Fausto

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
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Fausto
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Phantastik-Couch Rezension vonNov 2010

Auf der Suche nach des Pudels Kern

Joseph Fittich, genannt Joschel, Klasse 9c, ist ein völlig normaler Schüler. In Ordnung - beinahe normal. Er ist kein besonders guter Schüler. Er ist einer von denen, die sich unauffällig im hinteren Bereich des Klassenzimmers verschanzen, um ja nicht ins Visier der cooleren, erfolgreicheren oder schlicht gelangweilten zu geraten. Und natürlich, um unter dem Radar der Lehrer zu bleiben. Denn wenn man eines über Joschel sagen kann, dann dass seine Rechtschreibung wirklich unter aller Sau ist. Bis zu dem Tag, an dem er einen einwandfreien, ja geradezu grandiosen Hausaufsatz abliefert. Worüber er selbst am meisten erstaunt ist. Denn er ist sich sicher, das nicht geschrieben zu haben - auch wenn es in seiner Handschrift verfasst ist.

Plötzlich steht er dort, wo er nie sein wollte: im Rampenlicht. Begleitet vom Misstrauen seiner Lehrer und Mitschüler, der plötzlichen Bewunderung seiner esoterischen Mutter (und geplagt von immer neuen, rekordverdächtigen Pickeln) versucht er, das Geheimnis seines neuen Erfolges zu ergründen. Als er dabei über den Bücherdämon Fausto stolpert, der sich von Rechtschreibfehlern ernährt, fangen seine Probleme erst richtig an. Und dass er sich ausgerechnet jetzt verliebt, macht die Sache nicht einfacher.

Esoterische Hirse und Schulhausmief

Oliver Dierssen liefert mit seinem zweiten Roman einen phantastischen All-Age-Roman der ungewöhnlichen Art ab. Sein Protagonist ist, wie schon in seinem Erstling, eher unscheinbar. Er kämpft womöglich mehr als der durchschnittliche Jugendliche mit den Schwernissen der Präpubertät, von hartnäckigen Hautunreinheiten über schwächelndes Selbstwertgefühl bis zu den zarten Anfängen erster Verliebtheit. Außergewöhnliche Fähigkeiten? Keine (sofern eine ausgeprägte Rechtschreibschwäche nicht als Fähigkeit gilt). Freunde? Weitgehend Fehlanzeige. Besondere Kennzeichen? Segelohren und Pickel. Prophezeiungen und schicksalsträchtige Vorherbestimmungen? Nope.

Dazu hat ihn Dierssen mit einer ordentlich zerrütteten Familie ausgestattet. Da ist der Vater, der die Familie verlassen hat und sich lieber als Top-Journalist auf Staatsempfängen herumtreibt, als sich um seinen Sohn zu kümmern (so sieht es Joschel zumindest). Da ist eine völlig überforderte Mutter, die liebevoll hilflos versucht, sich die Zuneigung ihres Sohnes zu erkaufen und seine vermeintliche Hochbegabung mit Hirsegerichten zu fördern. Im Grunde aber kümmert sie sich kaum um die Joschels Sorgen, sondern ist gefangen zwischen ihrem verkrampften Streben nach esoterischer Selbstfindung und der ewigen Suche nach der perfekten Beziehung. Was regelmäßig im Disaster und Cher-mäßigem Wohnortwechsel endet.

So wie Joschel und seine Familie alles andere als perfekt sind, so hat nahezu jede einzelne Figur in Dierssens Roman, bis hin zu den Nebenrollen, ihre Defekte. Er schafft so ein Kaleidoskop an skurrilen, teilweise regelrecht kaputten Charakteren, die der Geschichte einen seltsam morbiden Charme verleihen. Jugendbuch-untypisch vielleicht - aber extrem amüsant und stets mit einer gehörigen Portion Sprachwitz und Ironie ausgestattet. Und vor allem: beinahe erschreckend realitätsnah und dabei trotzdem respektvoll. So werden nicht nur Jugendliche sich und ihre Schul-Umgebung in den Szenen wieder erkennen - auch als erwachsener Leser wird man häufiger an seine eigene Schulzeit erinnert werden. Ob das streng riechende Lehrer und Schulräume sind, die Schüler-übliche Fehde mit Eltern, Hausmeistern und Verhaltensregeln oder schlicht unvermeidliche Gruppendynamiken von Schulhofschlägern bis Strebercliquen, Dierssen hat sie alle plastisch und höchst treffend eingefangen.

Weltrettung wird überbewertet

Obwohl der namengebende, jedoch so gar nicht faustische Bücherdämon Fausto natürlich ein stark übersinnliches Element darstellt, geht es jedoch in Oliver Dierssens Roman im Grunde nicht um Magisches und Mystisches. "Fausto" ist weit weniger "Urban Fantasy" als "Fledermausland". Der verschrobene, liebenswerte Fausto und sein Dämonenkodex sind amüsant und geben der Handlung immer wieder wichtige Impulse. Aber sie sind nicht das eigentlich Entscheidende. Dierssens Roman behandelt viel mehr vollkommen alltägliche, elementare Themen: Freundschaft, Loyalität, Liebe, Selbstbewusstsein und die Frage nach dem Preis für Erfolg und Anerkennung. Der Bücherdämon ist da letztendlich nur schmückendes Beiwerk.

In Dierssens Roman geht es nicht um Weltrettung. Auch "das Mädchen" muss nicht gerettet werden (Joschels Schwarm Canan hat sich sehr gut selbst im Griff) und auch das "ultimative Böse" muss nicht zurückgeschlagen werden. Das hebt ihn wohltuend von der üblichen Urban Fantasy ab: die phantastischen Elemente sind nicht zum Selbstzweck oder als pure Effekthascherei einsetzt, sondern der Handlung untergeordnet - und damit um so wirkungsvoller. Aber gerade das macht "Fausto" vielleicht sogar noch besser als Dierssens Erstling "Fledermausland". Es gelingt ihm so, einen durchweg spannenden Roman abzuliefern, der trotz Bücherdämon nie die Bodenhaftung verliert. Einen Roman abseits der ausgetretenen Urban-Fantasy-Pfade, der tatsächlich mit eigenständigen Ideen aufwarten kann. Und vor allem entsteht hier zwischen Jugendzimmer und Pausenhof eine rasante und bei aller Komik ernst zu nehmende Geschichte, die auch Erwachsene in Ihren Bann ziehen wird.

Erwähnt werden sollte übrigens die sehr gelungene Umschlaggestaltung, die in zahlreichen Illustrationen innerhalb des Buches ihre Fortsetzung findet. Illustrator Jan Warncke ergänzt mit mit seinen "Heftrandkritzeleien" die Stimmung des Romans wirklich gelungen. Eine gute Entscheidung des Verlags.

Fausto

Oliver Dierssen, Heyne

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