Kill Whitey
- Otherworld
- Erschienen: Januar 2010
- 3
Töten ist ein schwieriges Geschäft
Larry Gibson ist Lagerarbeiter, arbeitet vier Stunden pro Tag hart und will darüber hinaus Spaß haben. Mit seinen Freunden, seinem fiesen Kater Webster, und wenn es sich einrichten lässt, gerne mit Frauen. Manchmal in Zoten, wenn er mit seinen besten Kumpeln lästert, manchmal aus der Ferne, in irgendwelchen Stripclubs; ganz selten nahebei. Wie mit Sondra, der russischen Stripperin, die Larry zu seiner Traumfrau kürt. Mehrmals die Woche in einem teuren Stripclub abzuhängen, um einen Blick auf die Angebetete zu erhaschen, ist ein teurer Spleen. Dass er allerdings das Leben kosten könnte, hätte Larry kaum erwartet. Doch genau das passiert: Sondra muss flüchten. Vor der russischen Mafia und ihrem "Chef" Whitey. Zufälligerweise ist Larry in der Nähe und wird zum Fluchthelfer und Komplizen. Im Bett, in der Schlacht und unterwegs, schwer bewaffnete Gangster auf den Fersen. Blut wird fließen. Und das nicht zu knapp. Freunde und Feinde werden sterben - doch warum steht Whitey immer wieder auf? Während der abenteuerlichen Flucht erfährt Larry die Hintergründe. Nur so viel: Die Nachfahren Rasputins müssen sich nicht allzu viele Gedanken über eine Krankenversicherung machen. Gesetzt den Fall, Aufbaunahrung ist vorhanden...
Die ersten 120 Seiten fragt man sich, was Kill Whitey eigentlich auf der Phantastik Couch verloren hat. Brian Keene erzählt eine typische Run & Hide-Story, die ihre Vorbilder unübersehbar bei John Landis´ "Kopfüber in die Nacht" oder Martin Scorseses "Die Zeit nach Mitternacht" hat.
Unbedarfter Junge lernt ausgekochtes Mädchen kennen, das leider einigen rüden Raubeinen ein Dorn im Auge ist. Unklar bleibt, ob sie Geld gestohlen hat, oder vom falschen Mann schwanger ist; jedenfalls steht sie auf der Abschussliste. Und in allergrößter Not kommt ihr der verliebte Jüngling zu Hilfe, um sie vor Unbill in der Gangsterwelt zu bewahren. Er wächst über sich hinaus und auch die taffe Braut tut ihr Bestes, den Ganoven das Leben schwer, bzw. kurz zu machen.
Dieser Part ist Keene recht ordentlich gelungen. Sein Larry ist scheinbar ein ausgemachter Prolet, der gerne mit seinen Freunden abhängt, um Wein, Weib und Gesang zu frönen. Wein eher weniger, Hauptsache Alkohol. Es gibt allerdings ein paar Widerhaken. Denn vereinzelte Gedankengänge, sowie Larrys Verehrung hochkomplexer Musik (Mastodons "Crack The Sky") lassen den Schluss zu, dass unter der lärmigen Oberfläche ein kleiner Intellektueller mit tiefer gehenden Sehnsüchten lauert. Zudem einer, der mit guten und schnellen Reflexen aufwarten kann: denn die Eile, in der es der verliebte Larry auf einmal mit ganzen Brigaden der Russenmafia aufnehmen kann, ist in Windstärken nicht zu messen. Spätestens jetzt verabschiedet sich die Glaubwürdigkeit ins Nirwana. Aber das macht nichts. Denn Glaubwürdigkeit steht nicht so weit im Vordergrund bei derartigen Geschichten im Rennen, Retten, Flüchten-Milieu. Vor allem rennen und flüchten. Und statt retten eher schießen. Viel schießen.
Und das beherrscht Keene. Er hetzt unser seltsames Pärchen durch Stadt, Land, Fluss ohne Unterlass. Unterwegs werden Verbündete gesammelt, gehen verloren und am Ende heißte es für Larry im gnadenlosen Showdown: Kill Whitey! Leicht gesagt. Aber egal wie es ausgeht: für atemlose Spannung ist gesorgt. Gelegentlich sogar durch die Ambivalenz der Verhältnisse, die unsere Hauptpersonen untereinander und miteinander haben und pflegen. Nein, nicht pflegen, treten.
Doch leider hat sich Keene einen Kniff einfallen lassen, der die ganze bescheidene, aber gelungene Hetzjagd unterminiert. Denn er gibt Whitey einen mythischen Hintergrund, der aus dem knallharten Gangster mit Geschick, Durchsetzungsvermögen und ohne jede moralische Begrenzung, eine Art Zombie mit Auftrag macht. Das ist so hanebüchen und überflüssig, dass selbst ganze Wagenladungen Wodka den Humbug kaum erträglicher machen. Wenn dann noch der permanent selbst- und genrereflektierende Gestus zum Tragen kommt, wird das ganze Konstrukt wackelig und verliert den Boden unter den Füßen. Da sitzen Larry und ein Kumpel unter Beschuss und sinnieren über Jason Vorhees und seine Fähigkeit immer wieder aufzustehen, egal wie sehr man ihn verstümmelt, geköpft oder verbrannt hat. Natürlich kommt passend am Ende der Plauderstunde Whitey um die Ecke. Nicht mit guten Absichten.
Solche Insider-Jokes sind ja ganz ulkig (sagt da jemand: "Tarantino"?), doch spätestens, wenn man sich bewusst macht, dass Kill Whitey zu weiten Teilen in einer leeren Fabrikhalle spielt, wird klar, wo wir uns befinden: In einem literarischen Äquivalent zu jenen C-Z-Movies, die beliebte Themen aufgreifen und mit schlechten Schauspielern, minimalem Budget und einer leer stehenden Fabrikhalle aufwarten, um nicht vorhandene Geschichten mit Getöse und Trara über die kurzweiligen Runden zu bringen. Manchmal entstehen dabei unfreiwillig komische Trash-Granaten, manchmal legen solche hässlichen Nachgeburten auch schamlos die Mankos und Leerstellen der großen Vorbilder bloß.
Ein bisschen von alledem hat auch Kill Whitey. Macht über weite Strecken Spaß, aber es kann passieren, dass man nach der letzten Seite dasitzt und gemeinsam mit Larry vor sich hin murmelt: "Ruhe in Frieden du Stück Scheiße!".
Das sieht Christian Endres, der eines der dämlichsten Vorworte seit langem verfasst hat, allerdings anders. Da schmeißt er unbedarft Stephen King, Richard Laymon, Graham Masterton und Jack Ketchum in einen Topf, weil "man schnell eine Verbindung zu den jeweiligen Protagonisten auf[baut]". Woraus er schlussfolgert, dass Keenes "erzsympathische" Hauptfigur Larry für einen Großteil des Gelingens der Story von Kill Whitey zuständig ist. Dabei ist Larry zu Beginn ein Dummschwätzer, der erst im Laufe der Handlung an Sympathie gewinnt, ohne je vollends als Held zu überzeugen. Genau diese Distanz zu seinen Figuren ist aber eine der Stärken des Romans.
Wer sich Kill Whitey zulegt, sollte das himmelhochjauchzende Vorwort erst nach Beendigung des Romans lesen (oder es ganz sein lassen), denn sonst könnte in ihm der Wunsch wachsen das Buch am liebsten ungelesen in die Ecke zu pfeffern. Und das wäre doch schade. Oder nicht?
Brian Keene, Otherworld
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