern die Wahrnehmung der Welt aus der Insektenperspektive. Der Autor betont viele Details, die ein normal großes menschliches Auge nicht wahrnehmen kann. So erscheint der Urwaldboden als wabernder Teppich von Kleinstlebewesen wie Milben. Oder eine Spinne als überragendes gigantisches Monster, deren acht Augen ihre Beute ins Visier nehmen. Natürlich geht es gewalttätig und blutig zu. Jeder dürfte einmal Ameisen beobachtet haben, die kleine Teile ihrer Nahrung in ihren Bau transportieren. Crichton erzählt uns nun sehr anschaulich, wie Ameisenkrieger Lebewesen in solche tragbaren Einzelteile zerreißen. Schnell wird klar, das es nicht alle Protagonisten in das Finale schaffen werden.
Wie so oft hat Crichton Forscher in ein bizarres Abenteuer geschickt. Wissenschaftliche "skills" sind hier gefragt, die der Autor geschickt, manchmal etwas zu sehr in Info-Dumping-Manier nutzt, um die Handlung temporeich voran zu treiben. Einige seiner Akteure charakterisiert er auch eingehender, als ängstliche, feige, mutige Typen oder unabhängige Einzelgänger. Insgesamt ist die Figurenzeichnung der "Micro"-Helden und der skrupellosen Bösewichter jedoch eher flach geraten.
Man darf vermuten, dass Richard Preston das Finale des Romans entworfen hat, ein stilistischer oder handlungstechnischer Bruch ist allerdings nicht festzustellen. Preston hat sich in Schreibe und Story nahtlos eingefügt und ein überaus spektakuläres Finale mit überraschenden Wendungen einfallen lassen. Er hinterlässt einige offene Fragen, vielleicht als ein Hintertürchen für eine Fortsetzung?
(Eva Bergschneider, Februar 2012, Rezension zur amerikanischen Originalausgabe)
Deine Meinung zu »Micro«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!