Zombie

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  • Erschienen: Januar 1999
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Thomas Nussbaumer
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2011

Ich, der Zombie

Joyce Carol Oates, die Grande Dame der amerikanischen Literatur, hat in ihrem umfangreichen Gesamtwerk (das bis jetzt etwa 60 Romane und hunderte Shortstories umfasst) immer wieder das Genre der gothic novel neu belebt und mit starken zeitgenössischen Impulsen versehen. In "Zombie" von 1995 ist das Viktorianische allerdings bloss Teil der Kulisse. Und der Horror ist ganz menschlicher Natur.

Quentin P. ist Hausmeister in einem Studentenwohnheim, einem alten Backsteinkasten, dessen Appartements Quentins Eltern günstig an meist ausländische Studenten vermieten. Quentin ist etwas über dreissig und selber Student an einer Fachhochschule. Seinen Lebensunterhalt finanziert er sich, indem er allfällige Reparaturen vornimmt und das Grundstück pflegt. Und: Quentin ist besessen von der Idee, sich einen Zombie zu erschaffen. Wobei seine Vorstellung von einem solchen wenig mit der afrikanischen Legende eines Totengeists zu tun hat. Und auch nichts mit jenen tumben Untoten, die in den genretypischen Filmen als unerschöpfliches Kanonenfutter über die Leinwand wanken. Den Erzähler darf man eher in der literarischen Tradition eines Victor Frankenstein sehen, der sich in seinem Schöpferwahn über alle Moral hinwegsetzt und tötet. Allerdings nicht im Dienst der Wissenschaft, sondern aus ganz eigennützigen Motiven. Denn Quentin will sich einen menschlichen Sklaven erschaffen, ein entpersönlichtes Wesen, das der Protagonist, der selber so wenig mit der Welt der menschlichen Beziehungen klar kommt, lieben kann und das ihm auch sexuell gefügig sein soll.

"Ein echter Zombie könnte nie etwas sagen, was nicht ist, sondern nur das, was ist. Seine Augen würden klar sein & und weit geöffnet, aber in ihnen wäre nichts, was sieht & hinter ihnen nichts, was denkt. Nichts, was verurteilt."

Das Grauen kommt aus guten Verhältnissen

Doch vorerst lernen wir einen Erzähler kennen, der nicht viel Besonderes an sich zu haben scheint. Ein durchschnittlicher Typ mit einem amerikanischen Mittelklassewagen, der seine Mahlzeiten meist in billigen Restaurants zu sich nimmt. Allein. Und doch ist er kein normaler Mensch, denn da ist kein Gewissen, kein Funken Mitgefühl in dieser Hülle. Quentin ist ein gefühlskalter Soziopath, der aber nicht weiter auffällt, weil ihm seine Angehörigen immer wieder auf die Finger schauen: die Eltern, Schwester Junie und seine Grossmutter, die ganz in ihren Enkel vernarrt ist und diesem immer wieder Geld "leiht". Quentin scheint diese Fassade gutbürgerlicher Nächstenliebe gerade recht. Denn die Leute um ihn herum kennen alle einen ganz anderen Quentin, als den, der sich dem Leser zu erkennen gibt. Sie sehen einen eigenartigen und ein wenig energielosen Homosexuellen, der sich noch nicht ganz mit seinem Leben arrangiert hat. Allerdings ist er kein unterbelichteter Pillenjunkie, sondern laut I.Q.-Test überdurchschnittlich intelligent. Wichtige Entscheidungen bei seiner Karriereplanung überlässt Quentin dann doch gerne seinen Eltern. Der Vater ist ein angesehener Uni-Professor, der von seiner Bekanntschaft zu einem Nobelpreisträger zehrt und sich immer wieder verpflichtet fühlt, seinem Sohn unter die Arme zu greifen. Es steht nicht zuletzt der gute Ruf des Professors auf dem Spiel. Dieser ist der Meinung, dass seinem Jungen die Direktive fehlt, weshalb er ihm auch den Hauswartposten verschaffte. Um dem Leben seines Sohnes einen Sinn zu geben.

Aber bald verstrickt sich Quentin in Probleme. Er macht sich der sexuellen Belästigung eines Minderjährigen strafbar und man verurteilt ihn zu einer bedingten Haftstrafe. Er muss sich regelmässig bei den Behörden zeigen und zur Gruppentherapie erscheinen. Seiner Umwelt offenbart Quentin aber bloss die Gefühle, die man von ihm erwartet. Die Psychiater sind nach anfänglicher Skepsis schnell mit ihm zufrieden und attestieren ihm gute Fortschritte. Dass der brave und angeblich so schüchterne Quentin mit seinen mörderischen Experimenten erst recht in Fahrt kommt, scheint niemand auch nur zu ahnen.

In einer Bibliothek verschafft er sich Material zu operativen Eingriffen der Gehirnchirurgie. Das Reizwort heisst Lobotomie, eine Behandlung, bei der die Nervenbahnen bestimmter Hirnbereiche durchtrennt werden. Die Behandlung wurde bis in die Siebzigerjahre bei schweren Psychosen angewendet, um den Patienten gefügig zu machen und ihn ruhig zu stellen. Der dazu notwendige "Eispicker" ist schon gekauft, die blutigen Experimente mit den noch lebenden Gehirnen seiner Opfer können allerdings nur schief gehen. Der Mörder gibt seinen anonymen Opfern Namen wie Bunnygloves, Raisineye oder Big Guy. Es sind meist ausländische, dunkelhäutige Studenten, die niemand vermisst und nach denen nicht gesucht würde. Doch Quentin ist grundsätzlich kein Serientriebtäter, er will nicht töten, es sind gewissermassen Unfälle, die durch seine rohe Ungeduld entstehen. Mit jedem misslungenen Versuch lernt er dazu. Im Keller des Studentenmietshauses bereitet er dann sein neustes Werk vor, das endlich gelingen muss. Sein Opfer hat er auch schon ausgewählt, ein minderjähriger Bursche aus der Nachbarschaft. Ein gefährliches Unterfangen, denn der Junge würde vermisst werden. Doch Quentin muss das Risiko einfach eingehen.

Nach einer wahren Geschichte

Die Frage nach dem Warum? stellt Oates nie. Sie muss keinen Grund dafür finden, dass ihre Hauptfigur ist, was sie ist: eben ein Monster. Ein seelenloses Wesen, das nicht zur Empathie fähig ist und nur "höheren" Befehlen gehorcht. Wie ein Zombie. Dafür muss der kleine Quentin in seiner Jugend nicht von seinem Vater verprügelt worden sein, da sind überhaupt keine traumatischen Erlebnisse, die irgendeine grausame Tat des erwachsenen Quentin rechtfertigten. Und das macht die Geschichte wiederum so beklemmend, denn es gelingt dem Leser nie ganz, sich von dem Geschilderten zu distanzieren. Der Mörder macht uns zu seinem Komplizen, man kann nachvollziehen, was da geschieht, wenn es einen gleichzeitig auch abstösst.

Ist das schlicht die viel zitierte Banalität des Bösen, die Oates mit Quentin P. heraufbeschwört? Oder ist es die zwingende Schattenseite des Menschlichen? Sicher ist, dass solche Monster wie der Protagonist aus Zombie keine Einzelfälle in der Geschichte darstellen. Was aber sind das für Menschen? Sind das genetische Irrläufer, menschliche Pannen, seelische Zombies, die das Leben in seinen Launen hervorbringt? Und wie erkenne ich solche Menschen, wenn ich einem begegne? Das Schlimme ist: man erkennt sie nicht, denn es sind Leute, die im selben Restaurant Steak und Fritten essen wie du und ich.

Der Roman ist keine Schuld & Sühne-Geschichte, sondern ein erschreckend reales Porträt eines Serienmörders. Gut erfunden könnte man meinen, wenn man nicht wüsste, dass die Wirklichkeit noch viel grausamer ist. Oates hat sich für ihre Geschichte stark an dem Fall von Jeffrey Dahmer orientiert, einem Massenmörder, Sexualtriebtäter und Kannibalen aus Wisconsin, dem 17 Männer und Jugendliche zum Opfer fielen.

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