Die Blutgabe

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  • Erschienen: Januar 2011
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Die Blutgabe
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Phantastik-Couch Rezension vonSep 2011

Jagd auf Roter September

Vampire. Ich muss zugeben, ich war nicht sonderlich begeistert vom Gedanken, einen Vampirroman zu lesen. Bei all dem, was derzeit an Vampiren in der Phantastischen Literatur unterwegs ist, ist das einem Mann über 20 kaum zuzumuten. Den meisten Frauen auch nicht. Nicht einmal Del Toro und Hogan mit "Die Saat" haben dem Genre frisches Blut bringen können. Und dann eine Autorin? Nichts für ungut, aber seit Anne Rice hatte ich keinen guten Vampirroman mehr von einer Frau in der Hand. Und schon die war reichlich schwülstig. Aber die Autorin hat mich gefragt, was ich von ihren Vampiren halten würde. Ich habe gesagt, dass ich von Vampiren gerade sowieso nicht viel halte. Sie meinte "Trotzdem." Ihre Vampire wären anders. Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine Rezension. Aber sie hatte Recht.

Der Farmjunge sucht in der großen Stadt sein Glück

Red September ist auf einer Farm aufgewachsen. Und das heißt nicht die gemütliche Art mit Holzscheune, muhenden Kühen, grünen Wiesen und einem rostigen Traktor hinter dem Haus. Nein, gemeint ist eine Menschenfarm, auf der kahl geschorene Leute leben, die nach Farben kodiert sind, nach ihrem Geburtsmonat benannt und fein säuberlich durchnummeriert sind. Eben wie Red September 38.07. Es geht ihnen nicht direkt schlecht auf der Farm. Sie können Sport treiben, Sex haben, bekommen gesundes Essen und anständige medizinische Versorgung, leckere Drogenbonbons und dürfen regelmäßig beim Verladen ihrer eigenen Blutkonserven helfen. Aber Red 38.07 zieht es, wie so viele junge Menschen, die auf einer Farm aufwachsen, in die große Stadt. Dorthin, wo ihre Blutkonserven hingehen. dorthin, wo die Vampire leben. Dorthin, wohin sein Mädchen, Blue March 35.11 abgehauen ist. Um sie zu finden, unternimmt er eine waghalsige Flucht, die er in einer dunklen Gasse der Stadt bald schon beinahe mit seinem Leben bezahlt. Wenn er nicht zufällig von Vampiren aufgegriffen würde - die ... anders sind. Sie leben zurückgezogen in einem Stadthaus und trainieren Menschen in der Jagd auf Vampire. Red muss lernen, dass es verschiedene Gruppen von Vampiren gibt. Jene, die sich Menschen halten - und solche, die Menschen fressen und die sogar andere Vampire töten. Neue Vampire, vor denen die alten Angst haben. Und diese zu jagen wird jetzt sein Job. Ein Job, in dem er gut werden muss, wenn er die Chance haben will, Blue jemals wieder zu sehen.

There be Vampires - and they don't suck

Das Setting dieses Vampirromans ist tatsächlich ungewöhnlich. Am ehesten ist es mit dem im Film "Daybreakers" zu vergleichen. In einer Welt, die fast nur noch von Vampiren bevölkert ist, sind Menschen eine Ware, die das dringend benötigte Lebenselixier liefern. Nicht genug damit - neben den gewöhnlichen, traditionellen Vampiren, die ihr rotes Süppchen aus dem Konservenbeutel schlürfen und ansonsten ihrem normalen Leben nachgehen, gibt es eine neue Sorte. Die Sorte, die Bluter, die geifernd und mordend durch die Straßen ziehen, Menschen wie Vampire überfallen und aussaugen und deren Opfer, sofern sie den Angriff überleben, ebenfalls zu mordgierigen Bestien werden. Sie scheinen zwar nach einer Weile sozialisierbar - aber trotz allem gefährden sie die bestehende, neue Gesellschaft auf's Schärfste. Und so gibt es eben jene Vampire, die sich über das Gesetz, das kein Vampir einen anderen töten darf, hinwegsetzen. Indem sie Menschen wie Red ausbilden, die Bluter zu jagen.

Rubus' vampirische Welt ist keine apokalyptische - die Apokalypse ist gekommen und vorbeigegangen und hat eine Welt hinterlassen, in der eben eine neue Spezies an der Spitze der Nahrungskette steht. Die Kommunikationstechnik und die Unterhaltungsmedien sind im Laufe des Umbruchs weitgehend den Bach hinunter gegangen, aber die Welt erholt sich langsam vom großen Umbruch, die Menschheit hat überlebt und sich scheinbar ihrer neuen Rolle gefügt und die Probleme sind irgendwie die selben geblieben.
Denn auch die Vampire müssen um ihren Platz an der Spitze der Nahrungskette bangen, den ihnen etwas altbekanntes streitig zu machen scheint: eine Infektionskrankheit. Die selbe Krankheit, die sie aus den Schatten der menschlichen Kulturen an die Oberfläche gespült hat (unsterblich sein HAT seine Vorteile) bedroht nun mal auch sie und die Kultur, die sie sich mühsam aufgebaut haben. Also wird eifrig geforscht. Dazu gleich noch mal.

Frag nicht, was dein Mensch für dich tun kann, frag ...

Die Erzählweise des Romans ist gradlinig - man begleitet den Menschen Red bei seiner Flucht und auf der Suche nach Blue, die irgendwo in der ihm gänzlich unbekannten neuen Welt verschollen ist. Dabei lernt man neben einer Handvoll anderer Menschen (die allesamt als Vampirjäger arbeiten) auch einem ganzen Trupp Vampire. die nicht in der Sonne glitzern und in die er sich nicht sofort unsterblich verliebt. Das macht auch sonst keiner. Andersherum auch nicht. Die Vampire begehren die Menschen. Zum einen, weil reines, frisch getrunkenes Blut so viel besser und gesünder ist, als ewiger Konservenfraß, zum anderen, weil sie die Menschen brauchen, um sie als Jäger einzusetzen. Die Menschen wiederum brauchen den Schutz und das Training der Vampire, wenn sie nicht schnell als Bluterfutter (und wenig später selbst als Bluter) enden wollen. Daraus entsteht ein kompliziertes Geflecht an Abhängigkeiten, Zu- und Abneigungen, die die erste Hälfte des Romans zu einer Art psychologischem Kammerspiel mit Monsterjagdeinheiten machen.

Vampire sind auch nur Menschen

Das schöne - bevor das langweilig werden kann oder sich zu einem geschriebenen Ego-Shooter entwickelt, wenn Red voll trainiert und bewaffnet los zieht, um Blue endlich zu finden, bricht die Handlung ab. Und wird durch einen zweiten Handlungsstrang ersetzt, der vor dem ersten einsetzt und das ganze aus Sicht eines der Vampire erzählt. Was eine ganze Menge von dem, was man im ersten Teil gelernt hat, in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Jetzt wird die Vampirgesellschaft beleuchtet, die Hintergründe der Bluterkrankheit und die Gesellschaft der Vampire, die eben nicht einfach nur drakulaeske Monstren oder blutarme Pseudoaristokraten, sondern Leute wie du und ich (minus Sterblichkeit, plus Sonnenallergie und der einen oder anderen übermenschlichen Mutantenfähigkeit. Dankenswerterweise jedoch nicht alle mit der selben).

Erst kurz vor dem Ende werden die beiden Handlungsfäden verknüpft und in ein gemeinsames Finale geführt.
Das ist reizvoll - aber gewöhnungsbedürftig. Vor allem, weil man sich ziemlich unvermittelt von dem gerade halbwegs lieb gewonnenen Protagonisten für viele, viele Seiten völlig verabschieden muss. Stattdessen folgt man für die nächsten fast 200 Seiten einer Figur, die bis dahin nicht viele Sympathiepunkte sammeln konnte. 

Zwei für den Preis von einem

Ich bin ehrlich gesagt ein wenig hin und her gerissen, ob ich den Kunstgriff "Zwei Bücher in einem nacheinander" gut finden soll. Ich kann nachvollziehen, warum Franka Rubus das so gemacht hat, aber ich weiß nicht, ob sie Red damit einen Gefallen getan hat. Als dann beide Stränge aufeinander treffen, hat man nämlich Protagonist Nummer zwei gerade ins Herz geschlossen, was die Gefahr birgt (bei mir war es so), dass einem Red und seine Wünsche inzwischen reichlich wurscht sind. Man hat ihn einfach zu lange nicht mehr gesehen und als er jetzt auftaucht, sind die Belange der anderen Figur deutlich frischer und damit wichtiger. Insgesamt ist wohl anzumerken - die Vampire sind im Verlauf der Geschichte interessanter als die Menschen. Selbst als Red.

Ansonsten fand ich den Roman erfrischend anders. Es gibt keine abziehbildartigen Bösen, nur unterschiedliche Ziele und Notwendigkeiten. Die Vampire sind zwar sogar noch mächtiger als üblich. So sind einige nicht mal durch Zerstückeln wirklich zu töten und fast alle haben zwar eine leidlich heftige Sonnenallergie, verbruzzeln aber genauso wenig, wie sie mit Knoblauch, Weihwasser, Kreuzen und Pfählen zu stoppen sind. Trotzdem wirken sie nicht so, sondern über weite Strecken ganz "normal" und damit glaubwürdiger als die meisten ihrer literarischen und cineastischen Artgenossen.

Schön auch, dass das alles einen wissenschaftlichen Unterbau bekommen hat, der nicht auf Deus-Ex-Machina-Kniffe und Mystikgeschwurbel zurückgreifen muss (was die Funktionsschwäche von heiligen Symbolen wohl erklärt). Stattdessen kann man dabei sein, wie den Vampiren mit Reagenzglas, Elektrophorese und Gene Sequencer auf den Grund gegangen wird. Das wirft zwar auch Waffen ab - aber die sind tatsächlich nur schmückendes Beiwerk und Nebensache. Großer Pluspunkt.

Und sie glitzern doch nicht. Und Bella wollen sie auch nicht beißen.

Zweiter großer Pluspunkt: Keine schwurbeligen Schmacht- oder schwül-schlüpfrige Sexszenen. Was bei der Thematik so nicht unbedingt zu erwarten war. Ja, es gibt trotzdem Romantik, aber die ist - kann man das eigentlich sagen? - realistischer. Sehr schön - könnte aber bei Freunden (bzw. wohl vor allem Freundinnen) der üblichen Vampirromanen zu herber Enttäuschung führen. Und die dürften durch das (eher nicht passende) Cover viel zu schnell zum Kauf verführt werden. Denn mit dem blutarmen Rotköpfchen auf dem Cover hat die Geschichte so richtig gar nicht zu tun. Dieses Cover hätte mich nicht zum Kauf verführt - und die, die es verführt, bekommen definitiv etwas anderes, als sie erwarten. Da tut auch die Frage auf dem Buchrücken nicht unbedingt gut: "Bleibe ich Mensch oder werde ich Vampir?" - Denn die stellt sich im Buch nicht und wird somit auch nicht beantwortet.

Das Finale ist zwar nicht unbedingt befriedigend, sagt aber so deutlich "Zweiter Teil", dass man damit problemlos leben kann. Diese zu erwartende Fortsetzung soll denn auch im Februar 2012 erscheinen. Das ist gut - denn als Stand-Alone wäre der Schluss deutlich zu schwach.

Insgesamt ein Vampirroman, der endlich neue Wege beschreitet, gut geschrieben und gründlich durchdacht ist und dazu überzeugend erzählt wird. Er erfindet zwar das Rad nicht neu, aber er hat einen - dritten - großen Pluspunkt: keine stereotypen Vampire. Danke dafür.

(Tom Orgel, Oktober 2011)

Die Blutgabe

Franka Rubus, Aufbau

Die Blutgabe

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