Eve - Die Revolution der Imperien
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2010
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Ein Blick hinter die Kulissen gigantischer Staatengebilde
Ein Mann erwacht in einer Kapsel, weiß nicht, wer und wo er ist, seine letzten Erinnerungen zeigen ihm, wie er umgebracht wurde. In einem altersschwachen Raumschiff kurven drei Verfolgte durchs All und lauern auf lukrativen Weltraumschrott, den sie zu Geld machen können. Sie bergen die Kapsel und sehen sofort, dass sie einen der unsterblichen Kapselpiloten vor sich haben, einen Klon, der theoretisch sämtliche Erinnerungen und Erfahrungen seines genetischen Vaters in sich tragen müsste. Anderer Schauplatz: Der Caldari Tibus Heth, einfacher Arbeiter, zettelt in dem Schmiedwerk Caldari Constructions eine Revolte an, die erfolgreich ist und ihm den Posten als Geschäftsführer einbringt. Nächster Schauplatz: Die Amarr-Erbin Jamyl Sarum verfügt nach ihrer Wiederbelebung in einem Klon über scheinbar göttliche Kräfte und will die Herrschaft über das Amarr-Imperium erkämpfen. Die Amarr haben Millionen von Minmatar versklavt, indem sie ihnen einen glückselig machenden Virus verabreichen. Weiterer Schauplatz: Der Botschafter der Republik der freien Minmatar Keitan Yun, einer Rasse verschiedener Stämme, verursacht einen Skandal in der Concord-Versammlung. Die Präsidentin Midular versucht seit Jahren, in der minmatarischen Republik die Demokratie durchzusetzen. Und dann taucht immer wieder der geheimnisvolle Broker auf, der intrigiert und sabotiert und sich dann scheinbar in Luft auflöst. All diese Ereignisse führen dazu, dass sich die Imperien schnell in einem intergalaktischen Krieg befinden.
Politischer Wahnsinn und religiöser Fanatismus
Tony Gonzales ist Chefautor für das isländische Mehrspieler-Internet-Rollenspiel "Eve online", das im Januar 2011 einen Weltrekord mit gleichzeitig 63.000 Spielern aufgestellt hat. Der Roman macht die verschiedenen Rassen, ihre Lebensweisen, ihre politischen Konstrukte und ihre Konflikte lebendig. Er spielt auf verschiedenen Ebenen. Jede Ebene hat ihre eigenen Protagonisten und Charaktere. Das macht es anfangs ein wenig schwierig, sich als Leser den Überblick zu verschaffen, wenn man den Hintergrund des Spieles nicht kennt. Diese Komplexität aus Industriegiganten, Gottesstaaten, Sklavenhalterrasse und anderen politischen Gebilden in Großformat ist Segen und Fluch zugleich. Der Roman hätte über 1000 Seiten haben können, damit der Leser jeden Szenenwechsel schnell versteht. Doch durchhalten lohnt sich, es ist der beste Science-Fiction-Roman, den ich seit Jahren gelesen habe. Ein Tipp: vor der Lektüre des Romans auf Wikipedia die Hintergründe des Spiels lesen.
Gonzales verschont uns mit technischen Spitzfindigkeiten und übertriebenem Military-Gehabe. Er treibt politischen Wahnsinn und religiösen Fanatismus, den wir heute auf unserer Erde erleben, auf die Spitze. Gonzales könnte auch Politikwissenschaften studiert haben. Er hat unsere Konflikte weiter gedacht und ins 37. Jahrtausend verlegt. Die Motive der Verantwortlichen für ihre Entscheidungen und Handlungen sind dieselben wie heute schon: Macht- und Geldgier, Nationalismus, persönliche Profilierungssucht. Doch gleichzeitig, glücklicherweise, auch Solidarität, Loyalität, gesunder Menschenverstand, die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden.
Personifiziert das Abstrakte
Ausgezeichnet gelingt es Gonzales, die Rolle des Einzelnen in den großen Zusammenhängen zu beschreiben. Das klingt abstrakt, doch sein Talent besteht darin, jede wichtige Figur plastisch werden zu lassen. Der Leser ist je nach Schauplatz verblüfft, begeistert, berührt, entsetzt, angewidert und oft tief bewegt. Diese Art und Weise des Schreibens und der Entwicklung von Parallelstorys zu einer Geschichte erinnert an die Otherland-Saga von Tad Williams. Die einzelnen Fragmente sind lebendig für sich, abenteuerlich, schnell oder tiefsinnig innig, einfach bewundernswert.
Wir wünschen uns mehr davon. Für September 2011 ist der Nachfolgeband "Templar One" in englischsprachiger Erstausgabe angekündigt. Der Blanvalet-Verlag hat wohl selbst nicht begriffen, welches Kleinod er dem deutschen Leser beschert. Werbung und Inhalt der Autorenvita sind dürftig. Das Cover ist langweilig und assoziiert "billige" Unterhaltungslektüre. Schade, ist "Eve" doch ein Buch mit Visionen, reichhaltigen Gedanken und voller Gefühle. Und nicht nur für "Eve-online-Spieler" geeignet.
Tony Gonzales, Blanvalet
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