Die etwas andere Vampirserie aus New York
Hallo, ich bin Joe Pitt. Früher war ich als Stricher unterwegs, seit ich bei einem Handjob zum Vampyr gewandelt wurde, habe ich mir als Mann für alle Fälle einen Namen gemacht.
Mittlerweile aber bin ich nur noch fertig - so was von aus und vorbei, dass einem Normalen dabei schlecht wird. Wenn ich in die Hocke gehe, nimmt mein Stiefel wegen des fehlenden Zehs eine sonderbare Form an, mein Knie klingt beim Gehen wie zerbrochenes Geschirr und ich habe nur noch ein Auge.
Da ich so ganz nebenbei auch noch einen Krieg der verschiedenen Vampyr-Clans ausgelöst habe, und das größte Geheimnis der Koalition, ihre Quelle für frisches Blut, eine Blutbank gefangen gehaltener und herangezüchteter Kinder, aufgedeckt habe, ist so gut wie jeder Vampyr hinter mir her. Also war Abtauchen angesagt und ich verschwand für gut ein Jahr von der Bildfläche. Dennoch will man mich in meinem neuen zu Hause in einer der unzähligen Kloaken New Yorks einfach nicht in Ruhe vor mich hin vegetieren lassen. Da kommt doch tatsächlich ein alter Bekannter, und bittet mich, seine Tochter zu suchen. Eigentlich nicht unbedingt etwas, mit dem man früher zu mir gekommen wäre, wenn die Ausreißerin nicht einen dicken Bauch hätte und der Vater das Virus in sich tragen würde. Da wird schon vom Erlöser der Vamypre gemunkelt, dabei ist der Mischling noch nicht einmal aus dem Bau raus. Wie kann es bei meinem Glück auch anders sein, verliere ich im Verlauf meiner Nachforschungen noch weitere, nicht nachwachsende Glieder und treffe auf alte Bekannte, die nach wie vor meinen, ein Hühnchen mit mir rupfen zu müssen...
Gewalt und der Bodensatz der Gesellschaft - eine explosive Mischung
Die etwas andere Vampir-Serie aus der Feder des Bestsellerautors geht in ihre letzte Runde. Wie keiner seiner Konkurrenten hat Huston seine Serie in der Realität verankert. Schon die Wahl seines Ich-Erzählers beweist, dass er sich in die Niederungen des Big Apple begeben will.
Ein Stricher, der sich die Befriedigung seiner Sucht in Toiletten verdient, ist nicht unbedingt typisches Heldenmaterial. Mehr noch, statt dem glamourösen Broadway stehen mit Harlem und Queens die sozialen Brennpunkte als Bühne bereit, in der die unterschiedlichen Vampir-Clans ihr Unwesen treiben. Und das hat absolut nichts mit den weichgespülten Beaus mit ihren lasziven Waschbrettbäuchen gemein. Hier wird gelitten, wird missbraucht und getötet, dass es wahrlich furchterregend ist. Das ist nichts für schwache Nerven, das geht oftmals hart an die Grenze des guten Geschmacks, atmet aber zugleich die abgasgeschwängerte Luft der Realität.
Mit scharfem Auge für die Niederungen des menschlichen Daseins, für den alltäglichen urbanen Wahnsinn der Ausgestoßenen, der Dealer und Verrückten lässt der Autor auch im letzten Band wieder ein wahres Panoptikum an Unikaten aufmarschieren. Dass sein Erzähler dabei zur tragischen Figur reduziert wird, nimmt er billigend in Kauf. Das ist härter, brutaler und aufrüttelnder als die Vampir-Titel seiner Kollegen, sicherlich auch gewaltbetont und so manches Mal unappetitlich, aber auch faszinierend wie ein blutiger Unfall, an dem man vorbeikommt. Der Drang des Menschen, sich am Leid Anderer zu ergötzen, den Voyeur in sich zu befriedigen und sich dann erleichtert zurückzulehnen und zu denken, was man doch für ein Glück hat, nicht so zu enden, wird bei Huston bestens befriedigt. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber gleichzeitig wohltuend anders, als die weichgespülten Vampir-Romanzen, die die Bücherregale sonst bevölkern.
(Carsten Kuhr, November 2011)
Charlie Huston, Heyne
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