Luka und das Lebensfeuer
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2011
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Reise ins Herz der Magie
Luka ist der der jüngste Spross des Schriftstellers Raschid Khalifa, ein auf den ersten Blick gewöhnlicher Junge, der die Geschichten seines Vaters liebt, der aber auch seine Freizeit gut und gerne mit TV und Spielkonsole füllen kann. Als sein alternder Vater, der auch der ´Schah von Blah´ genannt wird (und in dem sich Autor Rushdie augenzwinkernd selber darstellt), eines Tages in einen komatösen Schlaf versinkt, sieht sich Luka zum Handeln genötigt. Im Garten des Hauses begegnet er einer beinahe exakten Kopie seines Vaters, die sich allerdings nicht als dessen Zwilling, sondern als Personifizierung des Todes entpuppt, die Raschid Khalifas Lebensenergie langsam in sich aufsaugt. Dennoch besitzt dieser ´Nobodaddy´ auch alle Züge des echten Raschid Khalifa und er verrät Luka, wie letzterer seinen Vater retten kann. Dazu müsste man ins Reich der Magie reisen und das Lebensfeuer stehlen, das auf dem Gipfel der Wissensberge brennt. Ein schwieriges, um nicht zu sagen unmögliches Unterfangen, denn seit Jahrhunderten ist das niemandem mehr gelungen.
Doch eine der vielen Botschaften, die Rushdie seinen Lesern offenbar vermitteln möchte, ist diejenige, dass man nur bereut, was man nicht getan oder versucht hat. Lukas Haustiere, ein Hund namens Bär und ein Bär namens Hund, die selbstverständlich sprechen können, beteiligen sich ohne Zögern an der gefahrvollen Suche. Und auch der undurchsichtige Nobodaddy ist mit von der Partie. Mit ihm ist Luka einen Deal eingegangen: schafft es Luka, das Lebensfeuer zu stehlen und es seinem sterbenden Vater einzuflössen, würde die Todeskreatur alias Nobodaddy von ihrer ´Pflicht´ lassen und Raschid Khalifa (vorerst) verschonen.
Zu der Gemeinschaft gesellen sich noch ein Paar Elefantenenten, die sich auf der Reise dem Zeitfluss entlang in die Welt der Magie als wertvolle Gedächtnisstützen erweisen werden. Erste Zwischenstation ist dabei das ´Ich-Respektorat´, das von militarisierten Ratten bevölkert wird, die besonders empfindlich auf Verstösse gegen Regeln und Sitten reagieren. Das Respektorat liegt im Dauerclinch mit den Ottern, welche unter der Führung ihres charismatischen Oberhauptes, der Insultana von Ott, in diesem Moment einen Angriff auf das Respektorat führen. Im Hagel von faulen Eiern und verdorbenem Gemüse gelingt es Luka allerdings sich mit der Insultana zu verbünden und auf deren fliegendem Teppich geht es weiter durch die nächsten Gefahren, etwa die Nebel der Zeit, wo das totale Vergessen droht, bis hin zu den drei grossen Feuerringen, die den Eingang zum Innersten der magischen Welt markieren. Und es wäre ja kein Märchen, wenn die Protagonisten an einem dieser Hindernisse scheiterten. So gelangen sie schliesslich ins Herz der Magie, dem Ort wo die alten Götter wohnen. Diese besitzen allerdings längst keine Macht mehr über die Welt und die Menschheit. Aber dass die Götter durchaus etwas dagegen haben, dass sich ein grünschnäbeliger Junge einfach das Lebensfeuer schnappt, ist nachvollziehbar.
Rushdie erinnert an dieser Stelle an den ersten Feuerdieb der Mythologie, an Prometheus, der zur Strafe für seinen Diebstahl an eine Felswand des Kaukasus gekettet und jeden Tag aufs Neue von einem Adler (oder je nach Quelle: einem Geier) angefallen wurde, der dessen Leber heraushackte. Mit dem Feuerdieb Luka geht die Geschichte allerdings ein wenig sanfter ins Gericht...
Bunte Mischung aus Mythologie, Märchenwelten und Philosophie
Nach "Harun und das Meer der Geschichten" (1990), dem ersten Buch, das Rushdie einem eher jüngeren Publikum widmete, ist "Luka und das Lebensfeuer" ein erneuter Versuch, sich im Fach der Kinder- oder Jugendliteratur zu betätigen. Ich nenne es bewusst ´Versuch´, ohne die offensichtlichen Qualitäten von Rushdies Schreibe in Frage stellen zu wollen. Der Roman ist eine bunte Mischung aus Märchenwelten, Mythologie und philosophischen Erörterungen, die Lukas Reise auch für Erwachsene entdeckenswert machen. Rushdie bedient sich dabei ohne Scheu an den mythologischen Schätzen sämtlicher Erdteile: Griechen, Ägypter, Japaner, Chinesen oder die Indianerstämme Amerikas sind in Rushdies Welten gleichberechtigte Insprirationsquellen. Diese breite Streuung kultureller Interessen bestätigt den Autor einmal mehr als Weltbürger, dessen Bücher den Auftrag haben zu verbinden. Ob die unverkrampfte Achterbahnfahrt durch sämtliche Kulturkreise und Wissensgebiete für jüngere Leser gut nachvollziehbar ist, da bin ich mir nicht so sicher. Denn manchmal verliert man auch als ausdauernder Leser ein wenig die Geduld, wenn der Text kaum bei einer Szene, einem Gedanken verweilt, um gleich zum nächsten Einfall zu galoppieren.
Die Story orientiert sich visuell und vom Aufbau her an ´jump ´n´ run´-Videospielen wie man sie seit "Super Mario" oder "Prince of Persia" kennt. Luka muss in insgesamt neun ´Levels´ herausfinden, ob es Rettung für seinen Vater gibt und er bekommt zwischendurch immer wieder in Form von ´Speicherbuttons´ oder ´Lebensringen´ die Möglichkeit, den Spielverlauf (oder eben den Verlauf der Story) zu sichern. Gewiss hat sich Rushdie hierbei von den Spielewelten inspirieren lassen, mit denen Kinder heute ganz selbstverständlich aufwachsen. Allerdings wirkt die Geschichte durch diese ´es ist ja nur ein Spiel´-Komponente ein wenig unverbindlich, richtiges Mitfiebern geschieht selten. Man hat aber dennoch immer das Gefühl, dass der Autor die Zügel seiner Geschichte in den Händen behält.
Mir drängte sich für "Luka und das Lebensfeuer" irgendwie der Begriff ´Jugend-Pop-Literatur´ auf, obwohl diese Bezeichnung dem Roman auf der Ebene des Anspruchs natürlich nicht gerecht würde. Mit ´Pop´ wäre allerdings gut die lockere Mischung aus Philosophie, Geschichte und Klamauk bezeichnet, die Rushdie aus dem Ärmel zaubert. In diesem Sinn gewährt das Buch einen interessanten Einblick ins Gehirn eines der meistgelesenen Autoren der Gegenwart. Und dass sich dieses Gehirn ein paar kindliche Züge, eine ungezügelte Lust am Fabulieren und an der Sprache bewahrt hat, macht diesen Roman (bei all seinen Schwächen) dennoch zu einem Vergnügen.
(Thomas Nussbaumer, November 2011)
Salman Rushdie, Rowohlt
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