Grimm

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2010
  • 1
Grimm
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Verena Wolf
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2010

Ein modernes, intelligentes Märchen

Vesper wird behutsam eingeführt mit ihren Befindlichkeiten und Besonderheiten und man braucht einige Zeit, bis man mit der betont exzentrisch erfundenen Teenagerin warm wird. In den ersten hundert Seiten gibt es viel Rückschau und Vorgeplänkel, bis die Geschichte sich entfaltet. Da braucht man ein wenig Geduld, bis einen das Buch packt. Die Sprache in "Grimm" ist typisch für Marzis Schreibstil, von Anfang an lyrisch, mit schöngeistigen Vergleichen: "Sie trug die wilde Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen, so eng umschlungen wie den petrolfarbenen Schal, den ihre Finger langsam entknoteten."

Entweder man mag das oder es irritiert als zu gewollt dick aufgetragen knapp-daneben, wie es mir manchmal ging, aber für Marzi-Fans ist das sicher auf der Habenseite. Sehr oft zitiert Marzi Liedzeilen: seine Heldin nutzt viel und gern ihren iPod und dementsprechend fließen in "Grimm" zitierte Lieder wie ein Soundtrack in die Story ein. Dieses Stilmittel wird äußerst regelmäßig eingesetzt und ob gerade diese Songs eine heute 17-jährige hören würde, lässt sich diskutieren. Aber dass Marzi für uns alltägliche Technik selbstverständlich in die Geschichte einbaut und nicht wie mancher Fantasy-Schriftsteller krampfhaft tut, als gäbe es weder Handys noch Internet, erleichtert sehr.

Grimmsche Märchen werden lebendig - und wie!

Mit lässiger Klugheit lässt Marzi die Mythen der Grimmschen Hausmärchen lebendig werden. Er hat sich Gedanken gemacht und schmückt "Grimm" nicht nur platt mit Märchen-Requisiten oder lässt Figuren, die aus den Grimmschen Märchen bekannt sind, mal als Statisten durchs Bild laufen. Die Märchencharaktere sind vielschichtig und haben Persönlichkeit und bleiben damit zum Glück keine schematischen Figuren à la "Hexe mit roten Haaren" oder "ein Zwerg", wozu manche rollenspielnahe Autoren neigen. Die Handlung ist voller spannender, da unerwarteter, aber in sich schlüssigen Wendungen. Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint! Das bleibt hängen. Vielleicht gerade meines Namens wegen habe ich das sehr hoch bei den Wölfen angerechnet, aber tiefgreifender - zumindest für Leser ohne Tiernamen - ist das sicher bei den Hauptakteuren der Gegenwart und Geheimgesellschaften der Vergangenheit zu beobachten. Marzi gibt zudem auch den Gebrüdern Grimm, genauso wie Alexander von Humboldt, Goethe und Schiller, ganz neue, märchennahe Rollen in "Grimm" und der Geschichtsschreibung. Man sieht die Herren auf einmal in einem ganz neuen Licht. Das macht "Grimm" so besonders! Xenophobie wird hier mal ganz anders in Szene gesetzt. Nett sind die Hommage-Anspielungen auf Dr. Who durch den Fliege tragenden Leander Nachtsheim, der selbst Fan zu sein scheint. Marzi führt nach einem rasanten Showdown "Grimm" zu einem runden Ende, das ohne zwanghafte Fortsetzung bestehen kann. Schön, dass Marzi die Idee zu dem Buch durchzog und nicht vom Wege abwich! Rotkäppchen wäre stolz auf ihn.

Grimm

Christoph Marzi, Heyne

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