Farbenprächtig inszenierte Intrigen
Man könnte Brandon Sanderson als den "Shootingstar" der aktuellen Fantasy-Szene bezeichnen. Sein Einzelwerk "Elantris" fand ein begeistertes Publikum, mit der "Mistborn"-Trilogie - "Die Kinder des Nebels", "Krieger des Feuers" und "Herrscher des Lichts" - startete der amerikanische Autor richtig durch. Und nun wurde er dazu auserwählt, "Das Rad der Zeit" von Robert Jordan, einen der Fantasy-Klassiker schlecht, hinzu vollenden. "Der Untergang der Shaido", Band 31, war der erste Fortsetzungband aus Sandersons Feder, inzwischen sind noch zwei dazu gekommen. Und trotzdem bleibt dem Amerikaner noch genug Zeit, eigene Werke zu verfassen, wie das 762 Seiten starke "Sturmklänge".
Frauen für den Gottkönig und den Untergrundkampf in T' Telir
König Dedelin, Herrscher des armen Königreichs im Hochland, Idris, muss eine schwere Entscheidung treffen. Vor zwanzig Jahren vereinbarte er mit dem reichen Land Hallandren, eine von seinen Töchtern dessen Gottkönig zur Ehefrau zu geben. Seine älteste Tochter Vivenna wurde ihr Leben lang dafür ausgebildet, eine hallandrische Königin zu werden, doch nun schickt Dedelin seine jüngste, erst 17-jährige Tochter Siri in die Hauptstadt T' Telir. Er glaubt nicht, das der geschlossene Friedensvertrag Bestand hat und möchte Idris, die "starke" Tochter erhalten, opfert die vermeintlich schwächere Siri. Doch Vivenna reist ihrer Schwester in den Sündepfuhl der Häretiker nach und trifft dort auf den Söldner Dent. Gemeinsam begehen sie Sabotageakte, um Hallandrens überlegene Position im aufziehenden Krieg zu untergraben. Vivenna erlernt, was ihr bisher als die schlimmste Sünde erschien, die Macht des biochromatischen Hauchs zu nutzen.
Unterdessen erlebt Siri im luxuriösen, aber unfreien Alltag im Palast des Gottkönigs einige Überraschungen. Ihr einziger Zweck scheint darin zu bestehen, schwanger zu werden und einen Erben auszutragen. Doch nicht nur ihr Gemahl erweist sich als ein ganz anderer Mann, als sie erwartet hat. Hinter der Fassade der Allmacht und Dekadenz der wiedergekehrten Götter brodeln geheime Machenschaften. Und nur der Gott Lichtsang, ein oberflächlicher Müßiggänger, zweifelt am Kriegssieg Hallandrens über das hoffnungslos unterlegene Idris.
Seelenzauber in einer knallbunten Welt
Brandon Sanderson gilt als einer der kreativsten Erschaffer von phantastischen Welten und originellen Magiekonzepten, das stellt er auch in "Sturmklänge" unter Beweis. Die Schauplätze grenzt der Autor konträr voneinander ab. Idris, Heimat der Prinzessinnen Siri und Vivenna, liegt im kargen Hochland. Die Menschen dort führen ein puritanisches Leben, kleiden sich dezent und sind strenge Monotheisten, die an den vergeistigten Gott Austre glauben.
Hallandren und die Hauptstadt T' Telir präsentiert sich dagegen lasziv, farbenfroh und dekadent. Die Hallandrener glauben an die Wiedergeborenen, die als Götter am hedonistischen Hof des Gottkönigs ein müßiges Leben führen. Allmächtiger Zauber, wichtigste Handelsware und Grundlage von Macht und Einfluss in Hallandren ist der biochromatische Hauch. Ein Leben als Farbloser, also ohne Hauch, ist möglich. Zusätzlich einverleibter Hauch verleiht jedoch herausragende bis magische Fähigkeiten. Mit diesen "Erhebungen" sind bestimmte Kräfte verbunden. Ab der sechsten Erhebung, mit 3500 Hauchen, erwirbt man die Gabe, leblose Dinge und sogar Tote "erwecken" zu können.
Götter und Kämpfer
Charakterlich gegensätzlich sind auch die Töchter des Königs von Idris, Siri und Vivenna. Während die ältere Vivenna eine strenge Erziehung als zukünftige Gattin des Gottkönigs erhielt, gilt Siri als ungehorsamer Wildfang. Idrier königlichen Blutes wechseln ihre Haarfarbe je nach emotionaler Stimmung. Während Siris Haupthaar mal zornesrot, mal frohlockend-gold, mal besänftigt-braun und oft angstweiss wird, weiß Vivenna ihre Farbe zu kontrollieren. Die Handlung prägt beide Frauen und bringt immer wieder neue Charaktereigenschaften zum Vorschein. Neben den Prinzessinnen setzen drei Männer die entscheidenden Akzente in der Handlung; der Rebell Vasher, der Söldner Denth, und der Gott Lichtsang. Gott und Söldner eint ein sarkastischer Humor. Denth parodiert seinen Status als bezahlter Dienstleister, Lichtsang seinen als angeblich tapferer Held. Diese witzig-makaberen Einwürfe sind einerseits amüsant zu lesen, wirken jedoch durch ihre Häufungen mitunter bemüht. Die geheimnisvollste und nicht nicht nur deswegen interessanteste Figur ist der Krieger Vasher mit seinem Schwert Nachtblut. Mit dem Gottkönig Susebron ist er der Einzige, der keine Show abzieht, aber in jeder Hinsicht für Überraschungen sorgt.
Abwechselnd begleiten wir Siri im Palast des Gottkönigs, Vivenna im T' Telirer Untergrund, den Gott Lichtsang oder Vascher bei seinen geheimen Aktionen. Die Handlung bleibt durch den ständigen Perspektivenwechsel dynamisch und kurzweilig. Viele Abschnitte enden mit Cliffhangern, was mich generell stört. Spannung sollte aus der Geschichte erwachsen und nicht am Kapitelende künstlich erzeugt werden. Und "Sturmklänge" hätte dieses Stilmittel auch nicht nötig gehabt.
Der Aufbau des Romans wirkt unausgewogen, denn der Einstieg in die eigentliche Story lässt 200 Seiten lang auf sich warten. Trotz des im Hintergrund lauernden Kriegs zwischen Idris und Hallandren kommt die Story ohne Schlachtengetümmel aus. Statt dessen stehen Machtspiele im Mittelpunkt. Intrigen und Illusionen, mit Hilfe der faszinierenden Möglichkeiten des Hauchs inszeniert, schüren subtile Ängste und tauchen den Roman in eine surreal-düstere Atmosphäre. Im Finale überstürzen sich die Ereignisse und es geht dramatisch zu. Helden wider Willen kämpfen um die Zukunft der Königreiche, um Leben und Tod. Sanderson bietet eine schlüssige Auflösung des vertrackten Konflikts - behält aber auch viel Potential für neue Kontroversen in der Hinterhand. Es wäre dem amerikanischen Autor zu wünschen, das er eine Fortsetzung schreibt. Von seiner in "Sturmklänge" so vielschichtig und originell konzipierten Fantasywelt konnte er leider nur einen kleinen Teil nutzten.
Brandon Sanderson, Heyne
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