Winnetou unter Werwölfen
- Piper
- Erschienen: Januar 2010
- 3
Winnetou unter Werw ... was?!
Zugegeben, ich war mehr als skeptisch, als ich diese Büchersendung von Piper ebenso unerwartet wie unangekündigt erhielt. Bis dahin stand das gute Stück nämlich noch auf keiner unserer Rezensionslisten. Und ehrlich gestanden hätte ich mir ein Buch mit diesem Titel sicherlich nicht gekauft. Zum einen, weil ich als Kind zumindest Karl-May-Fan war (wenn auch interessanterweise nicht Winnetou-Fan). Zum anderen, da sich die Literatur-Mash-up-Versuche aus "urheberrechtsfreier Klassiker vs. Monster" nach Seth Grahame Greenes halbwegs gelungenem Austen-Remix "Pride and Prejudice and Zombies" als allesamt nur mäßig bis überhaupt nicht komisch herausgestellt haben.
Dementsprechend war mein erster Gedanke nach öffnen des Paketes denn auch: "Och nö - muss das sein?" Aber einem geschenkten Buch schaut man sehr wohl auf die Seiten und deshalb zuerst auf den Klappentext:
"... wussten Sie, dass Old Shatterhand eine Schwäche für junge Werwölfinnen hat? Dass Apachen den Mond anheulen und sich Bleichgesichter vor dem Sonnenlicht in Särge verkriechen? ..."
An dieser Stelle hätte ich gern aufgehört zu lesen - wenn mir nicht rechtzeitig eingefallen wäre, dass gerade deutsche Klappentexte mit dem tatsächlichen Inhalt gern mal nur die Schriftart gemeinsam haben. Deshalb habe ich das Teil (nach einer schnellen Recherche zu dem mir vollkommen unbekannten Autoren) doch aufgeschlagen.
Mayer Karl, Mayer mit "a y"
Der junge deutsche Abenteurer Mayer Karl wird in St. Louis von seiner Anstellung als Hauslehrer weg als Landvermesser angeworben. Er soll beim Bau einer Eisenbahn durch das noch unerschlossene Indianerland helfen. Wenig später bricht er mit seinem neuen Mentor Howlin' Sam, einem Perücke tragenden Männlein und Westmann in den noch wilden Westen auf. Wo er nicht nur seinen neuen Dienstherren Bancrott und dessen rumänische Wachmannschaft mit besagten Särgen begegnet, sondern schon kurz darauf in den Zwist zwischen Apachen und Kiowa hineingezogen wird. Beide Stämme stellen sich zu allem Überfluss auch noch als Werwolfsrudel heraus, so dass Mayer Karl und Howlin' Sam ihre liebe Mühe haben, zwischen Werwölfen, Vampiren und dauerbesoffenen Vermessern mit heiler Haut (oder zumindest Perücke) davon zu kommen.
Wie der Mayer Karl seinen Ruf als Lusche los wird, zu seinem Westmann-Namen kommt, Wolfsbrüderschaft mit Winnetou schließt und beinahe dessen kleine Schwester heiratet, das darf der geneigte Leser gern selbst herausfinden.
Im Ernst. Darf er. Denn ich werde von diesem Buch nicht abraten. Natürlich ist es kein literarisches Meisterwerk. Massentauglich ist es übrigens auch nicht unbedingt. Aber es ist eine gute und vor allem eine respektvolle Parodie.
Auf den ersten Blick wirkt sie völlig überdreht, was mich tatsächlich ein wenig abgeschreckt hat. Bis zu dem Moment, als ich sie aus der Hand gelegt und Karl Mays originalen Winnetou aus dem Regal gezogen habe. Dann ist mir nämlich klar geworden, dass Thannisch mit seiner Neuinterpretation sogar ziemlich nahe am Original geblieben ist. Seien wir ehrlich - Mays Winnetou ist für sich schon eine Parodie auf das Western-Genre (bevor es das Genre überhaupt so richtig gab). Schon seine Figuren sind klischeehaft überzeichnet. Der edelmütigste aller Edelmütigen, in seiner glanzvollen Erscheinung nur vor kurzen erst von einem glitzernden Vampir getoppt, die bösen, geradezu tierischen Kiowa, die alberne Figur des Sam Hawkens und natürlich er selbst, der Karl, der als Tausendsassa Old Shatterhand allenfalls noch von Baron Münchhausen in den Schatten gestellt wird.
Im Grunde hätten sogar die Werwölfe selbst von May stammen können. Denn bis dahin ist es wirklich ein erstaunlich kleiner Schritt. Der weiße Indianer-Lehrer Klekih-petra wird zum Klage-Peter, Sam Hawkens wurde nicht mit dem Messer, sondern der Kralle skalpiert, der finstere Rattler wird zur rumänischen Kreatur der Finsternis Ratanescu, aus dem Kiowa-Chef Tangua wird Tuntua und der alte Intschu tschuna wird eben zu Schuschuschuna.
Wie parodiert man einen deutschen Klassiker, der sich doch eigentlich selbst parodiert?
Das alles liest sich nur noch halb so albern, wenn man das Original im Kopf hat. Dann merkt man nämlich, dass Thannisch seinen Winnetou nicht nur gelesen hat, sondern auch mag. Dass er ihn mit Respekt behandelt und nur dort verändert bzw. ergänzt, wo es nötig ist. Dass Winnetou mit französischem Akzent spricht, lässt sich in einer Parodie einfach nicht vermeiden, wird aber wenigstens schlüssig erklärt. Auch warum die Indianer aus ihrem Silber-Schatz (auch wenn der nicht im gleichnamigen See liegt) kein Kapital schlagen, erklärt sich bei Werwölfen natürlich von selbst - und eine Blutsbrüderschaft ergibt unter diesen Umständen wenigstens einen Sinn.
Gerade aber dieses "halb so albern" tut der Parodie gut und hebt sie von vielen anderen ab. Es wird nicht jeder mögliche Witz auf Teufel komm raus noch ausgepresst. Dafür wird viel von der unfreiwilligen Komik der Vorlage erhalten und augenzwinkernd nur ein klein wenig unterstützt. Ehrlich gesagt war ich verblüfft, wie viele der hahnebüchenen Szenen überhaupt nicht parodiert sondern einfach übernommen sind. Insofern seien auch Tickman, Trickman und Trackman und die Übersetzung von "Greenhorn" als "Lusche" verziehen. Auch wenn kaum eine bessere zu finden gewesen wäre.
Insgesamt bleibt er nah am Original - so nah, wie es geht, wenn man drei Bücher in ein schmaleres fassen will. Dennoch funktioniert die Geschichte auch in dieser gerafften Form. Vielleicht auch gerade deshalb.
Ein abenteuerliches Märchen - in bester May-Tradition
Wie oben erwähnt: Das Buch ist sicherlich keine hohe Literatur, auch wenn (und vielleicht gerade weil) es den Tonfall und Erzählstil des Originals sehr gut einfängt. Was Parodien und Mash-ups angeht, ist "Winnetou unter Werwölfen" auf jeden Fall erfreulich gelungen und hat damit meine Befürchtungen nicht erfüllt. Vollständig genießen werden dieses Buch natürlich nur Leute können, die Winnetou und Co. gelesen haben. Und ich wage zu behaupten, dass das heute eher wenige sind. Zumindest nicht so viele wie "Twilight" oder "Harry Potter" kennen. Ob es also so viele zu würdigen wissen, lasse ich mal dahin gestellt. Beim Rest ist zu hoffen, dass sie sich noch an Lex Barker und Pierre Briece erinnern - oder zumindest den "Schuh des Manitou" aufmerksam genug gesehen haben. Ich fürchte aber, dass sich diese Leser meiner 60-Grad-Wertung dann eher nicht anschließen werden.
Ein Kritikpunkt: Die Qualität des Lese-Exemplars von rein technischer Seite aus. Die lackierte Prägung des Schriftzuges zumindest von meinem Exemplar war so schlecht ausgeführt, dass der Titel schon während des erstmaligen, normalen Lesens ohne mechanische Belastung aussieht, wie dreimal durch die Grabbelkiste und zurück gezogen. Sprich: Auf der gesamten Prägung reißt an vielen Stellen die Druckfarbe ab und die Klebebindung wirkt auch nicht so, als würde sie noch zwei weitere Leser verkraften. Das geht besser, wenn ich mich nicht irre.
Peter Thannisch, Piper
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