Der Historiker
- Bloomsbury
- Erschienen: Januar 2005
- 13
Der ewige Beißer und die Bücher
";Mein lieber, unglücklicher Nachfolger,mit Bedauern stelle ich Sie mir vor, wie Sie, wer immer Sie sein mögen, den Bericht lesen, den ich hier zu verfassen habe. Das Bedauern gilt zum Teil mir selbst, weil ich sicher in Schwierigkeiten stecken, vielleicht sogar tot sein werde, oder Schlimmeres noch, wenn Sie diese Worte lesen.";
Wer das Pech hat, Briefe zu finden, die mit dieser makabren Einleitung beginnen, steckt mitten in einer Legende – allerdings einer mit bissigen Folgen. Der unglückliche Nachfolger ist in diesem Fall ein 16jähriges Mädchen, die blutdürstige Legende niemand geringeres als Dracula.
";Der Historiker"; beginnt im Jahr 1972, als dieses Mädchen, die Erzählerin, mit ihrem Vater, einem amerikanischen Diplomaten in Amsterdam lebt. In dessen Bibliothek entdeckt sie erst ein offensichtlich uraltes Buch, dessen Deckel der Holzschnitt eines Drachen mit gespreizten Klauen und Flügeln zeigt. Während die Seiten des Buches leer sind, geben die danebenliegenden Briefe umso mehr Auskunft über das ungewöhnliche Druckwerk. Mehr als verwirrt fragt sie ihren Vater Paul, der erst nach einigen Anläufen davon berichten kann, wie er als Student in den Besitz des Drachenbuches kam.
Und so erzählt er, wie unmittelbar nachdem er das Buch entdeckt hatte, sein Lieblingsdozent urplötzlich und spurlos verschwindet, nur die Blutflecke an der Zimmerdecke geben noch mehr Rätsel auf. Paul startet eine Suchaktion durch halb Europa, die zwar erfolglos bleibt, aber zur Zeugung seiner Tochter führt. Als Paul kurz nach seinem Bericht ebenso verschwindet, stürzt sich seine Tochter in eine verzweifelte Suche – die Geschichte scheint sich zu wiederholen.
Elizabeth Kostova entfaltet den Ablauf der nun folgenden Ereignisse in drei verschiedenen Zeitlinien von den 1930er bis 1970er Jahren und in vier hauptsächlich osteuropäischen Ländern (ja, auch in Rumänien…). Egal, wo sich Paul oder später seine Tochter während ihrer Reisen befinden, stets lungert im Hintergrund eine dunkle geheimnisvolle Figur, die ihnen folgt und das eine oder andere Mal ihre Suche erschwert. Was beiden schnell auffällt: Dracula hat eine ganz spezielle Vorliebe für talentierte Historiker und Bibliothekare.
Aus Vampirgeschichten bekannte Requisiten wie Knoblauch und Kruzifix tauchen in ";Der Historiker"; zwar auf, die Gemeinsamkeiten zwischen Stokers und Kostovas Blutsaugern sind jedoch recht klein. Diesem gebildeten und eleganten Monster macht Sonnenlicht nichts aus, wenn es zwischen Erst- und Zweit-Grüften pendelt, um sein in uralten Briefen niedergeschriebenes Geheimnis zu wahren.
Feiner Grusel
";Der Historiker"; ist ein Buch, das man verschlingen will, Seite für Seite, um endlich zu erfahren, wann sich die Wege von Paul, der Erzählerin und Dracula kreuzen. Doch Elizabeth Kostova hat eine langsame und glutvolle Geschichte geschrieben, die sich atemlosem page-turning widersetzt. Die Spannung, die daraus entsteht, ist beträchtlich. Man möchte die Handlung vor Ungeduld anschieben, doch das Buch ist jede Minute seiner Lesezeit wert.
Hier geht es nicht in erster Linie um scharfe Zähne und spitze Holzpflöcke. Kostova schreibt von Sterblichkeit, von Vergänglichkeit und verlorener Zeit in menschlichen Beziehungen und menschlicher Geschichte. Trotz dieser melancholischen Grundstimmung strahlt die ziselierte Geschichte einen feinen Grusel aus – je später die Lesezeit, desto deutlicher.
Elizabeth Kostova, Bloomsbury
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