Ein armer Teufel wird dämonischer Rächer
Vor einem Jahr ist das Leben von Ignatius Martin Perrish endgültig aus den Fugen geraten. Ohnehin das schwarze Schaf seiner Familie und im Gegensatz zum erfolgreichen Vater und berühmten Bruder beruflich erfolglos, wurde damals Merrin Williams, die Liebe seines Lebens, brutal ermordet aufgefunden. Weil sie sich an jenem Abend im Streit von Ig getrennt hatte, was viele Zeugen bestätigten, nahm die Polizei Ig als Täter fest. Die Beweiskette hielt jedoch nicht stand, und er kam auf freien Fuß. In seiner kleinen Heimatstadt im US-Staat Maine gilt Ig als nichtsdestotrotz als Mörder, der durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen konnte. Die Polizei schurigelt, die Bürger meiden und verachten ihn. Sogar Lee Tourneau, Igs bester Freund seit Kindertagen, hat sich abgewendet; er wurde vom Alkohol ersetzt, dem Ig schon lange zu heftig zuspricht.
An die aktuelle Saufnacht kann sich Ig überhaupt nicht erinnern. Sie muss aber spektakulär gewesen sein, denn am Morgen sind ihm zwei Teufelshörner aus der Stirn gewachsen. Erschrocken bittet er seine Familie um Hilfe - und muss hören, dass ihn die Eltern ebenfalls für einen Mörder halten und sich seiner schämen: Wer sich dem gehörnten Ig nähert, unterliegt dem Zwang, ihn rückhaltlos in jedes intime Geheimnis einzuweihen. Bruder Terry gesteht ihm, in den Mord an Merrin verwickelt zu sein. Lee Tourneau hatte sie ermordet und die Indizien so manipuliert, dass Terry als Mittäter dagestanden hätte. In seiner Not hatte dieser Lee dabei geholfen, stattdessen Ig ans Messer zu liefern.
Der will Vergeltung. Aber die Macht der Hörner versagt bei Lee, der ihm stattdessen seinen Bodyguard Eric auf den Hals hetzt. Ig muss sich einen Plan ausdenken. Als Rächer ist er freilich denkbar untauglich. Er lotet seine neuen Fähigkeiten aus und entdeckt dabei interessante Möglichkeiten. Allerdings bleibt Lee, der sich als lupenreiner Soziopath entpuppt, inzwischen nicht untätig ...
Weiter nach unten geht immer!
Die Geburt eines Höllenfürsten stellt man sich anders vor. Dass sich ausgerechnet der Nobody Ig Perrish in einen Teufel verwandelt, der darüber hinaus genauso aussieht, wie er in Kinderbibeln oder Comics abgebildet ist - rothäutig, gehörnt und mit Spitzbart -, stellt die satanische Mutation bereits in Frage. In der Tat ist und bleibt Ig auch in seiner neuen Inkarnation, was er als Mensch gewesen ist: ein armer Teufel.
Dies muss und sollte der Leser berücksichtigen, da sonst eine böse Überraschung droht: "Teufelszeug" ist kein klassischer Horror-Roman und Ig alles andere als eine übermenschliche Gestalt, die entsprechende (Un-) Taten begeht. Ig ist ein Opfer, das meist reagiert. Versucht er zu agieren, geht dies in der Regel schief. Ig will auch kein Dämon sein, und als er versucht, seine neu gewonnenen Fähigkeiten trotzdem so einzusetzen, wie er es seinem teuflischen Äußeren schuldig zu sein glaubt, scheitert er kläglich: Ig ist auf den eigenen Mythos hereingefallen.
Die Verwandlung ist nur Station auf Igs Höllenfahrt durch das Finale des eigenen Lebens. Für ihn gibt es weder Rettung noch Wiederkehr. Dazu gibt es eine dreiteilige Vorgeschichte, der Autor Joe Hill viele Seiten widmet. "Teufelszeug" erzählt von einer Freundschaft, die sich als schrecklicher Irrtum herausstellt, von einer Beziehung, deren wahre Tragik nicht in ihrem durch Mord begründeten Ende liegt, und von zwei Brüdern, die auf ungewöhnliche Weise wieder zueinander finden.
Was möchte uns der Verfasser sagen?
Der Literaturkritiker liest solche Worte mit Wohlgefallen. Ihm ist blanker Horror zu trivial, zu unterhaltsam; es fehlt ihm die Raffinesse, die den wahren Schrecken zumindest in seiner gedruckten Form auszeichnen sollte. Der weniger elitär eingestellte Leser denkt da oft anders, und ihm bleibt dabei ein Pfund, mit dem er argumentativ wuchern kann: Der literarische Schrecken ist oft denkbar langweilig.
Joe Hill ist kein Literat. Er versucht einfach, die tief ausgefahrenen Geleise des Horror-Genres zu vermeiden. In gewisser Weise gelingt ihm das. "Teufelszeug" ist eben nicht die viel zu bekannte Story vom übernatürlich aufgepeppten Rachefeldzug eines Underdogs, dem das Schicksal die Kraft gegeben hat, es seinen Peinigern endlich zu zeigen.
In diesem Zusammenhang muss der Leser auf eine detailreiche Erklärung der Ereignisse verzichten. Hill begnügt sich mit Andeutungen, die der Leser selbst entschlüsseln kann (aber nicht muss). So gibt sich ein "L. Morgenstern" als Erbauer des "magischen Baumhauses" zu erkennen, das sich als Schnittpunkt zwischen den Zeiten herausstellt. In der Bibel wird der Morgenstern (= der Planet Venus) mehrfach "Luzifer" (= "Lichtbringer") genannt. Offenbar hat sich Satan nach seinem Himmelssturz einen gewissen Humor erhalten, denn es ist doch wohl er, der hinter Igs Metamorphose steckt. Wieso es dazu kam, bleibt indes offen.
Das Rückgrat des Dackels
Der Auftakt dieser Geschichte ist gut, und sie mündet in ein spektakuläres Finale, das auch den Horror-Puristen zufriedenstellen dürfte. Dazwischen gibt es leider viel Leerlauf. Wie Sheriff Kane in "12 Uhr mittags" läuft Ig durch seine Heimatstadt und bittet um Hilfe. Stattdessen stößt er auf Ablehnung und offenen Hass, während Lee Tourneau, sein Todfeind, unerbittlich näher rückt. Ig muss sich ihm schließlich allein stellen, aber hier bleibt Hill dem Vorbild treu und bringt eine versöhnliche Note ein.
Bis es soweit ist, wiederholen sich die Ereignisse. Igs Versuche, die neue Persönlichkeit zu ergründen, treten auf der Stelle. Zahlreiche Rückblenden in die Vergangenheiten der Figuren tragen ebenfalls nichts zur Dynamik bei. Was Hill dort dramatisch aufblättert, hat er zuvor so gut skizziert, dass eine ausführliche Nacherzählung bloß überflüssige Wiederholungen bietet. Im Mittelteil hängt die Story dadurch spürbar durch. Als Novelle wäre "Teufelszeug" vielleicht besser geraten.
Pechvogel, Psychopath, Idealgefährtin & Bruderfreund
Eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt Hills Figurenwahl und -zeichnung. Ig ist der reine Tor, dessen Sturz in den Abgrund auch zum Prozess einer Läuterung wird. Wirklich warm wird der Leser mit ihm jedoch nicht. Möglicherweise ist Hill zu erfolgreich in der Erschaffung einer Person gewesen, in deren Hirnschädel es nicht sonderlich hell leuchtet. Ig hatte seine Merrin, die ihn wohl so gut erdete, wie dies überhaupt möglich war. Besonders helle war sie allerdings ebenfalls nicht. Wie sonst hätte ihr entgehen können, dass ein Muster-Psychopath in ihrer direkten Nachbarschaft aufwuchs?
Wie ein dämonischer Bruder von Hannibal Lecter wirkt dieser Lee Tourneau übrigens nicht. Tatsächlich verdankt er sein erfolgreiches Wirken vor allem der kollektiven Hohlköpfigkeit seiner Mitbürger, denen der Riss in Lees Hirnwaffel unbemerkt bleibt. Ig, Merrin und Terry sind in dieses harsches Urteil ausdrücklich eingeschlossen: Nie haben sie nach Hill bemerkt, dass Lee der schönen Merrin ungesund und überhaupt hinterher gierte. Die überzeichnet Hill ohnehin kontraproduktiv als einen eher langweiligen Engel auf Erden, dem der Leser keine besonders freundlichen Gefühle entgegenbringt.
In einem Punkt kann Hill überzeugen: Zur Dummheit gesellt sich gern die Ignoranz. Niemand außer Lee und Terry hält Ig für unschuldig. Nicht einmal oder gerade die Polizei lässt sich durch die Beweislage eines Besseren belehren. Ig ist der ideale Sündenbock. Freudig nutzt man die Gelegenheiten, die sich aus dem sozialen Mobbing ergeben können: Das eigene kümmerliche Leben lässt sich aufwerten, indem man die noch Schwächeren mit Füßen tritt.
Absturz mit Netz und doppeltem Boden
Trotz der phantastischen Elemente bleibt "Teufelszeug" ein konventioneller Unterhaltungsroman US-amerikanischer Prägung. So hart die Nackenschläge die Hauptfigur auch treffen, wirklich zu Boden geht sie nicht, und in totaler Niederlage mag Hill seinen Roman erst recht nicht enden lassen. Ig wird zusammengeschlagen und niedergeschossen, aber als ihm seine Widersacher den Gnadenstoß geben wollen, springt plötzlich Bruder Terry aus dem Gebüsch, lenkt die Strolche ab und gibt Ig die notwendigen Sekunden, in denen er sich verpusten, die Reste seiner Zurückhaltung abstreifen und endlich mit Gewalt zurückschlagen kann.
Terry war bisher nur Randfigur, und seine plötzlich hell auflodernde Bruderliebe nimmt man ihm nicht ab. Hill benötigt ihn, weil er Ig ohne eindeutige Erläuterungen aus der Handlung nimmt. Doch was wird aus dem nun endgültig geschlüpften Jung-Teufel? Die Frage ist berechtigt. Sie stellte Hill vor eine Herausforderung, der er sich nicht stellen mochte. Stattdessen begnügt er sich mit Andeutungen und lässt seine Geschichte mit einer langen, versöhnlichen, sehr banalen Coda ausklingen. Was immer uns Joe Hill mit "Teufelszeug" sagen wollte, hat er handwerklich gut aber nicht besonders stringent oder konsequent umgesetzt.
Joe Hill, Heyne
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