Die Auswahl
- Fischer
- Erschienen: Januar 2011
- 4
Gefangen in der perfekten Welt
"Matched" lautet der Originaltitel des Auftaktbandes zur "Cassia und Ky" - Trilogie von der amerikanischen Autorin Ally Condie. Beworben wurde die Reihe als thematischer Nachfolger der "Panem"-Romane von Suzanne Collins, die einen "Young adult Dystopie"-Trend begründeten. Und Jodie Collins, die Entdeckerin der Autorin Stephenie Meyer, spürte nach eigener Aussage beim Lesen dieselbe Begeisterung wie bei den "Biss"-Romanen. Solcherlei Vorschusslorbeeren legen die Messlatte für "Die Auswahl" ganz schön hoch.
Fehler im System?
Cassia Reyes 17. Geburtstag ist der wichtigste Tag in ihrem Leben. Denn zugleich findet ihr Paarungsbankett statt, eine öffentliche Zeremonie, auf der ihr ihr zukünftiger Ehemann vorgestellt wird. Die "Gesellschaft" wählt für diejenigen, die heiraten möchten, den Partner aus, der perfekt zu ihnen passt. Mit dem die höchste Wahrscheinlichkeit besteht, genetisch fehlerfreien Nachwuchs zu zeugen.
Zur Überraschung aller wird für Cassia ihr bester Freund Xander als Partner ausgewählt. Es gilt als fast ausgeschlossen, dass die zukünftigen Eheleute sich vorher kennen. Doch Cassia freut sich darüber. Der Mikrochip mit Informationen über ihren Partner erscheint ihr überflüssig, denn sie kennt Xander ihr Leben lang. Dennoch wirft sie einen Blick darauf - und erstarrt, als zunächst das Bild von Ky Markham erscheint, einem Jungen, den sie ebenfalls aus der Nachbarschaft kennt.
Die Funktionärin erklärt ihr, es sei ein Fehler passiert. Ky hätte sich nicht im Paarungspool befinden dürfen, denn er sei eine "Aberreation". Cassia erfährt, das Ky völlig unverschuldet zu einem Menschen zweiter Klasse degradiert wurde. Anstatt zur Schule zu gehen, arbeitet er hart als ein Rädchen im Getriebe der Gesellschaft, die den tadellosen Bürgern ein bequemes, vorgezeichnetes Leben ermöglicht. In Cassia formieren sich Gedanken, die die Gesellschaft nicht duldet, Interesse an Ky und Zweifel am perfekten System.
Poesie und eine freie Entscheidung
Der Klappentext auf dem Hardcoverbuch soll in erster Linie jugendliche Leser ansprechen. Daher wirkt er ein wenig, wie der zu einer Liebesgeschichte in einem dystopischen Gewand. Als erwachsener Leser könnte man befürchten, dass die Welt der "Gesellschaft" nur schmückendes Beiwerk darstellt.
"Die Auswahl" erzählt Cassias Geschichte aus ihrer Perspektive. Das Paarungsbankett führt uns direkt zum zentralen Thema: Liebe ohne die freie Wahl. Und das ist zunächst für Cassia und Xander nichts verwerfliches. Schließlich sind auch ihre Eltern auf diese Weise glücklich miteinander geworden und leben ein erfülltes Leben. Ally Condie stellt uns die "Gesellschaft" aus der Sicht einer jungen Frau vor, die zwar gern ein wenig auffällt, sich aber den Regeln des Systems anpasst. Was sie essen, lernen und arbeiten soll ist vorgegeben. Das alles dient einem höheren Ziel, hat Krankheiten besiegt und sorgt dafür, das alle Menschen glücklich sind.
Vorsichtig fügt die Autorin Cassias Welt - auf dem Cover so trefflich als Blase, in der das Mädchen feststeckt, dargestellt - Risse hinzu. Der vorherbestimmte Tod des Großvaters, die Beseitigung einer der letzten kleinen Freiheiten. Schließlich Ky, der eben kein perfektes Leben lebt und dennoch Künste beherrscht, die von der Gesellschaft längst aussortiert wurden. Eine besondere Bedeutung kommt in der Geschichte der Poesie zu, speziell dem Gedicht von Dylon Thomas "Do not go gentle into that good night". Seine Überzeugungskraft entfacht Cassias Widerspruchsgeist.
Obwohl die Welt der "Gesellschaft" ausführlich beschrieben wird, lebt der Roman durch die Beziehungen der Charaktere zueinander. Vor allem Ky, aber auch Cassia und sogar Xander grenzen sich immer mehr von der sie umgebenden Konformität ab. Mit ihren Figuren geht die Autorin achtsam um, lässt sie jede auf ihre Weise emotionale Konflikte ausfechten und schließlich Entscheidungen treffen.
Wie viel Dystopie?
Ally Condies "Gesellschaft" weist einige der klassischen Merkmale der Dystopie auf, vor allem das der repressiven sozialen Kontrolle. Der düstere Charakter entfaltet sich langsam, der fast heitere Rahmen vom Anfang verwandelt sich in ein beängstigendes Szenario. Diese Dystopie bildet die Grundlage für die Handlung. Man sollte jedoch kein exakt gezeichnetes Weltbild wie z.B. in "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley erwarten. Man hat als Leser nicht das beklemmende Gefühl, das diese Welt funktionieren kann. Zu viele Ungereimtheiten schleichen sich ein, das Versagen von essentiellen Kontrollmechanismen leitet manche der überraschenden Wendungen ein.
"Die Auswahl" kommt ohne eine stets actionreiche Handlung aus. Zwischen den wenigen spektakulären Szenen liest man lange Passagen mit Dialogen, in denen kaum etwas passiert. Das ist allerdings eine Stärke des Romans. Denn Ally Condie gibt ihren Protagonisten viel Zeit, sich ihrer Gefühle klar zu werden. Das macht die Glaubwürdigkeit ihrer Entwicklung aus und sorgt für subtile Dramatik, die ihre Sogwirkung auf den Leser nicht verfehlt. Dazu tut der Schreibstil der Autorin, ausgewogen, stilvoll und von leichter Hand formuliert, ein Übriges zum Lesegenuss hinzu. Und so möchte man Cassia und Ky gern weiter begleiten und hofft auf ein baldiges Erscheinen des zweiten Teils.
Ally Condie, Fischer
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