Snow - Die Kälte

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
Snow - Die Kälte
Snow - Die Kälte
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2011

Volle Deckung, Feuer frei: Die Schnee-Krabben kommen!

Anwalt Todd Curry wollte seinen Sohn, Kate Jansen ihren Verlobten, Fred und Nan Wilkinson wollten ihre Tochter besuchen. Sie müssen nach Des Moines im US-Staat Iowa, doch alle stranden sie am Heiligen Abend auf dem Flughafen von Chicago: Heftige Schneefälle und Stürme haben den Flugverkehr lahmgelegt.

Die Entfernung zwischen Chicago und Des Moines beträgt nur 500 km. Das Quartett - vom Pech zusammengewürfelt - beschließt, die Fahrt trotz der damit verbundenen Gefahren mit dem Automobil zu wagen. Weit kommt man nicht; Curry gerät irrtümlich vom Highway ab, und als er auf einer Nebenstraße beinahe einen einsamen Wanderer überfährt, landet der Wagen in einer Schneewehe und wird so stark beschädigt, dass an eine Weiterfahrt nicht zu denken ist.

Glücklicherweise ereignete sich der Unfall nahe der kleinen Ortschaft Woodson. Zu Fuß erreicht man dieses Ziel, doch nicht Hilfe, sondern der Tod wartet auf die Neuankömmlinge: Seltsame Wesen materialisieren sich aus Schneewirbeln. Sie dringen halbstofflich in die Körper ihrer menschlichen Opfer ein, die sie anschließend ihrem Willen unterwerfen. Die dabei entstandenen Mischwesen sind kannibalische Mörder, die sich zwar töten lassen, wobei der Eindringling jedoch unbeschadet in sein Zwischenreich zurückkehrt.

Nur wenige Einwohner haben überlebt. Die Verkäuferin Shawna Dupree kann die unfreiwilligen und entsetzten Gäste zunächst retten und sie über die Situation in Kenntnis setzen. Von außen wird keine Rettung kommen. Die Kreaturen und das Wetter haben Woodson isoliert. Man ist gegen die schussfeste Übermacht auf sich allein gestellt. Bald finden die Wesen die kleine Gruppe, die trotz verzweifelter Gegenwehr reduziert wird. Allerdings entdecken die Menschen im Gegenzug, dass die Kreaturen nicht gänzlich unverwundbar sind ...

Guter, alter, nie altmodischer Horror

In letzter Zeit kann der Freund des ´richtigen´ Horrors das Gefühl der Verzweiflung erschreckend leicht heraufbeschwören. Es genügt der Gang in eine beliebige Buchhandlung und der Blick in die mit "Phantastik" überschriebenen Fächer: Dort drängen sich jene aktuell erfolgreichen Machwerke, in denen sich glutvolle Vampire oder Engel oder ihre einkaufsfetischistisch veranlagten weiblichen Gegenstücke tummeln und treiben, was vorzugsweise Jungmädchen für Sex oder schick halten. Die immer gleichen Geschichtchen vermehren sich wie die Karnickel bzw. setzen unzählige Klone in die Welt, wo diese wiederum endlose Serien austreiben.

Darüber hinaus wird dümmlicher Sex-&-Splatter-Trash für permanentpubertierende Leserkreise feilgeboten: Eindimensionale Monster schlagen breite Blutschneisen durch machtlose Menschenmengen, bis ihnen leichthirnige aber schwer bewaffnete Einzelgänger Einhalt gebieten.

Mit Erleichterung reagiert der Leser, der solche Platt- und Plumpheiten verabscheut und sich lieber traditioneller grault, auf die Entdeckung eines Romans, dessen denglischer Titel eigentlich keine nahrhafte Genrekost signalisiert. Umso erfreulicher ist die Entdeckung, dass hier ein Autor ganz altmodisch einen Job erledigt, der ganz einfach lautet: Unterhalte dein Publikum, ohne es für dumm zu verkaufen!

"Simpel" ist kein Schimpfwort

Wobei dieses Publikum wie gesagt eben nicht nur aus b(lut)rünstigen Jugendlichen besteht, sondern auch Leser einschließt, die mit einer echten Story überrascht werden möchten. Dieser rote Faden kann ruhig dünn sein; hier bringt schlechtes Wetter eine kleine Gruppe in eine isolierte Stadt, die von Ungeheuern belauert wird. Die sich daraus ergebenden Ereignisse wurden in tausend Filmen und zehntausend Romanen durchgespielt. Auch "Snow" bietet weder Neues noch Originelles, kann aber mit der bestmöglichen Alternative dienen: Ronald Malfi weiß, wie man an der Spannungsschraube dreht!

Als fachkundiger Horror-Handwerker orientiert er sich grob am Großmeister des US-Kleinstadt-Horrors: "Snow" erinnert an ein Werk von Stephen King (speziell an "Under the Dome", dt. "Die Arena"). Freilich kopiert Malfi sein Vorbild hauptsächlich in der sorgfältig entwickelten und getimten Dramaturgie des Schreckens: Dieser setzt langsam und unmerklich ein und bietet zunächst nur Bruchstücke eines Gesamtbildes, das der Verfasser uns nicht schwatzhaft erklärt, sondern das er im Geschichtsfluss entstehen lässt.

Wir wissen nie mehr als die Unglücksraben, die es nach Woodson verschlägt. Informationen erhalten wir wie sie, indem wir die Straßen des Städtchens ´beobachten´, den Schilderungen der wenigen Überlebenden ´zuhören´ oder gemeinsam mit unseren Helden Nachforschungen anstellen.

Jedermann & Jedefrau in der Krise

Es sind keine Supermänner oder -frauen, die in Woodson um ihr Leben kämpfen. Sie mutieren auch nicht zu solchen, nachdem sie im Feuer (bzw. hier im kalten Schnee) geprüft und gestählt wurden: Solche Quantensprünge überlässt Malfi den weniger inspirierten Autoren. Seine Figuren sind Getriebene, Entwurzelte, Verlierer, denen es jetzt zu allem Überfluss auch noch ans Leder geht. Angst und Überlebenswillen setzen zwar kurzfristig Kräfte und Kampfgeist frei, doch mangelndes Wissen führt oft dazu, dass der Schuss buchstäblich nach hinten losgeht. Fehltritte und -schüsse führen zu neuen, verhängnisvollen Ereignissen.

Dass die Handlung dennoch voranschreiten kann und ein allmähliches Sammeln von Wissen damit einhergeht, fordert ganz realistisch Opfer. Malfi treibt das Element der Unsicherheit auf die Spitze: Wir wissen nicht, was geschehen, und wir wissen nicht, wen es als nächsten erwischen wird! Auch aufwändig eingeführte Hauptfiguren sind davor keineswegs gefeit.

Die Krise bringt zudem nicht zwangsläufig das Positive zum Vorschein: Woodson ist ein Mikrokosmos des allzu Menschlichen. Mit offenen Armen werden die Flüchtigen nie empfangen. Wer seine kleine Nische vor den Monstern gefunden hat, will Sicherheit, Wärme und Nahrung nicht teilen. Kleine Geister wittern ihre große Chance und wachsen als Diktatoren oder religiöse Fanatiker unheilvoll über sich selbst hinaus.

Was im Schnee umgeht

Die daraus resultierenden Konflikte ermöglichen es Malfi, sparsam mit den Auftritten seiner Ungeheuer umzugehen. Gern sind die Menschen mit sich selbst beschäftigt. Manchmal ist der Leser sogar froh, dass die Kreaturen sich wieder bemerkbar machen: Sie bringen von außen Bewegung in die Handlung!

Dies ist ihr Primär-Job, und deshalb ist es gar nicht nötig, ihre Herkunft detailliert zu klären. Sind es Naturgeister? Unwillkommene Gäste aus einer fremden Dimension? Außerirdische? Wichtig ist: Es sind Jäger, sie sind teuflisch schlau, und ihnen ist mit Waffengewalt nicht beizukommen. Erforderlich sind Gewalt und Köpfchen, wobei beide Elemente sich die Waage halten: Schließlich ist "Snow" kein Psycho-Thriller und will es auch nie sein.

Malfis Monster erfüllen ihre Aufgabe gut: Sie sind groß, es gibt sie in den Versionen bizarr bis hässlich, und ihr Verhalten sorgt jederzeit für Schrecken. Die Möglichkeit der Kommunikation ist im Romankonzept nicht vorgesehen. Ungeheuer sind und bleiben Ungeheuer. Man spricht nicht mit ihnen, man kämpft mit ihnen und rottet sie aus.

Mit Volldampf in die Zielgerade

"Snow" gäbe die Grundlage für keinen guten aber einen unterhaltsamen Film ab. Ungeachtet der Frage, ob Malfi bei der Niederschrift schon mit einem Auge gen Hollywood schielte, sind entsprechende Stilmittel deutlich erkennbar. Die Handlung bietet sowohl regelmäßige Action-Einschübe als auch Pausen, in denen nicht nur die Figuren (= Darsteller) verschnaufen können. In solchen Momenten der Ruhe gibt es Rückblenden. Die Figuren erinnern sich an ihre Vergangenheit oder erzählen einander davon. Wirklich notwendig ist es nicht. Anders als der schon genannte Stephen King verfügt Malfi zudem nicht über das Talent, Klischees zu entstauben und Figuren in Menschen zu verwandeln. Sie bleiben Monsterfutter.

Die Verfolgungsjagden und Duelle mit den Kreaturen oder mit durchgedrehten Zeitgenossen steigern sich in ihrer Intensität. Wie ein Film steuert die Handlung klar auf einen finalen Höhepunkt zu. Alle relevanten bzw. noch lebenden Figuren werden zum letzten Gefecht antreten. Die Menschen sind hoffnungslos in der Unterzahl. Noch einmal wird aus Leibeskräften gestorben. Aber siehe: Wer lange genug die Zähne zusammengebissen und ein wenig Glück hat, wird mit einem Ende belohnt, das zwar nicht happy ist - wir leben schließlich im zynischen 21. Jahrhundert -, aber die üblichen Verhältnisse immerhin monsterfrei wiederherstellt. Ein bisschen Zuckerguss gibt's noch dazu: Wer bisher sein Kind vernachlässigt oder dem falschen Mann hinterhergerannt ist, wird zukünftig alles besser machen.

Das ist wie gesagt alles keine Kunst, sondern Handwerk. Ronald Malfi beherrscht es so gut, dass man von ihm hierzulande hoffentlich noch mehr lesen wird - ein Gefühl der Erwartung, die der Horrorfreund im Wust des Trash-Grusels fast schon verloren wähnte.

Snow - Die Kälte

Ronald Malfi, Heyne

Snow - Die Kälte

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