Daemon - Die Welt ist nur ein Spiel (Daemon 1)
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2010
- 8
Die Spielewelt ist nicht genug
Dr. Matthew A. Sobol, eine äußerst reiche Legende in der Welt der Computerspiele, Designer und Chefentwickler von "Over the Rhine" und "The Gate", zwei weltweit auf Millionen Rechnern verbreiteten Spielen, Gründer und Eigentümer von CyberStorm Entertainment, stirbt gleich zu Beginn des Romans, im Alter von 34 Jahren, an einem Hirntumor. Der Visonär hat vor seinem Tod alles geregelt, was ihm wichtig schien in seinem größten Spiel, für das er sich einen Stellvertreter erkoren hat, der sich seine Mitarbeiter und Jünger nach Maßgabe Sobols selbst sucht und die Welt vorbereitet auf eine Zukunft, die sie sich so vermutlich nicht vorgestellt hat.
Daemon, ein Botnetz, hat Zugriff auf andere Rechner, auf Telekommunikationsnetze, von denen aus er operiert oder die er als Datenlieferant nutzt.
Er tötet erst Sobols Kollegen, die an der Entwicklung des Daemon mitgearbeitet haben, demonstriert den Institutionen seine zerstörerische und schöpferische Macht und rekrutiert sich aus den im Wirtschaftsprozess an den Rand geratenen Menschen seine Mitarbeiter. Die Vertreter der US-Dienste (CIA, NSA, FBI...) verstehen nur langsam, manche gar nicht, was der Daemon tatsächlich ist und wozu er in der Lage ist. Vordergründig mutet der Daemon wie ein Cyberterrorist an, tatsächlich aber betreibt er etwas ganz anderes: den Umbau der menschlichen Gesellschaft.
Das Spiel, die Spieler
Suarez hat seinen Roman 2004 unter dem Pseudonym Leinad Zeraus im Eigenverlag Verdugo Press herausgegeben. Zuvor gab es eine Menge Ablehnungen des eingereichten Manuskripts, in zwei Fällen unter Hinweis darauf, die Erzählung sei zu komplex.
Der Daemon verfolgt sein Ziel streng logisch unter Auswertung aller ihm zugänglichen Daten und unter Verpflichtung menschlicher Mitarbeiter, die im Gegenzug Macht und Geld bekommen. Ohne seine menschlichen Handlanger wäre er zwar nicht hilflos, aber in seinen Möglichkeiten stark eingeschränkt. Der Vorstellung folgend, Belohnung und Bestrafung seien die Schlüssel zur Steuerung menschlichen Verhaltens, hat Sobol ihn mit der Fähigkeit ausgestattet, einer Anreizlogik gemäß die Mitarbeiter zu Handlungen zu veranlassen.
Der Daemon versteht nicht, was er macht. Er ist nicht böse, er ist nur losgelassen auf eine korrupte Welt, die ihrem Ende entgegengehen soll. Der Sinn wird einsichtig im zweiten Teil, der direkt an "Daemon" anschließt.
Die wichtigsten Spieler sind nachvollziehbar entwickelte Charaktere. Detective Sergeant Peter Sebeck, bis in die letzte Faser seiner Existenz Polizist, ist einer der Antagonisten im Kampf gegen den Daemon. Sebeck ist Familienvater und hat eine Sexbeziehung zu einer animalischen Frau. Der Daemon lässt ihn, die menschliche Hauptfigur in dem Spiel, überwachen und hat eigene Pläne mit ihm.
Agent Natalie Philips von der NSA hat als Mathematikerin in Stanford promoviert, ein Kryptologiestudium in Fort Meade absolviert und ist verantwortliche Kryptographin in der Daemon-Task Force. Ihre Charakterisierung geschieht weitgehend über ihre formale Qualifikation.
Jon Frederick Ross, ein russischer Hacker, Informatiker mit Prädikats-Masterabschluss an der Universität von Illinois, CEO der Einmannfirma Cyberon Systems, wird vom FBI anfangs als Verdächtiger behandelt. Nach seiner Entlastung unterstützt er Sebeck und Philips im Kampf gegen den Daemon.
Ein geheimer Mitarbeiter in der Daemon-Task Force nennt sich der Major. Seine Rolle ist zu Beginn ebenso unklar wie seine Absichten. Zwei wichtige Mitarbeiter des Daemon sind Brian Gragg und Anji Anderson. Gragg, alias "Loki Stormbringer" in der Spielewelt, ist Hacker und Identitätsdieb, ein widerlicher und grausamer Zeitgenosse, der seine Mitmenschen allesamt zu verachten scheint und von anderen Mitarbeitern des Daemon gefürchtet wird. Anderson, Fernsehsprecherin für Soft News, verliert ihren Job und sieht in der Arbeit für den Daemon eine große Chance.
Handlungsgetrieben und intellektuell herausfordernd
Suarez gelingt es in beeindruckender Weise, seine Zukunftswelt zu entwickeln. Die Gefahrenpotenziale, die neue Technologien in sich bergen, stehen im Zentrum von "Daemon", nicht die tatsächlichen oder angeblichen Segnungen dieser Technologien.
Es ist bisweilen harter technischer Stoff, den Suarez den Lesern zumutet. Gleichwohl ist er in der Lage, die meisten dieser Inhalte intuitiv zu vermitteln. So versteht man als technisch nicht versierter Leser zwar nicht alles, aber immer gerade so viel, dass man der Erzählung folgen kann und (vielleicht) Interesse bekommt, die technischen Details zu überprüfen. Auch gefällt Suarez' Idee, die Logik von Spielen auf die Realität zu übertragen. Der Einsatz der AutoM8 ist hierfür ein gutes Beispiel, ein anderes der Einsatz der Daemon-Mitarbeiter, die der Daemon via GPS-Steuerung und unter Verwendung spezieller Brillen durch reale Architekturen schickt, wie Onlinespieler dies mit virtuellen Figuren machen. Ist "Daemon" ein unrealistischer Roman? An das Diktum "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" angelehnt, ließe sich sagen: In seiner Gesamtheit ist er unrealistisch, nicht aber in seinen Teilen. Diese sind zudem erschreckend plausibel.
Wenn die Politiker der Welt vorgeben, ihre Selbstumkreisungen, die mit dem Treibstoff aus Umverteilung und Verschuldung ermöglicht werden, seien auf die Zukunft gerichtete visionäre Politik, dann nimmt ihnen das irgendwann jemand so übel, dass er etwas dagegen macht. Dieser Jemand ist ein Toter namens Sobol, der einen Daemon für sich arbeiten lässt, der in einer Befehlszeile mehr visionären Gehalt unterbringt, als eine Regierung in einem ganzen Wahlzyklus. Und das als künstliche Intelligenz.
Allein dadurch wird der Roman von Daniel Suarez unbedingt lesenswert. Darüber hinaus ist er ein schnell erzählter und harter Thriller, in dem nicht viele der Charaktere überleben.
Zu den interessantesten Aspekten der Geschichte zählt die Hilflosigkeit der Menschen im Angesicht einer Technologie, die sie selbst geschaffen haben. Und die unglaubliche Arroganz, die den Umgang vieler Akteure mit der Bedrohung bestimmt: ist doch nur eine Maschine. "Daemon" zeigt sehr schön, was geschehen kann, wenn mangelnde menschliche Intelligenz hoch entwickelter künstlicher Intelligenz gegenübersteht. Was der Mensch erschafft, das kann er auch kontrollieren, oder? Zumal, wenn der Gegner keinen Kopf, kein Zentrum hat, wo man zupacken kann. Warten wir auf Teil 2, "Darknet".
(Almut Oetjen, Januar 2012)
Daniel Suarez, Rowohlt
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