Gestrandet

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
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Gestrandet
Gestrandet
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2012

Hitzige Umtriebe auf eisigem Planeten

Auf einer Handelsfahrt wird das Raumschiff von Karl Allman abgeschossen. Das einzige Besatzungsmitglied muss die Flucht ins All wagen, obwohl in erreichbarer Nähe nur der vergessene Planet Isheimur seine Bahn zieht. Auf seiner kalten Oberfläche kann Allman landen, ist dort jedoch ohne Hilfsmittel gestrandet und muss hoffen, dass sein Notsignal vernommen und Rettung ausgeschickt wurde.

Isheimur, eine unwirtliche Eiswelt, ist keineswegs ausgestorben. Tiere wie ´Drachen´ und Snopelze sind groß & hungrig, die ´eingeborenen´ "Trolle" menschenfeindlich, was Allman lebensgefährliche Begegnungen beschert. Ähnlich unfreundlich sind Isheimurs menschlichen Bewohner. Einst sollte der Planet terraformt und kolonisiert werden, was nie zu Ende geführt wurde. Seit 200 Jahren ist das Projekt vergessen, die wenigen Überlebenden sind notgedrungen in ein vorzeitliches Barbarentum zurückgefallen. Da sich die Siedler vor allem aus Nachfahren isländischer Erdmenschen rekrutierten, lebt ihre Gesellschaft nach dem Vorbild jener altnordischen Stämme, die seit dem späten 9. Jahrhundert Island besiedelten.

Das harte Leben hat auch die Bewohner der Bauernsiedlung Skorradalur geprägt. Weder schätzen sie Fremde, noch wollen sie diese durchfüttern. Seit Jahren werden die Winter länger und kälter, die Ernteerträge gehen ständig zurück. Ragnar Helmgrimsson, Herr von Skorradalur, versucht die Krise mit unbarmherziger Strenge zu meistern.

Allman muss versuchen, einen Platz unter seinen grobschlächtigen ´Rettern´ zu finden. Dabei behilflich ist ihm Bera, ebenfalls eine Außenseiterin. Als die Kolonisten merken, dass Allman ihnen von Nutzen sein kann, wollen ihn nicht mehr gehen lassen. Allman flieht in die Wildnis von Isheimur - und stößt dabei auf ein Geheimnis, das nicht nur die Zukunft seiner ´Gastgeber´ entscheidend verändern wird ...

Bekannte Abenteuer unter fremden Sternen

Der Leser ist ein scheues Wild, das deshalb verlagsseitig zwecks positiver Kaufentscheidung gern führend an die Hand (oder an die Kandare) genommen wird: "Gestrandet" ist also "Space Action", wie uns ein Cover-Aufdruck informiert. Dieser transportiert eine Worthülse, die jeder Leser selbst mit Bedeutung füllen darf. Eines steht glücklicherweise schnell fest: "Space Action" ist hier KEINE "Military-Science-Fiction". Nicht "Sir-Jawoll-Sir"-Klotzköpfe bestreiten die Handlung, die stattdessen eines jener unterhaltsamen Planeten-Abenteuer darstellt, die in der SF schon seit "Pulp"-Tagen immer wieder gern erzählt werden.

Die Technik ist komplizierter geworden und wird inzwischen biologisch verstärkt, und künstliche Intelligenzen sind anscheinend SF-Allgemeingut geworden. Ein bisschen ´richtiger´ Sex darf inzwischen auch sein, und einige ökologische Rahmenbedingungen gilt es zusätzlich zu beachten. Ansonsten ist alles beim alten geblieben: Ein fremder Planet wird zur exotischen Kulisse eigentlich trivialer aber unterhaltsamer Ereignisse.

Colin Harvey bemüht den guten, alten Schiffbruch als Startschuss. Auf dass gar nicht erst der Vorwurf entstehe, Isheimur biete nur bunt kopierte Variationen irdischer Polar-Klischees, geht der Verfasser in die Offensive und rückt genau dies in den Mittelpunkt. Isheimur wird zu einer vergrößerten und vergröberten Version von Island, das Harvey, der auf dieser Insel lange beruflich tätig war, so gut kannte, dass ihm eine überzeugende Mischung aus Science und Fiction gelang.

Ein Robinson unter rabiaten Insulanern

Mit der einfallsreichen aber auch routinierten Schilderung dieser fremden Welt kann sich der Leser über anfängliche Längen hangeln. "Gestrandet" ist ein Action-Roman, der quasi mit Verzögerung zündet. Als Karl Allman als Robinson der fernen Zukunft auf Isheimur gelandet & gestrandet ist, folgt eine ermüdend ausführliche Einführung in den Lebensalltag einer streng hierarchisch strukturierten, wikingerähnlichen, im auseinanderfallenden Hightech-Erbe ihrer Vorfahren stochernden Planetengesellschaft. Es mag Leser geben, die solche Exkurse schätzen. Nicht nur dieser Rezensent stellt freilich ermüdend oft wiedergekäute Klischees fest, die eindeutig der Seifenoper abgeleitet wurden.

Ragnar Helmgrimsson & Co. sind also harte, schlagkräftige und trinkfeste Burschen, die von streitsüchtigen, berechnenden Walküren-Frauen in Schach gehalten werden, die Sex als Waffe einsetzen. Diese aus der Not geborene Wiederkehr angeblich historischer Verhältnisse wird viel zu detailfroh durchgespielt, nachdem Karl Allman als fremder Störenfried mit der Isheimur-Gemeinschaft konfrontiert wird und diese von A bis Z kennenlernen muss.

Als Freitag wird Robinson Allman eine Frau zur Seite gestellt. Bera bleibt leider wie die meisten Figuren ein eindimensionaler Scherenschnitt. Zwar strengt sich Harvey gewaltig an, ihr Tiefe und Tragik zu verleihen. Er landet jedoch stets bei den üblichen Klischees, die noch dadurch verschärft werden, dass die schöne Bera unbedingt ein Trauma mit sich herumschleppen muss, das es über viele Seiten zu enträtseln und verständnisvoll zu diskutieren gilt.

"Keep movin´, movin´, movin´, / Though they´re disapprovin´ ..."

Als Karl Allman die Flucht ergreift und sich die Handlung in Isheimurs Wildnis verlagert, nimmt sie endlich Fahrt auf. Die meisten Zwischenmenschlichkeiten bleiben in Skorradalur zurück. Der Leser vermisst sie nicht, zumal restliche Befindlichkeiten bleiben, jetzt aber während einer Verfolgungsjagd stattfinden und mit aufregenden Zwischenfällen gemischt werden. Die Geheimnisse von Isheimur sind nicht gerade originell, aber Harvey weiß Action und Exotik lebendig zu präsentieren. Also lassen wir uns u. a. davon ´überraschen´, dass die "Trolle" keineswegs diejenigen sind, zu denen sie gestempelt wurden.

Als Allman das Ziel seiner Expedition erreicht, folgt selbstverständlich ein Gefecht mit den Verfolgern, die das alte Raumschiff im Eis - die "Winter Song" des Originaltitels - aus unerfindlichen, der Dramaturgie eher als der Logik geschuldeten Gründen schneller als der Mann aus dem All und seine Begleiterin erreicht haben, bevor die Handlung eine unerwartete dritte Wendung nimmt: "Gestrandet" kehrt zurück ins All und erzählt von einer Weltenrettung unter mehrfach erschwerten Bedingungen. Hier übernimmt sich Harvey ein wenig, der uns davon überzeugen möchte, dass Allman mit einem schrottreifen Alt-Raumschiff erfolgreich auf Kometenfang geht.

Hintergrundgeschichte als Skizze

Der galaktische Hintergrund bleibt simpel strukturiert: Die Menschheit hat das Weltall einigermaßen einträchtig erobert bzw. besiedelt, bis es vor vier Jahrhunderten zu einem jener Konflikte kam, die vor allem von SF-Autoren als kriegsauslösend definiert werden: Wurden für Kolonisten ungemütliche Planeten bisher durch "Terraforming" in möglichst erdgleiche Welten umgestaltet, machte es die biologische oder besser: biotechnische Entwicklung möglich, Menschen genetisch so zu verändern, dass sie sich auf exotischen und lebensfeindlichen Planeten tummeln können, ohne diese wie eine virenverseuchte PC-Festplatte neu ´aufzusetzen´.

Statt sich zusammenzutun, begannen "Terraformer" und "Pantropisten" zu streiten. Ein Bürgerkrieg brach aus, der nach und nach den gesamten Menschen-Kosmos erfasste und zur "Langen Nacht" führte - eine Phase des Chaos´, die keineswegs beendet ist. Karl Allman, ein Pantropist, verdankt seinen Zwangsaufenthalt auf Isheimur einem Abfangkommando feindlicher Terraformer.

Der Mann mit dem zweiten Gehirn

Als Fremder in einer fremden Welt ist Allman die Hauptfigur. Entsprechende Mühe gibt sich Harvey mit der Zeichnung. Fast ist es zu viel, was er dem armen Karl nicht nur auf die Schultern lädt, denn auch in seinem Schädel geht es turbulent zu: Dort hat die Künstliche Intelligenz seines Schiffes einen Not-Upload platziert, der nicht ganz sauber überkam und sich unter dem Namen "Loki" selbstständig macht. Karl verwandelt sich zeitweise von Jekyll in Hyde und erschreckt die arme Bera durch eindeutige Zudringlichkeiten, bis er sich mit Loki einigen kann - einer der Handlungsstränge, die Harvey aufwändig einführt, um sie dann beiläufig verpuffen zu lassen.

Karl ist außerdem nanotechnisch aufgerüstet; er kann wie Gemüse Sonnenlicht absorbieren und körpereigenes Benzin ins Lagerfeuer pissen. Darüber hinaus verfügt er über einen Adonis-Körper, auf den Bera rasch aufmerksam wird, was für den Start einer Lovestory sorgt, die peinlich eindeutig unter Beweis stellt, dass Harvey bei seiner "Space Action" besser aufgehoben ist.

Dessen ungeachtet bietet "Gestrandet" Abenteuer satt, was bekanntlich für Lese-Spaß sorgen kann. Den diffusen Hintergrund hätte der Verfasser womöglich in weiteren Romanen aufgehellt. Vieles wird angedeutet, an das er offenbar anknüpfen wollte. Auch das quasi ´offene´ Ende deutet auf eine Fortsetzung hin. Colin Harveys früher Tod hat dies leider verhindert.

(Dr. Michael Drewniok, Februar 2012)

Gestrandet

Colin Harvey, Heyne

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