Baden gegangen
Brian Mallouf, ein sechzehnjähriger Amerikaner mit libanesischen Wurzeln, lebt seit drei Jahren mit seinen Eltern in Beirut. Bei einem Besuch seiner Großeltern in Jerusalem wird er Zeuge einer übernatürlichen Erscheinung. Aus einer leuchtenden Kugel entsteht ein Riese mit einem Kelch in der Hand. Dieser Riese behauptet, er käme im Namen des allmächtigen Schöpfers und er spricht von einem drohenden Unheil, das kurz bevorsteht. Ein schwarz gekleideter Mann stürmt auf den Riesen zu und schon explodiert eine Bombe. Der Riese, schwer verletzt, löst sich in Luft auf, und der Platz ist mit Toten und Verletzten übersät. Der zurückgelassene Kelch reißt einen Krater, der sich mit Blut füllt.
Am nächsten Tag findet ungerührt ob dieses Ereignisses in Beirut die Hochzeit von Brians Tante statt. Der Bräutigam ist Muslim, die Braut eine Christin, aber das scheint niemand zu stören und es wird fröhlich gefeiert. Die Hochzeit endet jäh, als Beirut durch einen atomaren Luftangriff dem Erdboden gleichgemacht wird. Nur Brian und Khayra, ein fünfzehnjähriges Mädchen, das er gerade erst kennengelernt hatte, überleben wie durch ein Wunder. Bei den Überresten von Brians Haus finden sie ein kleines Mädchen und nehmen es mit. Zwei Tage irren sie durch die zerstörte Stadt, das merkwürdige Mädchen verschwindet plötzlich und dann werden sie von amerikanischen Soldaten aufgegriffen. Brian gibt sich als Amerikaner zu erkennen. Er wird mitgenommen, aber Khayra wird an einen Baum gefesselt zurückgelassen.
Noch am selben Tag fliegt er zurück in die USA, nach Chicago. Man bringt ihn in einen Militärstützpunkt und dort erfährt er von General Doyle von weiteren katastrophalen Ereignissen: Die Weltmeere haben sich rot gefärbt, sind teilweise innerhalb von 24 Stunden angestiegen und haben ganze Landstriche überschwemmt. Der gesamte Westen der USA ist überflutet und Millionen Menschen sind ertrunken. Schuld an diesem Desaster sind die Moslems, sagt der General. Der Riese in Jerusalem war der Sohn Gottes und nun sei es die Pflicht aller Christen, die Ermordung Jesus Christus zu rächen.
Einen Tag nach seiner Ankunft in Chicago begegnet ihm Derdekea. Eine junge Frau, die von sich behauptet, das geheimnisvolle kleine Mädchen in Beirut gewesen zu sein, und sich als Engel der Hoffnung zu erkennen gibt. Sie erzählt ihm, dass er der letzte Erlöser sei und dass es seine Aufgabe wäre, die Menschheit zu retten. Aber Brian kann nichts damit anfangen und so wird er Rekrut der CFA (Christian Federation Army), denn er will seine Eltern rächen. Ein unglaublicher Krieg zwischen Moslems und Christen beginnt, während nach und nach immer mehr Teile der Welt im roten Ozean versinken.
Der Rote Ozean ist eine linear aus Sicht der Hauptfigur erzählte Geschichte von 220 Seiten über den Untergang der Welt. Zeitlich angesiedelt in der nahen Zukunft, nämlich von Juni 2027 bis Januar 2030. In einem Nachwort nennt der junge Autor - Marcel René Klapschus ist Jahrgang 1986 - die japanische Literatur und japanische Filme als Inspirationsquellen. Besonders hebt er die freien Gestaltungsmöglichkeiten und die fließenden Grenzen zwischen Fiktion und Realität hervor.
Ich erlaube mir, ihn wörtlich zu zitieren: "Das ist für mich als Autor sehr faszinierend, stellt den Leser aber auf eine harte Probe."
Mich hat der Roman ´Der Rote Ozean' auf eine äußerst harte Probe gestellt, denn ich habe mich selten derart durch einen so kurzen Roman quälen müssen. Das Buch ist sowohl von der Diktion wie inhaltlich haarsträubend und noch dazu kein bisschen fesselnd. Dem Autor fehlt jegliches Gespür für Sprache. Seine Ausdrucksweise ist teilweise so unbeholfen, dass der Verdacht aufkommt, er sei sich der genauen Bedeutung oder der Verwendung mancher Begriffe nicht sicher.
Klapschus behauptet, anstatt zu zeigen, er doziert und moralisiert unentwegt, dass sich mir an einigen Stellen die Lektüre religiöser Erweckungspamphlete als die unterhaltsamere Alternative in den Sinn drängte. Die Dialoge sind hölzern, der Protagonist, seine Begleiter und seine Gegenspieler dreschen Phrasen, dass es nur so staubt. Erst nach der Hälfte des Buches gelingen einige Kapitel mit flüssigeren Dialogen, die aber schon bald wieder abgelöst werden vom Austausch verbaler Plattheiten im Stile: "Er hat die Insel Shiva erschaffen und uns geboren. Wir verdanken dem Vater sehr viel." Da freut man sich als Frau wenigstens darüber, dass es endlich mal ein männliches Wesen gibt, das gebären kann.
Ich hätte über die holprige Sprache dennoch hinweggesehen, wenn mich der Hauptcharakter Brian oder wenigstens eine der Nebenfiguren interessiert hätte. Spannung entsteht für mich dann, wenn ich um eine Figur bangen muss, oder wenn ich unbedingt wissen möchte, wie sie sich entwickelt oder was mit ihr geschieht. Leider nervt der Protagonist so sehr, dass ich mir mehrmals gewünscht habe, er wäre gleich zu Beginn des Romans von der Bombe erwischt worden, oder zumindest kurz darauf in der Flut ertrunken. Brian ist ängstlich, weinerlich und einfältig. Ein eher passiver Mensch, dessen Versuche, etwas zu reflektieren, immer im Ansatz stecken bleiben. Die Nebenfiguren sind blass und unecht, reine Staffage.
Wie das weiße Kaninchen aus dem Zauberhut
"Der Rote Ozean" ist eine Endzeitgeschichte, die Religionskonflikte auf extreme Weise ausmalt und simplifiziert. Dabei bedient sich der Autor phantastischer Elemente und vermengt sie mit biblischen Bildern und Kriegsgeschichten. Dagegen spricht eigentlich nichts, aber ich erwarte auch von einem phantastischen Roman eine innere Logik und einen stimmigen Weltaufbau.
Leider hapert es auch da, denn die Handlung strotzt vor Ungereimtheiten und die Ausformung der fiktiven Welt wird auf Biegen und Brechen dem Verlauf der Handlung angepasst. Der zeitliche Ablauf ist völlig unglaubwürdig, sowohl die politische Einigung der westlichen Länder wie die kriegerische Mobilisierung. Am 4.Juni erscheint der Riese Jesus morgens in Jerusalem. Sofort danach färbt sich das Wasser und die Meere steigen an. Am 5. Juni findet die Hochzeit in Beirut statt. Niemand auf der Hochzeit redet über die Katastrophe in den USA, über das Rotfärben und Ansteigen der Meere. Sehr unwahrscheinlich im Zeitalter der modernen Kommunikation. Dann am Abend des 5. Juni erfolgt der atomare Angriff auf Beirut. Am 8. Juni in Chicago erzählt General Doyle dem verstörten Brian, dass sich die Christen aus aller Welt sofort zusammengetan und ein gewaltiges Truppenkontingent in den Nahen Osten geschickt hätten. China, Japan und Indien und ihre Religionen spielen keine Rolle im Jahr 2027. Dass sich die sehr unterschiedlichen Christen wie Katholiken, Protestanten oder Orthodoxe so schnell einig sind, ist genauso unwahrscheinlich, wie das vereinte Handeln aller europäischen Regierungen. Vor allem unter dem Aspekt, dass die meisten Länder mit den Folgen einer Naturkatastrophe größten Ausmaßes konfrontiert sind. Da denkt jede Regierung zuerst an die Rettung der eigenen Bevölkerung.
Das ist überhaupt mein wichtigster Kritikpunkt: Die Welt geht unter, der größte Teil der Weltbevölkerung wird ausgelöscht durch das Ansteigen der Meere, aber eine extrem kostenintensive hochmoderne Kriegsmaschinerie, über den Atlantik hinweg, wird über zwei Jahre aufrechterhalten. Es gibt keine Tiere mehr, kaum noch was zu essen, aber die Ressourcen für Transatlantikflüge sind vorhanden. Äußerst unglaubwürdig.
Ich hatte an so vielen Stellen das Gefühl, der Autor hat überhaupt nicht darüber nachgedacht. Er liefert für unzählige Punkte im großen wie im kleinen Rahmen keine schlüssigen Erklärungen, sondern er stellt einfach Behauptungen auf, die teilweise sehr an den Haaren herbeigezogen wirken.
Brian wird bei der Ankunft in Chicago wie ein VIP behandelt, mit einer Limousine zum Militärstützpunkt chauffiert, von einem hochrangigen General empfangen. Warum findet ein General Zeit, sich um einen sechszehnjährigen Teenager zu kümmern?
Warum gibt es in den amerikanischen Streitkräften plötzlich keine Frauen mehr? Sind die Soldatinnen der US-Army alle bei einer Tagung im Westen gewesen und mit der ersten Flutwelle ertrunken oder einfach nur über Nacht entmaterialisiert? Klapschus schreibt jedenfalls nur von Männern in der Armee.
Aber die Post funktioniert vorbildlich, denn Brian bekommt am 12. Juni einen Brief von der am 8. Juni in Beirut zurückgelassenen Khayra. Meine Hochachtung, in der Zukunft scheint alles möglich, sogar kurze Postlaufzeiten der amerikanischen Staatspost. Der glückliche Briefempfänger stellt fest, dass seine Zimmergenossen Briefe "nur außerordentlich selten" erhalten. Diese Tatsache erkennt er mit scharfem Verstand schon nach knapp vier Tagen vor Ort.
Warum taucht der merkwürdige Riese, der Abgesandte Gottes, ausgerechnet auf dem Mahane Yehuda auf? Der übrigens kein breiter, offener Marktplatz ist, wie im Roman beschrieben, sondern ein Gewirr aus engen Gassen und Gebäuden. Warum erwählt Gott ausgerechnet diesen einfach gestrickten Brian als Erlöser? Aus Zufall?
Fragen über Fragen, die unbeantwortet bleiben. "Der Rote Ozean" ist ein kruder Weltuntergangsroman, der in keiner Beziehung zufrieden stellen kann. Fazit: Baden gegangen, aber gründlich.
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