Lobgesang
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2011
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Dramatisch, packend, komplex und intelligent
Die Verheerung von Windwir liegt Monate zurück, als am Hütertor zu den Mahlenden Ödlanden ein fremder Metallmann mit einer rätselhaften Botschaft für den Verborgenen Papst Petronus auftaucht. Aber Petronus hat sich längst wieder in sein Fischerdorf zurückgezogen und grübelt über den Inhalt des Lederbeutels nach, den er am Tag von Sethberts Hinrichtung von Vlad Li Tam erhalten hat.
In den neun Wäldern leitet Rudolfo den Aufbau der neuen Bibliothek mit Hilfe der Merchoservitoren, während seine Verlobte Jin Li Tam seit Wochen wegen einer problematischen Schwangerschaft das Bett hüten muss. Beim Ehrenfest anlässlich der kurz bevorstehenden Geburt werden alle anwesenden Gäste, bis auf Rudolfo, von unheimlichen, unsichtbaren Attentätern abgeschlachtet. Danach schlägt Rudolfo großes Misstrauen entgegen und die erst frisch geknüpften Allianzen drohen auseinander zu brechen.
Neb zieht mit Isaak, dem Mechoservitor, und einigen Zigeunerspähern im Auftrag Rudolfos in die Mahlenden Ödlande, auf den Fersen des fremden Metallmanns. Winters ist durch die Ermordung Hanrics gezwungen, früher als erwartet ihren Platz als Königin des Sumpfvolkes einzunehmen. Vlad Li Tam erkennt, dass er selbst manipuliert wurde, und dass jemand sein Familien-Netzwerk für andere Zwecke benutzt hat. Irgendwo jenseits der Benannten Lande gibt es etwas, das die Androfranziner fürchteten. Er macht sich mit seiner Familie und seinen Schiffen auf, um diese Bedrohung zu finden.
Ken Scholes ´Lobgesang´ knüpft nahtlos an die Ereignisse des ersten Bandes an. Wie ´Sündenfall´ ist er dramatisch, packend, komplex und intelligent, allerdings noch blutiger, noch eine Spur ausgefeilter. Die 570-Seiten waren schwer aus der Hand zu legen. Wie festgeklebt habe ich die einzelnen Schicksale aller Protagonisten verfolgt, gebannt Seite um Seite verschlungen, denn da zeigt ein unglaubliches Intrigennetz sein grausames Gesicht. Die Stärke dieses Autors liegt in kurzen, knackigen Szenen, die sehr emotional sind, ohne den Geruch von Romantik zu tragen. Einige Szenen sind mir, trotz langjähriger Erfahrung als Fantasy-Leserin, doch ziemlich an die Nieren gegangen. Obwohl Ken Scholes wohltuend auf allzu deutliche Beschreibungen von Grausamkeiten verzichtet. ´Lobgesang´ ist keine Nebenbei-Lektüre, sondern ein Buch das Aufmerksamkeit fordert und mich gedanklich auch nach Beendigung beschäftigt hat.
Wie im ersten Band wird jeweils aus der Sicht von verschiedenen Personen erzählt, dadurch wechseln die Schauplätze, und der Handlungsraum wird über den Hüterwall in die Mahlenden Ödlande ausgeweitet. Bekannte Protagonisten kämpfen teilweise wie gegen Windmühlenflügel, denn kaum ist ein Problem gelöst, ergibt sich ein weiteres. Neue, interessante Figuren werden eingeführt, die Karmesinkaiserin wirft ihren blutigen Schatten voraus und die Mechoservitoren entpuppen sich als weit mehr als von den Androfranzinern gedacht.
Unaufdringlich entwickelt Scholes sehr unterschiedliche Charaktere in ihrer ganzen Komplexität. Dabei geht es ebenso um innere Konflikte wie äußere Umstände, die Veränderungen erzwingen. Petronus und Vlad Li Tam stehen beide in ihrem letzten Lebensabschnitt, sie verfügen über Stärke und Lebenserfahrung, beide gehen dementsprechend zielstrebig vor. Aber beide sind trotz ihres hohen Alters nicht gegen Überraschungen gefeit. Neb und Winters sind noch sehr jung, sie stehen in einem ständigen inneren Widerstreit zwischen Gefühl und Bestimmung. Sogar Rudolfo, in der Lebensmitte, und Jin Li Tam, eine kluge Frau, erleben eine umgreifende Veränderung ihrer Persönlichkeit.
Die Macht der Familienbande
Petronus denkt am Anfang des dritten Kapitels, Angst sei etwas sehr Mächtiges. Aber auch Familienbande sind eine Macht, die nicht zu unterschätzen ist. Die Familie ist ein prägender Faktor im Leben eines Menschen, sei es im positiven wie negativen Sinn. Eine ungewöhnliche Thematik in einem Fantasy Werk, aber Ken Scholes gelingt das mühelos, ohne aufgesetzt zu wirken.
Mit der Geburt ihres Sohnes Jakob erfahren Rudolfo und Jin Li Tam eine gravierende Änderung von Wertigkeiten. Alles in seiner Umwelt bröckelt, aber Rudolfo hat plötzlich eine Familie und die Gefühle für seinen Sohn und seine Frau beeinflussen sein Tun und Handeln mehr als er je gedacht hatte. Jin Li lernt, dass es Situationen gibt, in denen für eine Mutter manchmal nichts anderes zählt, als das Wohlergehen ihres Kindes. Der Prozess der Elternwerdung wird sehr anschaulich gezeigt, fügt sich wie von selbst in die Handlung ein.
Der alte Patriarch und gnadenlose Intrigant Vlad Li Tam, der seine Kinder und Enkel als Werkzeuge missbraucht hat, bekommt eine Lektion erteilt, die es in sich hat. Auf brutale Weise lernt er, was Familienbande für ihn noch bedeuten.
"So sollen die Sünden des P'Andro Whym seine Kinder heimsuchen"
Nach Ende der Lektüre hätte ich am liebsten sofort den nächsten Band begonnen. Denn nicht nur die Familie prägt, jeder Mensch ist ein Individuum und verhält sich nicht unbedingt so wie geplant. Wie weit kennen die wahren Strippenzieher die Zukunft, welche Macht hat der freie Wille, wie sehr lassen Menschen sich manipulieren?
Werke wie Ken Scholes "Lobgesang" und "Sündenfall" zeigen, dass Fantasyromane keine stereotypen, banalen Geschichten für Weltflüchter sein müssen, sondern auf intelligente und ansprechende Weise gleichzeitig unterhalten wie zum Nachdenken anregen können. Die Reihe ist in fünf Bänden geplant. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Ereignisse und die Auflösung.
Ken Scholes, Blanvalet
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