Der unmögliche Roman
- DuMont
- Erschienen: Januar 2011
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Der Teufel ist Schriftsteller und die Hölle eine Bibliothek
Mit "Der unmögliche Roman" legt uns der Serbe Zoran Zivkovic wider Erwarten keinen Roman vor, sondern eine Zusammenstellung seiner Kurzromane und Einzelveröffentlichungen, die zwischen 1997 und 2003 in ihrer Originalsprache erschienen. Der Band serviert uns je eine Handvoll Erzählungen, die wiederum in fünf Bücher zusammengefasst wurden. Die einzelnen Geschichten sind dabei Variationen eines einzelnen Themas und bilden eine untrennbare Einheit.
In "Zeitgeschenke" bekommen alle Protagonisten unerwartet Besuch von einem geheimnisvollen Herrn mit Melone und weißen Handschuhen. Dieser ermöglicht ihnen in die Vergangenheit oder in die Zukunft zu reisen. Sei es, um ein Unglück ungeschehen zu machen oder ein Geheimnis zu lüften. "Der Uhrmacher" rettet so seine Geliebte vor dem Unfalltod und "Die Paläolinguistin" erfährt durch ihre Reise in die Vergangenheit alles über eine Ursprache, der sie ihr ganzes Leben gewidmet hat und dabei doch nie wusste, ob sie mit ihren Spekulationen und Theorien überhaupt richtig lag.
Die Figuren in "Zeitgeschenke" sind Personen, die gewissermassen in eine Sackgasse hineingelebt haben und etwas in ihrem Leben bereuen. Doch der Teufel macht keine Geschenke, so sagt man. Was ist also der Preis für diese Zeitreisen, die ein Leben verändern, einen Fehler korrigieren können? Auf den ersten Blick erscheint der Teufel bloss als alter Melancholiker, als verkappter Sadist, der sich daran erfreut, menschliche Zweifel zu nähren oder Illusionen zu nehmen. Der Uhrmacher kann sich beispielsweise gar nicht recht über die Rettung seiner Geliebten freuen, weil er weiss, dass sie in einer ´anderen Wirklichkeit´ ums Leben gekommen ist. Und die Paläolinguistin bereist die Vergangenheit nur als geisterhafter Schemen, dem es nicht erlaubt ist, am Leben der Urmenschen teilzuhaben. Was der Teufel bezweckt mit seinen Geschenken, bleibt ungewiss. Ist er am Ende gar nicht der, für den man ihn hält?
Zivkovic benutzt in den fünf Erzählungen mehrmals die Metapher eines granitgewordenen Flusses oder eines Baums für die Zeit, an deren Stamm sich verschiedene Äste gabeln. Diese stehen wiederum für alternative Lebensstränge. Aber: Die Vergangenheit kann nicht einfach ungeschehen gemacht werden. Die hinterlassenen Spuren im Granit auszumeisseln ist unmöglich. Und doch verzweigen sich an diesem Baum immer mehrere ´Realitäten´. Es kommt nur darauf an, welche Abzweigung man nimmt.
Zu Unmöglichen Begegnungen kommt es im zweiten Buch. Ein passionierter Bergwanderer begegnet in "Die Kupa" auf der Spitze des gleichnamigen Berges unverhofft einem Unbekannten. Er ärgert sich darüber, dass die erhabene Gipfelruhe durch einen Fremden gestört wird. Dennoch entspinnt sich ein Gespräch zwischen den beiden und es stellt sich heraus, dass der Wanderer seinem zukünftigen Ich begegnet. Aber der alte Mann zögert zu Recht, sein jüngeres Ich über die Zukunft, die für ihn selber schon Vergangenheit ist, aufzuklären. Denn würde einem das Wissen um die eigene Zukunft nicht jeden Lebenssinn nehmen?
"Für ihn [den jüngeren] wäre damit alles vorausbestimmt und unausweichlich. In diesem Fall verliert er nicht nur die Hoffnung, sondern auch die Furcht. Und wie kann man leben ohne Furcht und Hoffnung?"
Auch in den anderen Geschichten geht es um eine schicksalshafte Begegnung, die in den Figuren Fragen zu ihrer Existenz aufwerfen. In jeder Erzählung taucht ein Buch mit dem Titel "Unmögliche Begegnungen" auf, ein Leitmotiv, das die Stories miteinander verknüpft und das gleichzeitig ein schönes Beispiel für Zivkovics Arbeitsweise ist: Er bezeichnet seine Kurzromane selber als ´Mosaik-Romane´ (´mosaic novels´), die aus einzelnen ´Fugen´ (im musikalischen Sinn) bestehen. Wobei das ganze Buch mehr ergeben soll als die Summe seiner Einzelteile.
Musikalisch geht's dann auch in den Sieben Berührungen der Musik weiter. Unter anderem wird untersucht, ob Chopins zweites Klavierkonzert einen Effekt auf die Zeichenkünste einer autistischen Schulklasse hat. Und was hat es mit dem Drehorgelspieler auf sich, der in der Wartehalle eines Bahnhofs seine Zuhörer beschallt? Sind die Visionen, die eine der Reisenden erlebt real oder nur Ergebnis ihres inneren Aufruhrs, da sie weiß, dass ihre Schwester ernsthaft erkrankt ist?
In einer weiteren Story motiviert ein im Stadtpark aufgestellter Musikpavillon einen Rentner zum Malen ungewöhnlicher Bilder. Doch als der Pavillon am Ende des Sommers wieder abgebaut wird, geht damit auch die seltsame Virtuosität des Malers verloren.
Das Herzstück der Kollektion liegt dann mit "Die Bibliothek" vor, die 2003 den World Fantasy Award erhielt: Wenig erstaunt muss ein Sünder in "Die Höllenbibliothek" feststellen, dass er nach seinem Tod tatsächlich in der Hölle gelandet ist. Überraschend mutet dabei an, dass der Teufel eher Pädagoge ist als Peiniger, und dass sich die Hölle in den letzten Jahrtausenden gar zu einem Ort der Menschlichkeit gemausert hat. Folter und ewiges Leid gehören der Vergangenheit an. Modus operandi ist nicht Bestrafung sondern ´Therapie´. Die Sünder müssen zur Strafe lediglich ihren Geist an Büchern schulen, die ihnen in einer gigantischen Bibliothek zur Verfügung stehen. Doch keine leichte Lektüre ist angesagt, sondern nur Werke der Philosophie und der Weltliteratur sind erlaubt.
Und wie darf man sich "Die kleinste Bibliothek" vorstellen? Sie ist natürlich in einem einzelnen Buch untergebracht. Dem Protagonisten (ein an Schreibstau leidender Autor) wurde sie von einem alten Buchhändler unten am Fluss geschenkt. Handelt es sich dabei um Zauberwerk oder ist der Autor gar Opfer des Teufels geworden?
Bibliotheken sind längst zu Klischees der phantastischen Literatur geworden. Andererseits sind sie ein unerschöpfliches Faszinosum, worin sich jeder Bücherfreund sofort aufgehoben fühlt. Denn wer kann schon einer stimmungsvollen Beschreibung einer Bibliothek widerstehen? Ähnlich verhält es sich mit Zivkovics Stories. Mit einem Augenzwinkern verweisen sie auf den Autor, der hinter diesen Geschichten steckt. Als wollte er sagen: Hier ist die Welt der Bücher, hier ist das Leben und manchmal ergeben sich die seltsamsten Schnittstellen.
Auch das abschliessende Buch Schritte durch den Nebel präsentiert uns eine Palette etwas seltsamer Figuren und ihre noch seltsameren Geschichten. Etwa die altjüngferliche Margareta in der letzten Erzählung, die eine anzügliche Bemerkung ihres Beinahe-Verlobten in den falschen Hals bekommt und diesem einen Korb verpasst. Nur um danach festzustellen, dass gesellschaftliche Konventionen manchmal falsch sind und dass das Leben keine Geschenke macht. Denn ihr Offizier und Gentleman, die Liebe ihres Lebens, fällt kurz darauf an der Front.
´Nur´ Erzählungen oder doch ein Roman?
Die englische Erstausgabe von "Der unmögliche Roman" erschien bereits 2006 beim englischen Phantastik-Spezialisten PS Publishing, allerdings bloß in Auflagen von ein paar hundert Stück. Mutig, dass sich DuMont nun mit Phantastik an die Bücherfront traut, die auf sämtliche trendigen Ingredienzen verzichtet (das Thema ´alternative Realität´ vielleicht ausgenommen). Die Taktik des Verlags, die Story-Kollektion als Roman anzupreisen, sagt dann aber doch etwas über den Wert aus, der der kurzen Form beigemessen wird. Ist es denn tatsächlich so, dass Kurzgeschichten weniger verkauft und gelesen werden? Eigentlich ein Widerspruch, denn in schnelllebigen Zeiten, wo uns nichts allzulange zu fesseln mag, müssten kürzere Texte eigentlich gut ins Lebenskonzept aller Gestressten und Verplanten passen...?
Zivkovic wird das egal gewesen sein. Er ist ein altmodischer Erzähler, der seine Leser nicht mit möglichst vielen Einfällen, sondern mit einer einzigen Idee zu überzeugen weiss. Die Geschichten lesen sich sehr flüssig, gerade weil sie sich einer einfachen Sprache bedienen und meist auf einen Handlungsort beschränkt bleiben. Die in der Phantastik so oft bemühten Szenarien wie Bibliotheken, Buchläden und Sanatorien (und die eben längst zu Klischees dieser Literaturgattung geworden sind) funktionieren in Zivkovics Erzählungen gerade deshalb so gut, weil es dem Autor erspart, viel über diese Orte zu sagen. Stattdessen kann er sich ganz dem ´Ideenkern´ seiner Geschichten widmen. Jede davon entfaltet somit ihre grösstmögliche Wirkung. Darüber hinaus enthält jede der Erzählungen eine kleine philosophische Erkenntnis, ohne belehrend zu sein. Die Stories erlangen damit etwas Zeitloses und es ist wahrscheinlich, dass sie auch in fünfzig Jahren noch gelesen werden können.
"Der unmögliche Roman" ist ein nostalgisches Buch, eine Entdeckungsreise auf den Dachboden des Menschseins, wo es Altbekanntes, Kurioses und lange Verdrängtes (wieder) zu entdecken gibt.
Zoran Zivkovic, DuMont
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