Horror zum Heulen
Samhane ist ein kleiner Ort im Norden Englands. Nichts besonderes; ein großer Arbeitgeber "Belvedere Limited", Menschen, die sich auf der Straße grüßen, kennen, arbeiten, feiern, die Kirche besuchen, in den Pub gehen oder wohin auch immer. Kaum einer ahnt, dass hier das Ende der Welt wie wir sie kannten, eingeläutet werden soll. Helfer auf dem Weg dorthin: eine treue Internetgemeinde, die sich online todesgeile Snuff-Filme anschaut sowie eine Fabrik, die Monster und Ekstasestühle kreiert, hegt und pflegt. Doch der große Zampano, der hinter all dem steckt, hat seine Rechnung ohne den Monsterjäger Brian Rathbone und seinen zehnjährigem Sohn Sam gemacht. Als Stolperstein betätigt sich ebenfalls der Chemiker und angehende Horrorautor Donald Patterson (und nicht "Peterson" wie uns der Klappentext weismachen will), der auf der verzweifelten Suche nach seiner entführten Verlobten Beverly ist, die Star des tödlichen Internet-TVs werden soll. Unweigerlich treiben, fahren, stolpern, humpeln und kämpfen sich alle Beteiligten, Gut wie Böse, aufeinander zu. Es wird Verwundete, Verstümmelte, Tote, Vergewaltigte und tote Vergewaltigte geben bis zum finalen Gebalge. Und dann ist es vorbei. Vielleicht.
Manchmal muss man weinen. Bücher wie Samhane sind ein guter Anlass dafür. Aber nicht aus Ergriffenheit, aus dem Gefühl heraus, etwas besonderem beizuwohnen. Sondern aus dem Gegenteil. Eine Leseerfahrung zu machen, während der sich Unvermögen und Unfähigkeit einen freundlichen Handschlag geben und anschließend den armen Leser ausknocken. Viel mehr als ein magerer Kalauer sitzt kaum drin: Daniel I. Russell hat ein halbgares Buch geschrieben und Übersetzer Torsten Scheib macht ihm völlig den Garaus.
Welches Verhältnis Scheib auch immer zur englischen Sprache hat lässt sich nicht eruieren, fest steht, zur deutschen hat er gar keins. Allenfalls ein sehr schlechtes. Wie sonst sollte sich solch ein Satz erklären: "Der wässrige Blick ihres Vorgesetzten sah ihr nach." Damit ist nicht gemeint, dass der Boss nachsichtig ist. Nein, es bedeutet tatsächlich, dass der Bürgermeister der Rezeptionistin triefäugig hinterher schaut.
"Ihre Beine gingen nahtlos in ein Fahrgestell über...". Die Rede ist nicht vom gemeinen Automobil, sondern von einer verführerischen Sekretärin. Wobei - dieser Schmonzes könnte auch auf dem originalen Mist des Autoren gewachsen sein. Denn was seine Frauenfiguren, oder besser -entwürfe angeht (eine Figurenzeichnung, die über simpelste Klischees hinausgeht, kriegt Russell überhaupt nicht hin. Weder bei Weib- noch Männlein.) hängt er tief im Spätmittelalter fest. Etwa zur Blütezeit der Hexenverbrennungen. Es gibt nicht eine(!) Frau, die mehr ist als ein Opfer männlicher Gewalt oder der eigenen Dämlichkeit, bzw. Gemeinheit. Ist auch egal, bestraft gehören alle. Das muss auch Donald Patterson erfahren, der sich vom leidgeprüften Durchschnittsbürger zur selbst ernannten Tötungsmaschine wandelt und schon mal Mütter und Töchter killt, wenn sie zu viel Spaß am vernetzten Kettensägenmassaker haben.
Um gerecht zu bleiben: viel besser kommen Männer auch nicht weg. Abgesehen vielleicht von Inspektor Mills, der aber aufgrund seiner besonnen Art überhaupt nicht ins hysterische Geschehen passt. Deshalb bekommt er auch nur ein paar Kurzauftritte und wirkt, als wäre er aus einem ganz anderen Buch ins Geschehen gefallen. Aber der Rest: Entweder dumm wie Brot (Donald, der in jede noch so offensichtlich gestellte Falle tappt; dito Brian Rathbone, der alleinerziehende Monsterjäger, der in jede noch so offensichtlich gestellte Falle tappt und bei jedem Konflikt mit Messer und Baseballschläger antritt, während die Gegenseite die ganz schwere Artillerie ausgepackt hat), oder so unsagbar dumm und böse (wie Roger Newby, der dank Donald ganz neue Körpererfahrungen machen darf, dito Clown Chuckles, natürlich ebenso fett wie Roger und fies zu Kindern), dass einem angst und bange wird. Aber nicht vor Spannung, sondern von dem Gefühl die düsteren Deppen ständig vor sich selbst bewahren zu müssen.
Russell bedient sich offensichtlich bei allem, was ihm gerade in den DVD-Player oder aus dem Bücherregal fällt. Von "Hostel" und anderen Torture-Porn-Krachern infiziert, verwandelt er Buffy, unsere kleine blonde Dämonenjägerin in einen bierbäuchigen Kerl mit Status Quo-T-Shirt. Als alleiniger Fakt schon ausreichend für ein Hausverbot. Kein Wunder, dass sich das freundliche Hausbesitzer-Ehepaar in vielbeinige Monster verwandelt, wenn Rathbone einen Schritt auf's heilige Parkett setzt.
Am offensichtlichsten und hoffnungslosesten hechelt der arme Russell aber Stephen King hinterher. Das Sujet, harmlose Kleinstadt entpuppt sich als Höllenpfuhl und wird von einem Jedermann, der im Laufe der Handlung über sich hinauswächst, ordentlich grundsaniert, ist typisch King. Doch so wenig wie Es den Clown Chuckles verdient hat, noch weniger besitzt Russell das handwerkliche Geschick Kings. Das erste Drittel des Romans plätschert langweilig und äußerst vorhersehbar dahin, und wenn dann endlich Fahrt aufgenommen wird, verliert der Autor den Überblick oder versaubeutelt das Timing, weil er Erzählstränge unterbricht, die gerade eine milde Spannungskurve aufweisen, um anderswo auf niedrigerem Level weiterzumachen. Das muss man können. Gelingt auch einem Stephen King nicht immer, aber zwischen ihm und Russell liegen ganze Welten voller Dämonen. Geradezu degoutant wird es, wenn Russell Brian Rathbone Kings Tommyknockers als "Schundliteratur" bezeichnen lässt. Der Insiderjoke ist zwar zu riechen, aber er müffelt ziemlich übel.
Das ist noch etwas, das Russell nicht beherrscht: sein Szenario - die große Monster on the loose-Nummer; nicht die eklige Vergewaltigungschose - hat ein unglaublich hohes parodistisches Potenzial. Aber keiner da, um es zu nutzen.
Ein bisschen Gemetzel und Wühlen im Gedärm kriegt er hin, da ist Russell in seinem Element. Zwar auf bescheidenem Niveau, aber inmitten des restlichen Komplettversagens immerhin ein winziger Lichtblick.
Apropos Komplettversagen: Lieber Herr Scheib ich war noch nicht fertich mit dich. Denn, abgesehen vom vielfach verwendeten "KLICK KLICK KLICK", das irgendwelche Schritte auf unterschiedlichsten Untergründen machen (gut, gelegentlich auch mal ein "KLACK") und das spätestens beim dritten Gebrauch unheimlich nervt sowie der völlig willkürlich und überflüssig eingesetzten Kursivschrift, ist unser Übersetzer von eigenen Gnaden für die Passagen zuständig, in denen man am bitterlichsten weinen muss. Nicht nur mit den Clowns kamen die Tränen:
"Handwägen" - fehlt bloß noch, dass uns verschiedene Öbste gereicht werden.
"Vorstandschaft". Das Wort gibt es. Tatsächlich. Aber Vorstand reicht.
"Visage" ist negativ konnotiert! Niemand redet von seinem eigenen Gesicht als "Visage". Gefiel dem Übersetzer so gut, dass es Dutzendfach auf rund zwanzig Seiten vorkommt. Wird nur getoppt von "Valeries konterfrei" und "landete Kopf vor in der Badewanne".
Und nun die Stelle, an der die Nachbarn besorgt anklingelten und zum Trösten kamen. Alle Minderjährigen lesen jetzt weg. Stichwort "Latextussi". Die macht sich nämlich über einen mit Stacheldraht gefesselten und auch sonst bejammernswert malträtierten Gefangenen her. Besonders über ein bestimmtes Körperteil (Kinders, ihr sollt doch weglesen!!!). Lassen wir also dieses Glied aus und nennen das Resultat, das selbst den gefühllosesten Werwolf aufjaulen lässt: "Er war vollständig im Rachen der Frau verlustig gegangen." Die einen gehen sich verlustieren, die anderen gehen verlustig. "Die Bewusstlosigkeit gewann wieder Oberwasser". Zum Glück.
Keine Bange "Er" taucht wieder auf, wenigstens kurzzeitig.
Sollten diese - und viele, viele weitere - Passagen im Original bereits so erbärmlich geschrieben stehen, tue ich ein Scheibchen Abbitte. Viel mehr aber wünsche ich, dass auch Kleinverlage Sorgfalt (ich weiß, das ist verbunden mit Mühe) in die Werke legen, die sie veröffentlichen. Das fängt beim schlampigen Klappentext an, geht weiter mit einer scheinbar unredigierten Übersetzung und endet nicht unbedingt beim unausgegorenen Grundwerk. Gute Lektoren mögen teuer sein, aber ein paar ambitionierte Freunde und Verwandte mit Freude und Verständnis an und für Sprache, Grammatik, Orthographie (vom Inhalt ganz zu schweigen) sollten sich doch auftreiben lassen.
So bleibt nur ein ganz trauriges Fazit: Nicht einmal Richard Laymon schreibt derart plump. Er hat allerdings auch die besseren Übersetzer. Bedauerlicherweise hinterlässt Laymon den Eindruck, dass er mehr gekonnt hätte, als das zu produzieren, was am Ende rauskam. Bei Russell kommt genau das raus.
Das letzte Wort schreiben wir dem so artig und unfähig hofierten Stephen King, im Andenken an Orson Welles, zu: "Everybody wants to write books - my stupid brother, too!"
PS.: Ich habe so eine ungefähre Ahnung wofür das "I." in Russells Namen steht.
PPS.: Tommyknockers habe ich nie zu Ende gelesen. Ein Drittel von diesem schwurbeligen Esoterik-Alien-Horch-was-kommt-von-draußen-rein-Kram reichte. Aber Schundliteratur? Glashaus.
PPPS.: Ich bin immer noch gegen Bücherverbrennungen.
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