Emotio

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  • Erschienen: Januar 2011
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Emotio
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Anja Helmers
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2011

Hat das was mit Emotion zu tun?

Emotio? Hat das was mit Emotion zu tun?
Auf jeden Fall, wer aber nun die übliche Verbindung, gefühlvolle Geschichten und typische Frauenliteratur, herstellt, der ist hier falsch gewickelt.

Emotio, die Science-Fiction-Anthologie des Wurdack Verlages, - mit einem sehr ansprechend gestaltetem Cover von Alexander Preuss -, bietet sechzehn Kurzgeschichten von siebzehn deutschen Autoren. Auf überwiegend hohem Niveau bekommt man, wie schon auf der Rückseite des Buches charmant darauf hingewiesen wird, keine netten, zuversichtlichen Utopien, sondern einige bösartig erschreckenden Aussichten vorgeführt, die niemand so erleben möchte. Aber auch der Humor kommt nicht zu kurz, obwohl einem manchmal das Lachen im Hals stecken bleibt, weil die Fiction nicht so weit hergeholt erscheint. Karsten Kruschels ´Violets Verlies´ und Heidrun Jänchens ´Freihandelszone´ sind für mich die beiden Highlights der Sammlung, dicht gefolgt vom Valentino-Exploit, ein gemeinschaftliches Werk von Uwe Post und Uwe Hermann. Bis auf drei Ausnahmen haben mich auch die anderen Geschichten überzeugt, sowohl stilistisch und wie inhaltlich.

Die Anthologie beginnt mit der titelgebenden Geschichte, Emotio, von Nadine Boos. Ausgerechnet im Computer der Stadtbücherei, -im Zeitalter der digitalen Medien eine anachronistisch anmutende Einrichtung-, entdeckt Lukas illegale Emotios. Emotios sind komplette Szenen aus der Erinnerung eines Menschen in Videoform, samt Gefühlen und Gerüchen. Die Verbreitung solcher Aufnahmen ist verboten, aber da die Hardware weiterhin frei erhältlich ist, werden sie immer wieder hergestellt.

Die Vorstellung, dass Gerichte über die Problematik, ob Gedanken und Erinnerungen dem Urheberrecht unterliegen, entscheiden, jagt einem eiskalte Schauer über den Rücken. Allein die Fragestellung, ob mit der Herstellung von solchen Filmen die Persönlichkeitsrechte verletzt werden, lässt einen grausen. Wer will sich schon soweit in den Kopf gucken lassen wollen, und diese Inhalte dann auch noch als Handelsware erleben.
Mit Spannung verfolgt man den Albtraum, den Lukas, der Loser, in Nadine Boos Geschichte erlebt und wünscht sich im Stillen, dass die Realität der zukünftigen technischen Möglichkeiten niemals den Level dieser Fiktion erreicht. Ein starker Auftakt, dem eine schwächere Geschichte mit dem in der Science-Fiction schon ziemlich abgegrasten Thema Parallelwelten folgt.

In Bernhard Schneiders ´Routine´ wird Professor Arnold Hofmeister ermordet in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Die herbeigerufene Polizei zeigt sich wenig beeindruckt von dem Gewaltverbrechen. Besonders Hauptkommissar Sebastian Schäfers reagiert fast gelangweilt und macht sich mehr Sorgen darüber, wie er es anstellen soll, seine junge, hübsche Kollegin ins Bett zu bekommen, als um die Aufklärung des Verbrechens.

Einhundert Worte für Tod von Christian Günther ist eine hoffnungslose Vision über ein abgebrühtes Paar, dass sich in Hamburg in einem Luxushotel versteckt, während draußen quasi die Welt untergeht. Dank eines von den beiden organisierten Anschlags verbreiten sich Nanoviren in rasender Geschwindigkeit. Jeder erledigt nur seinen Job im rücksichtslosen Spiel mächtiger Bosse, und schiebt die Verantwortung ab. Im Haifischbecken ist sich jeder selbst der nächste. Eine allzu bekannte Verhaltensweise, die grauenhafte Konsequenzen nach sich zieht.

Die Eskimos haben auch nicht mehr Worte für Schnee als andere Sprachen, aber in dieser düsteren, geschickt konstruierten Geschichte braucht die Menschheit bald neue Begriffe für Tod. Einen Minuspunkt gebe ich, weil der Geschichte eine nachvollziehbare Erklärung für den Anschlag fehlt.

Zeitlupenwiederholung von Ernst-Eberhard Manski
Ein arbeitsloser Musiker verfolgt auf dem Sofa genüsslich ein Fußballspiel im Fernsehen, als er irritiert feststellt, dass den Zeitlupenwiederholungen etliche Szenen fehlen. Verwinkelte Spielzüge und turbulente Szenen sind offensichtlich herausgeschnitten worden. Er trifft sich mit einem Bekannten, der von einem ähnlichen Erlebnis berichtet. Gemeinsam begeben sie sich zum Sender, um eine Recherche anzustellen. Rotzig, lässig, mit einem harmlosen Anfang und einem sarkastischem Ende, bietet Manskis Geschichte humorvolle Unterhaltung mit originellen Ideen. Jimi Hendrix-Fans und alle, die noch die Pop-Giganten längst vergangener Jahrzehnte kenne, dürften ihre Freude haben, wenn berühmte Songs eingedeutscht werden, denn "fuchsige Dame" oder "Alle am Wachturm entlang" klingt schon sehr schräg.

Gute Hoffnung von Frank W. Haubold
Die gute alte Erde wurde samt Sonne von einer wandernden Singularität verschlungen. 600 Jahre später nähert sich ein gigantisches Raumschiff dem Zielgebiet. Die Bona Spes ist ein Arche des Vatikans, auf denen die Nachfahren der geretteten Menschen nichts davon ahnen, dass sie auf einem Raumschiff leben und nicht auf der echten Erde. Die elektronisch gespeicherten Bewusstseine längst gestorbener Patres wachen über die Geschicke der zukünftigen Kolonisten, die Steuerung der Schiffssysteme wird von der künstlichen Schiffsintelligenz erledigt.

Eine nette Geschichte, handwerklich einwandfrei, aber sie hat mir inhaltlich nicht so gut gefallen. Die enge Welt im Bioreservat des Schiffes ist auf ein Niveau wie im vorindustriellen Zeitalter der Erde zurückgefallen, der Glauben spielt eine große Rolle und die Männer sind tonangebend. Die Frauen werden klassisch beschrieben, mit demütig gesenktem Haupt und dunkler Kleidung stehen sie hinter den Männern zurück. Die zukünftigen Siedler haben das Wissen um technische Errungenschaften und auch anderes Wissen vergessen, sie wurden programmgemäß manipuliert, in ein enges Regelkorsett geschnürt und die Außenbereiche mit strengen Tabus belegt.

Mir erschließt sich nicht der Sinn einer solchen Indoktrination. Man sollte meinen, dass für die Besiedlung und das Überleben auf einem fremden Planeten hochstehende Technologie und fundiertes Wissen die besten Chancen böten. Was für einen Nutzen haben die ursprünglichen Planer der Bona Res sich dabei gedacht? Dafür bietet der Autor keine Erklärung.

Es sei denn, er unterstellt, dass die Kirche grundsätzlich ihre Schäfchen dumm halten möchte.

Nanne kommt auf den Hund von Niklas Peinecke gehört für mich ebenfalls zu den schwächeren Geschichten der Sammlung, weil sie zu krampfhaft auf lustig macht. Nanne ist mit einem Ehemann geschlagen, der aussieht wie ein adipöser Eber, hauptsächlich vor dem Fernseher rumlungert und sich seit zwölf Jahren auf seine Promotion konzentriert. Neben ihrem Studium hat sie einen Job bei einer Werbeagentur, um das Geld für ihren gemeinsamen Lebensunterhalt aufzubringen. Sie ist unzufrieden, fragt sich, was aus ihren all Plänen und Träumen geworden ist. Aber anstatt die naheliegendste Lösung zu wählen, nämlich ihren Göttergatten an die Luft zu setzen, greift sie zu der Idee, ihrem Mann spezielles Hundefutter ins Essen zu mischen. Mit besonderen Nebenwirkungen, versteht sich.

In Violets Verlies von Karsten Kruschel wird der Leser auf einen exotischen Planeten entführt. Die Oberfläche Violets ist ein einziges Meer, blau mit violetten Schlieren, ein weites Areal flachen Wassers, in dem unheimliche, rätselhafte Dinge geschehen. Terranische Wissenschaftler haben eine floßartige Plattform neben dem wucherndem Gebilde, das ein Artefakt oder besser ein biomechanischer Evolutionskomplex ist, verankert. Laszlos Frau Jo ist Wissenschaftlerin in gehobener Position, während er nur einfacher Techniker ist.

Eine großartige Geschichte, bizarr, emotional, spannend, und wie von Vilm und Galdäa gewohnt, in einem farbigen, sehr bildhaft beschriebenen Universum. So progressiv Science-Fiction Autoren beim Entwickeln von Technologien, Aliens oder fremdartigen Welten auch sein mögen, bei ihren Frauenfiguren sind die meisten doch sehr konservativ. Diese Regel wird selten durchbrochen, auch in dieser Anthologie gibt es genügend Beispiele dafür. Aber mit Violets Verlies ist Karsten Kruschel eine glaubhafte Ausnahme gelungen, die nicht gewollt daherkommt. In die Richtung hätte ich gerne noch mehr.

In Fremde Augen von Arno Endler verspricht ein Unternehmen einhundert ausgewählten Blinden, ihnen durch Implantate wieder zu ihrem Augenlicht verhelfen zu können. Manuel Secker ist misstrauisch, aber die Aussicht, wieder sehen zu können, lässt ihn an dem Versuch teilnehmen. Die Geschichte ist eine solide Verschwörungsgeschichte, anschaulich geschildert aus der Perspektive des Blinden.

Handlungsreisende von Gerd Frey ist eine kurze Geschichte, in der Martin, ein Agent, leider den Dechiffrierungscode für eine Geheiminformation mit dem Müll in den Weltraum entsorgt. Ganz schlau, unternimmt Martin eine kleine Zeitmanipulation, die sich daraus ergebenden Folgen hätte er aber niemals erwartet.

Der vorletzte Mensch auf Proteia von Jasper Nicolaisen ist eine Geschichte, mit der ich nichts anfangen konnte. Ein Monolog im Präsens, in obercooler Sprache, mit wirrer Handlung, von einer Geschichte mit einem Spannungsbogen weit entfernt. Man denkt sofort an Solaris von Lem, denn der Planet Proteia reagiert auf die Wünsche seiner einzigen Bewohnerin Kim und bildet alles aus einer planetenumspannenden Wundersubstanz aus. Das betrifft sowohl physische wie psychische Dinge. Aber was das ganze soll, außer zu zeigen, dass der Autor Lem kennt, und Anspielungen auf Catch 22, weiß ich nicht. Wer surreale Storys mag, ist hiermit vielleicht gut bedient.

Der Valentino-Exploit von Uwe Post & Uwe Hermann wartet mit einer Pointe auf, die mir dagegen besonders gut gefallen hat. Durchgedrehte Robot-Tiere, ein verzweifelter Kammerjäger, eine gewitzte ältere Dame und eine junge Amateurdiebin bringen den Leser in dieser turbulenten, humorvollen Geschichte mehrmals zum Lachen.

Tagebuch einer Göttin von Karina Cajo ist eine gut lesbare Geschichte, in der als Götter getarnte Menschen andere Menschen versklaven und zu landwirtschaftlicher Fronarbeit auf einem anderen Planeten zwingen, um die ausgeplünderte Erde mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Ausbeutung armer Entwicklungsländer durch reiche Industrienationen wird hier übertragen auf interstellare Dimensionen.

Gib dem Affen Zucker von Kai Riedemann ist ein sarkastischer Hieb gegen die großen Lebensmittelkonzerne. Auch wenn man sich ein Grinsen bei der köstlichen Darstellung des Genusses eines Ökoerdbeerkuchens kaum verkneifen kann, so vergeht einem das Lachen, wenn man drüber nachdenkt, wie groß der Werbe-Etat für Süßigkeiten bei den heutigen Lebensmittelkonzern ist.

Die Farbe der Naniten von Thomas Templ
hat etwas von einer Fantasy-Geschichte. Ein Mädchen muss eine Art Reifeprüfung in der Wildnis ablegen. Dabei trifft sie auf Menschen, die sich bewusst für eine einfache Lebensweise entschieden haben.

In der Freihandelszone von Heidrun Jänchen ist eine grandiose Satire. Joey Wutzler, will einige einige Tage Urlaub auf Leiwal verbringen. Er ist ein typischer Tourist, der sich über die Demonstranten mit ihren Plakaten gegen sexuelle Ausbeutung lustig macht, von wegen, die verbissenen Frauen wären doch lustfeindlich. Mit demselben Raumschiff trifft auch eine Delegation im Auftrag der terranischen Administration ein, um mit den Leiwalis über Patente zu verhandeln. Sowohl Joey wie auch die Handelsdelegation reisen zufrieden mit den Ergebnissen zurück zur Erde. Was sich Heidrun Jänchen da als Pointe erdacht hat, ist genial gemein.

Das Versprechen von Armin Rößler schließt die Sammlung würdig ab. Die Geschichte ist nicht besonders lang, spannend, mit einem überraschenden Ende. Soldaten setzen auf dem primitiven Planeten Matheen die Interessen Terras mit Waffengewalt durch. Dabei wird der Soldat Smenan vor eine qualvolle Entscheidung gestellt. Acht Jahre später holt ihn seine Vergangenheit auf der Raumstation Penquareel ein.

Trotz einiger Probleme mit verschiedenen Details der Handlung, hat mich die Geschichte ziemlich beschäftigt. Die Welt Matheen und die Raumstation Penquareel sind so faszinierend, dass ich gerne mehr aus diesem Universum gelesen hätte. Schwierigkeiten hatte ich allerdings mit einigen einigen Punkten, die mir unlogisch erschienen oder nicht genügend erklärt wurden. Warum errichten die Terraner keinen Brückenkopf auf einem Trabanten des Planeten, wie läuft ein Stellungskrieg ab, wenn er anscheinend über die ganze Planetenoberfläche verteilt ist. Warum bleibt Smenan bei der Truppe, wenn er offensichtlich als Kanonenfutter verheizt werden soll? Aber gerade Geschichten, an denen man sich reiben kann, sind meistens die interessantesten Geschichten.

Mein Fazit: Liebhaber hochwertiger Science-Fiction Kurzgeschichten sollten sich diese Sammlung auf keinen Fall entgehen lassen.

(Anja Helmers, Dezember 2011)

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Armin Rößler, -

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