Schwerkraftträume
- Heyne
- Erschienen: Januar 2001
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Utopie, Religion und Philosophie
Der junge Priester Tyndel hat seinen ersten Dzin-Meistergrad erlangt, findet seine erste Liebe und hat seine erste Anstellung als Lehrer in einem Dorf am Rand von Dorcha in einem zutiefst religiösen Staat, der streng abgeschottet ist vom Rest der Welt. Technik verwenden die Dorchaner nur in geringem Maß. Sie legen Wert auf Erleuchtung, ähnlich dem Zen-Buddhismus, persönliche Entwicklung, Kunst und Kultur. Doch wehe, einer stellt die falschen Fragen.
Tyndel wird von einem Trüffelsucher, dessen Sohn er unterrichtet und von dem er sich unterschwellig provoziert fühlt, verseucht. Und zwar mit den Naniten, die die Basis der Gesellschaft von Rykasha ausmachen, dem Staat an der Grenze, in dem die technikfanatischen Dämonen, die verabscheuenswerten Feinde hausen. So wird der naive Priester über Nacht zum Feind seiner Heimat und schnell unerbittlich gejagt. Aufgrund seiner durch die Naniten verstärkten Körperkraft gelingt ihm die Flucht ins Nachbarreich. Doch dort erwarten ihn nicht Hass, sondern Fürsorge und Anteilnahme. Die Rykasher erwarten jedoch im Gegenzug, dass er den Aufwand für seine Rettung durch nützliche Arbeit wieder gut macht. Er soll Pilot werden, wozu er nicht im Geringsten Lust verspürt. Sie schieben ihn auf eine entlegene Raumstation als Lagerarbeiter ab. Er hat viel Zeit zum Nachdenken und Lernen und entscheidet sich nach dem tödlichen Unfall seiner Geliebten, doch Pilot zu werden. Gleich sein erster Flug bringt ihn in Berührung mit dem größten Geheimnis der Welt.
Wie das leider so oft bei Verlagen ist, die irgendein Buch publizieren mit einer Werbung, die zum Kauf anregen soll, wird "Schwerkraftträume" als SF-Thriller angepriesen. Aber genau das ist es nicht und zwar im wohltuenden Sinne. "Schwerkraftträume" ist ein utopischer Roman, in dem nicht nur auf tiefgehende Weise der Gegensatz von Religion und Technik ausgelotet wird. Tyndel als unbeschriebenes Blatt führt dabei durch Erkenntnisprozesse von richtig und falsch. Er muss sich entscheiden und verweigert sich dem anfangs. Beziehungsweise er geht den Weg des scheinbar geringsten Widerstands. Er fühlt sich nicht zum Besonderen berufen und tut sich anfangs schwer, mit der seiner Heimat völlig entgegen gesetzten Gesellschaftsstruktur und ihren Ideen klar zu kommen. Vor allem, da sie Ziele verfolgt, die ihm völlig fremd sind wie z.B. die Kolonialisierung anderer Planeten.
Spannend durch die Auseinandersetzung mit sich selbst
Dass der Roman nicht volle Punktzahl bekommen hat, liegt an übertriebenen Längen am Anfang. Der Leser möchte bei allem Verständnis der schwierigen Lage des Protagonisten ihm am liebsten einen Tritt geben, damit er endlich aufwacht und sich seinem neuen Leben stellt. Spätestens als er auf der Außenstation angekommen ist, steigert sich mit der Materie auch die Geschwindigkeit der Ereignisse und die Lesefreude. Ab dem Zeitpunkt verschenkt der Autor keinen einzigen Satz. Und es wird richtig spannend, obwohl er die Spannung nicht durch ständig sich überschlagende Ereignisse aufbaut. Nein, es ist die aktive innere und äußere Auseinandersetzung Tyndels mit seinem Lebensumfeld und den Menschen, die ihm dort begegnen. Modesitt gelingt es, dass der Leser die Gedanken, Gefühle und Handlungen des Helden nachvollziehen kann. Der Roman ist in Ich-Form aus der Sicht von Tyndel geschrieben. Einfühlsam geschrieben, kann der Leser die Person Tyndel und seinen inneren Konflikt miterleben.
Der resultiert aus einem gesellschaftlichen Status quo, der entstand, weil die Überlebenden nach der Verwüstung - etwa 5000 Jahre vor dieser Geschichte - durch die "Alten" lebensfähige Wege finden mussten. Die Konditionierung Tyndels, technisch unterstützte Dämonen zu hassen und unwillentlich selbst einer zu werden, ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist der Gegensatz von durchs Leben geschoben werden oder selbst durchs Leben zu gehen. Insofern vereint der Roman Science Fiction, Utopie, Religion, Philosophie und Psychologie. Es lohnt sich auch, ihn ein wiederholtes Mal zu lesen, vorausgesetzt, man möchte mehr über sein eigenes Leben und unsere Gesellschaft nachdenken. Dazu regt er auf jeden Fall an.
(Amandara M. Schulzke, März 2013)
L. E. Modesitt, Heyne
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