Das Erbe des Lichts

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  • Erschienen: Januar 2011
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Das Erbe des Lichts
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70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2010

Grimmige Zeiten für die Menschheit

Ein gutes Jahr seit Mias und Grims letztem Abenteuer ist vergangen und in Paris geht ein Massenmörder um. Ein schlimmer Finger, der Seraphin, den Hauptgegner aus Band 1, gleich in den ersten Szenen noch blasser aussehen lässt, als jener ohnehin schon war. Der Mörder mit dem toten Auge scheint unsterblich, unzerstörbar und mit einem Fetisch fürs Sammeln von Augen gesegnet, der zuerst auf den Kartenmann tippen lässt.

Dieser allerdings hat dann doch keinen Auftritt in Grims und Mias zweitem Abenteuer. Dafür bekommt Totauge kurz darauf einen ganzen Trupp ähnlich gestrickter Kumpane zur Seite gestellt - und allesamt erweisen sie sich als bloße Handlanger einer noch viel, viel schlimmeren Macht. Diese wiederum schickt sich an, die Welt zu erobern und die Menschheit komplett auszurotten. Aus dem ganzen Schlamassel helfen kann natürlich nur das Erbe des Lichts. Beziehungsweise der Krieger des Lichts. Der letzte davon. Natürlich.

Also bleibt Grim und Mia (zusammen mit dem Kobold Remis und Theryon, dem "Letzten Feenkrieger dieser Welt") nicht viel anderes übrig, als besagten Krieger des Lichts zu finden und zum Einsatz zu bringen. Möglichst, bevor die Schranken zwischen den Welten nieder- und die gesamte Menschheit in Fetzen gerissen ist. So weit, so gut.

Höher, stärker, härter

Grim 2 ist mit 717 zu 678 Seiten nochmals ein ordentliches Stück umfangreicher geworden, als der erste Band um den Gargoyle mit dem Menschenherz und seine menschliche Freundin. Lyx hat da ordentlich bei Typografie und Papierstärke tricksen müssen, um trotzdem die gleiche Rückenstärke beibehalten zu können. Aber ganz ehrlich: Man fragt sich schon ein wenig, ob das wirklich nötig war. Denn Gesa Schwartz hat in ihr zweites Buch Action für zwei Bände, Blut und Innereien für drei und Magie und übermächtige Gegnerscharen für beinahe vier gepackt.

An der Geschichte selbst gibt es dabei eigentlich nichts zu meckern. Spannend und temporeich jagt sie von einem Höhepunkt zum nächsten und nimmt uns auf eine Hatz gegen die Zeit mit, bei der bis zum Schluss immer wieder überraschende Wendungen auftauchen und offen bleibt, wer jetzt wie und warum wen womit besiegen wird. Das ist eine der großen Stärken Gesas: eine überbordende Phantasie, die sich in einem prachtvollen Feuerwerk von Schauplätzen und Action entlädt, das seinesgleichen sucht. Und wie kaum eine andere Autorin versteht sie es, bildgewaltige Beschreibungen zu finden, die die Szenen, Figuren und Spezialeffekte wirklich plastisch vor Augen treten lassen.

Es ist nur irgendwie alles eine Spur... zu viel

Zu viele Gegner zum Beispiel. Schon der erste Gegner, der gesuchte Mörder, ist ein würdiger Obermotz für ein ganzes Buch (oder auch zwei): Unsterblich, unzerstörbar, hinterhältig, brutal, blutrünstig, sadistisch, seelenlos, gefühlskalt, magisch allen bisher bekannten Figuren aus Grims Welt haushoch überlegen und auch noch mit einer Tendenz zu markigen One-Linern. Er allein wäre das perfekte Monstrum für diesen Band gewesen.

Und diese grandiose Figur wird in den Schatten einer noch mächtigeren gestellt - nur um diese vor der Macht einer noch größeren Gefahr schlicht verblassen zu lassen. Immer, wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwoher etwas noch viel Gefährlicheres. Irgendwie, als würde man James Bond gegen alle Superschurken gleichzeitig antreten lassen.

Das gilt auch für den Splatterfaktor

Der ist im Vergleich zu Band eins deutlich blutiger und ekliger. Da werden Augen herausgerissen, Haut verdampft, Leute in Fetzchen gerissen, zerschmettert, durch den Wolf gedreht - sie verfallen, faulen, eitern triefen, tropfen und spritzen was die Spezialeffekte hergeben. Sie werden von bunten Lichtschleiern ebenso pulverisiert wie von Flammenstürmen verkohlt oder von Eissplittern zerfetzt. Was aber alles nicht wirklich tragisch ist, weil die betreffenden Leute wahlweise schneller regenerieren, als Gesa sie verhackstücken kann oder aber sich gegenseitig mit Heilzaubern vollstopfen, was das Zeug hält. Und wenn sie wirklich mal, was selten genug passiert, tot bleiben, dann dürfen sie noch als Untote oder auch Geistwesen lustig weiter am allgemeinen Gemetzel teilnehmen. Da stellt sich die Frage, warum der Tod in dieser Welt überhaupt der Erwähnung wert ist. Es bleibt ohnehin kaum einer mal liegen.

Zu viel Magie

Was hier beinahe permanent an Offensiv-, Defensiv- und Heilmagie, an Ritualen, Erkundungszaubern und schlicht magischen Special-Effects abgefeuert wird, lässt die gesammelten Großmagier der Fantasygeschichte von Merlin über Gandalf bis Elminster als blasse Amateure erscheinen und degradiert Harry Potter in seiner Gesamtheit zum... naja, Zauberschüler halt. Da werden Weltengrenzen fast nach Belieben eingerissen, wieder aufgebaut und sämtliche Gesetze der Physik schlicht atomisiert. Scheinbar nichts, was den wahrhaft übermenschlichen Protagonisten nicht möglich ist (wobei sie dafür erstaunlich viel jammern) - außer natürlich, ihren noch viel mächtigeren Gegnern dauerhafte Kratzer zuzufügen (was der Grund für das Jammern sein dürfte). Das allerdings erschwert die Identifikation mit den Charakteren schon ein ziemlich.

Zu viele Welten

Wo nicht gestorben und wiedererstanden wird, da reisen unsere Helden durch eine Welt nach der nächsten. Zwischenwelten, Feenwelten, Anderswelten, Vergangenheitsprojektionen, Traumrealitäten - es wird zusehends unübersichtlicher, je mehr sich die Grenzen verwischen oder sie niedergerissen werden. Von einer verwirrenden Vielzahl von Zwergen-, Feen-, Elfen-, und sonstigen Königen ganz abgesehen.

Zu viel Beschreibung

Wenn ich das sage, dann ist das schon beachtlich. Immerhin stehe ich auf detaillierte, bildhafte Szenenbeschreibungen. Man wirft mir gelegentlich vor, dass ich es damit schon zu gut meine. Aber in diesem Fall habe ich mich tatsächlich an mehreren Stellen beim Quer-Lesen von ganzen Seiten erwischt - oder mich zum noch-mal-Lesen zwingen müssen, weil ich vor lauter Details den Faden verloren hatte. Das passiert mir wirklich nur selten.

Zu viel Information

Gesa Schwartz weist ein immenses Geschichts-, Sagen- und Mythenwissen vor. Das baut sie diesmal jedoch in einer Häufung in ihre Erzählung ein, die den eigentlichen Plot immer wieder in den Hintergrund zu drängen droht. So wirkt die Geschichte stellenweise eher wie eine Sighseeingtour durch die Mythen Europas. So etwas ist nett, wenn es zur dekorativen Auffüllung eines eher kargen Plots dient oder tatsächlich Storyrelevantes liefert. In diesem Fall wäre es jedoch nicht notwendig gewesen. Auch hier hat Gesa Material für gleich mehrere Bücher auf einmal verbraten.

So ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn sie sich gelegentlich verhaspelt und zum Beispiel Gesichtsausdrücke und kleinste Details des Mienenspiels einer Person beschreibt, die aus Sicht des Betrachters hundert Meter entfernt hoch über der Stadt schwebt. Bei Nacht, im Gegenlicht, wo sie also allenfalls als kleine Silhouette in der Ferne zu sehen sein dürfte.

Insgesamt drängt sich so der Eindruck einer gotischen Kathedrale auf, die mit einem Zuckerguss aus Bayrisch-Barock überzogen wurde, mit Neon illuminiert und anschließend mit der geballten Macht von Emmerichs Special-Effects-Schmiede für "2012" in Szene gesetzt wurde. Ein Splatterfilmabend mit Schwarzwälder-Kirsch-Fressorgie. Die Einzelteile für sich sind durchaus gelungen - alles zusammen hinterlässt jedoch ein unangenehmes Völlegefühl.

Weniger wäre mehr gewesen

Gesa Schwartz kann schreiben - das steht außer Frage. Die Geschichte an sich ist mitreißend, herzerweichend und sprachlich schön. Aber sie wirkt nun mal, als hätte Gesa eine komplette, eigene Trilogie in diesen einen Band gepresst.

Letztendlich ist es das selbe Problem, das Philip Pullman in den Bänden 2 und 3 des 'Goldenen Kompass' hatte: Es wird unübersichtlich und so düster-bombastisch, dass man immer wieder Gefahr läuft, die Figuren selbst aus den Augen zu verlieren. Wer Pullmans "His Dark Materials"-Trilogie mochte, der wird Gesa Schwartz und ihr "Das Erbe des Lichts" lieben. Für mich persönlich hätten es ruhig zweihundert Seiten weniger sein dürfen. Und dafür tatsächlich ein wenig mehr Mia und Grim. Aber vermutlich gehöre ich einfach doch nicht zur Zielgruppe. Wir dürfen jedenfalls auf den dritten Band von Grim gespannt sein.

Das Erbe des Lichts

Gesa Schwartz, -

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