Heidi und die Monster
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2010
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Auf der Alm da gibts koa Sünd' - dafür aber wandelnde Tote
'Nicht noch ein Literatur-Mash-up!', das war ganz ehrlich mein Gedanke, als ich von diesem "Alpendrama" das erste Mal gehört habe. Aber gut, ich wollte Pratchetts "I shall wear midnight" unbedingt rezensieren - da war dieses Stück mein Zugeständnis. Davon abgesehen hatte ich ja schon Pranges "Winnetou unter Werwölfen" und "Pride, Prejudice and Zombies" rezensiert (und mich erfolgreich gegen die vampirjagende Sissi gewehrt), war also dazu quasi zwangsverpflichtet. Das Pseudonym Peter H. Geißen für einen Heidi-Roman ließ mich jedenfalls Schlimmstes befürchten. Noch dazu, dass ich wohl nicht einmal als Kind ein Heidi-Fan war und mein letztes filmisches Erlebnis dazu sicherlich auch deutlich mehr als zwei Jahrzehnte zurück liegt.
Ich wurde enttäuscht. Ich bekam nicht 'Schlimmstes', sondern ein im Rahmen des Untoten-Mash-Up-Trends erstaunlich Gelungenes. Sicherlich keine Weltliteratur, aber ich habe mich auch nicht vor inneren Schmerzen winden müssen (was ich wiederum nicht von allen Vertretern der so genannten Weltliteratur behauten kann). Um ehrlich zu sein: Ich habe sogar an mehr als einer Stelle gegrinst. Aber der Reihe nach.
Das Heidi, der Öhi, die Rottenmeier und die Niänenüütli
Die Geschichte dürfte bekannt sein. Die, bzw. "Das Heidi" wird von ihrer Tante Dete bei ihrem Großvater auf der Schweizer Almhütte abgeliefert. Hier erschleicht sich das sonnige Gemüt schnell das Herz des grantigen Einsiedlers und lebt mit ihrem Freund, dem Ziegenhirten-Jungen Geißen-Peter fröhlich auf den Almen und Matten im Sonnenschein. Zumindest, bis sie von ihrer Tante nach Frankfurt am Main verpachtet und verfrachtet wird, um der kränklichen Klara als Gesellschafterin zu dienen. Eine Weile leidet sie unter der gestrengen Gouvernante Frl. Rottenmeier und lernt beim weniger gestrengen Herrn Kanditaten ihre Buchstaben, um schließlich als vollendet kleine Dame auf die Alm zurück zu kehren.
Geändert hat sich daran nichts. Es sind einfach nur ein paar Zombies und ein oder drei Vampire dazu gekommen. An den Zombies (auf gut graubündnerisch "Niänenüütli" - oder auch Glaarige, von "glaare - ins Leere starren") liegt es, dass Heidi auf die Alm kommt. Dete liefert das Kind dort oben ab, da die tiefer gelegenen Ortschaften bereits von den Horden der dumpfen Untoten belagert oder überrannt sind. Und das Auftauchen eines Vampirherrn ist der wahre Grund, warum sie in das zur Festung ausgebaute Frankfurt (und später wieder zurück), reisen muss.
Frischzellenkur mit Untotenblut
Die Sentimentalität und Erinnerung an vorpubertäre Kindertage, mit denen man sich gern auf einen der ersten Anime im deutschen Fernsehen zurückbesinnt, dürften für die wenigsten Leute ein Grund sein, sich eine wie auch immer geartete Neuauflage von Spyris Kinderbuch zu kaufen. Insofern ist eine "Frischzellen"-Kur mit reichlich Untotenblut nicht die schlechteste aller Ideen, um den alten Stoff an neue Käuferschichten heran zu tragen.
Das wirklich Schöne an "Heidi und die Monster" ist aber, dass es dem Neuinterpreten Peter H. Geißen gelungen ist, Spyris leichten, um nicht zu sagen naiv-fröhlichen Erzählton auch inklusive Zombies und grausigen Untotentaten zu erhalten. Heidi ist und bleibt das bis zum Erbrechen gut gelaunte, nie Böses ahnende Kind, das fröhlich über die Alm springt und zum Abendessen daheim ist, bevor die Glaarigen ihre Löcher verlassen. Die Unaussprechlichen, die Niänenüütli selbst werden von den reisetüchtigen und handfesten Einheimischen mit dem Pfyffeli, dem Kurzschwert, niedergemacht, wo man ihnen nicht mit Fatalismus und gepanzerten Eisenbahnwaggons begegnet. Gelegentlich wird zwar ein Dorf überrannt oder eine Postkutsche samt Pferden gefressen, doch im Allgemeinen wird weniger geklagt und mehr gemetzelt. Die Städte selbst sind zu Bastionen der Menschen mit Untoten-Abfuhr geworden und ansonsten ist es eben nur hoch oben in den Alpen noch sicher. Aber gleich wo sich das Heidi nun befindet, nichts und niemand ist in der Lage, diesem Kind seine glückselige Naivität auszutreiben. Dabei verliert die Neuinterpretation das Original nie völlig aus den Augen, sondern folgt (sehen wir von der großen Endschlacht ab) dem ursprünglichen Plot so weit es eben möglich ist. Trotzdem schafft sie es, eine ganz eigene Originalität zu entwickeln, die die des ursprünglichen Stoffes teilweise zu überschreiben vermag.
Morbider Spaß auf dem Sentimental-Trip
Darin liegt eben der größte Spaß: Man ist nach Lektüre dieses Büchleins (das ja mit nur 284 Seiten wirklich schnell mal weggelesen ist) gewillt, sich Sonntag Nachmittags mit seinen Kindern eine Heidi-Verfilmung anzusehen. Nur um dann zum völligen Unverständnis der restlichen Familie pausenlos vor sich hin zu kichern, sei es über den Namen der Rottenmeier, der plötzlich eine ganz neue Bedeutung bekommt oder aber, weil vor dem geistigen Auge in den unmöglichsten Szenen ständig "Glaarä" um die Ecke schlurfen. Und man wird den mürrischen Alpen-Guerilla Öhi nie wieder sehen können, ohne an seine untote Geliebte im Schuppen hinter dem Haus zu denken.
Gelungene Wiederbelebung
Dass das Ganze dann auch noch handwerklich gut geschrieben und eben mit vielen liebevoll eingepassten Details (wie eben den passenden Ausdrücken der Einheimischen für die "Widernatürlichen") aufgewertet ist, rundet das Leseerlebnis ab.
Die eigentümliche Mischung aus liebevoll-altmodischer Heile-Welt-Literatur und morbidem Splatterspaß kann also nur als durchweg gelungen bezeichnet werden. Natürlich muss man Heidi irgendwann mal gesehen haben und sich auf eine gründliche Verhackstückung der Jugenderinnerungen einlassen können - aber dann kann man das Büchlein gerade als Erwachsener durchaus genießen.
Und als Mash-Up und Parodie ist es auf jeden Fall gelungener als Pride, Prejudice and Zombies. Danke, Peter H. Geißen, wer immer du bist. Ich habe das Erlebnis genossen. Einziger Wermutstropfen - ich konnte schon wieder keinen Verriss schreiben. Dabei hatte ich mich schon darauf gefreut.
Diverse Horror, Goldmann
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