Die geheime Sammlung

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2010
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Die geheime Sammlung
Die geheime Sammlung
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Carsten Kuhr
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2010

Die magischen Märchen der Gebrüder Grimm

Kennen Sie das, die ruhige, fast sakrale Stimmung innerhalb einer alten Präsenzbibliothek? Man sitzt im Lesesaal, die Pagen bringen das bestellte Werk, und dann nimmt man sich die Zeit, selbiges sehr sorgfältig und vorsichtig zu studieren. Mitten in New York liegt ein solch ehrwürdiger Bau, der eine ganz besondere Sammlung beherbergt. Das "Repositorium der Verleihbaren Schätze" wird aber nicht etwa von wissbegierigen Studenten besucht, auch Forscher findet man in seinen Hallen seltener. Besondere Menschen sind es, Sammler und Feingeister, die die große Halle mit ihren phantastischen Tiffany-Fenstern besuchen. Denn in dieser Sammlung gibt es gar merkwürdige Dinge zu bestaunen und, sofern man die Prüfungen besteht, auch auszuleihen. Sei es die Perücke von Marie-Antoinette oder den Hut von Abraham Lincoln, hier warten historische Gegenstände auf den Kenner.

Elizabeth geht, nachdem ihr Vater sich neu gebunden hat, und nun seinen Stieftöchtern das Studium finanzieren darf, nicht länger auf eine Mädchen-Privatschule, in der sie ihrem großen Hobby, dem Tanzen, nachgehen konnte. Stattdessen muss sie nun auf einer öffentlichen Schule ihre Ausbildung fortsetzen und Anschluss finden. Bei all den ungerechten Anfeindungen, deren sie sich von Seiten ihrer Stiefmutter ausgesetzt sieht, und die sie fast ein wenig an Aschenputtel erinnert, nun also auch noch eine neue Schule, ein anderes Umfeld und eingebildete Klassenkameradinnen. Nur der Unterricht in Gemeinschaftskunde und Geschichte vermag sie ein wenig von ihren Sorgen ablenken.

Ihr Lehrer ist es denn auch, der ihr einen Job im Repositorium vermittelt. Dass mit Mike auch der begehrteste Junge ihrer Schule dort jobt, versüsst ihr die angenehme, wenn auch hektische Arbeit. Bald steigt sie innerhalb des Hauses von einer Aushilfskraft zu einem Pagen auf, dem man nicht nur vertraut, sondern der auch in die Geheimnisse des Hauses eingeweiht wird. Die Sammlung umfasst nämlich nicht nur Gegenstände aus dem Alltagsleben der letzten Jahrhunderte, sondern auch ganz besondere Abteilungen. In einer, der der Gebrüder Grimm, werden Gegenstände aufbewahrt und ausgeliehen, die aus den Märchen stammen. Gegenstände, die im wahrsten Sinne des Wortes magisch sind. Doch in letzter Zeit wurden eben jene magischen Schätze gestohlen. Mysteriöse Vögel tauchen auf, undurchsichtige Antiquitätenhändler versuchen Elizabeth anvertraute Gegenstände abzuluchsen und immer deutlicher wird, dass der oder die Täter Hilfe von irgendjemandem innerhalb des Hauses haben müssen. An Elizabeth und ihren drei Freunden, wie sie selbst als Pagen im Repositorium beschäftigt ist es, den Schuldigen zu entlarven ...

Märchenmotive in aktuellem Kontext

Zu Zeiten, da die Verlage fast schon verzweifelt versuchen sich an die grossen Erfolge der Biss-Romane oder der Hogwart'schen Bestseller anzulehnen, ist es erstaunlich, dass ein Haus das verlegerische Wagnis eingeht, seinen Lesern ein Werk zu präsentieren, das in eine ganz andere Richtung geht.

Zunächst einmal beginnt das Buch eigentlich im Bereich des Ublichen. Wir begegnen unserer Ich-Erzählerin, einer jungen intelligenten Dame, die vom Schicksal nicht eben verwöhnt wird. Zu den Problemen mit dem wechselnden Elternhaus kommen schulische Anpassungsschwierigkeiten und das Verlangen nach Anerkennung und Freundschaft. Das sind Probleme, die viele Jugendliche haben, so dass sie sich gut mit der Erzählerin identifizieren können. Eine Stiefmutter, die ihre eigenen Kinder naturgemäß dem angeheirateten Balg vorzieht, der Vater, der es allen recht machen will, die intriganten Zicken in der Klasse, die die Neue ausschließen und das Gefühl, selbst nur ein graues Mäuschen zu sein, keine Chancen beim anderen Geschlecht zu haben, sind bekannte und bewährte Themata, die die Autorin in ihren Text einfließen lässt. Dazu gesellt sich dann eine phantastische Handlung, die Märchenmotive aufgreift und diese in einen aktuellen Kontext setzt.

Was wäre, wenn die Gebrüder Grimm nicht nur die Überlieferungen gesammelt hätten, sondern diese auf tatsächliche Begebenheiten zurückgingen, da sich selbst deckende Tischchen, Siebenmeilenstiefel oder Wahrsagespiegel tatsächlich existieren würden? Dass die den Artefakten innewohnende Magie Begehrlichkeiten wecken würde, ist klar, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit den Gegenständen unabdingbar ist, ebenso.

Der Autorin gelingt hier der schwierige Spagat zwischen einer überzeugenden Zeichnung ihrer Personen in der Jetztzeit mit all den alterstypischen Problemen und den märchenhaft anmutenden phantastischen Sequenzen. Das hat, obwohl es keine lebensbedrohlichen Kämpfe zu bestehen gibt, Tempo und Spannung, verbindet diese mit liebgewonnenen Motiven aus dem Grimmschen Sagenschatz und fasziniert durch seine Geheimnisse. Endlich einmal also ein wenig leisere Töne, ohne dass deswegen auf Faszination verzichtet werden würde.

Die geheime Sammlung

Polly Shulman, Droemer-Knaur

Die geheime Sammlung

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