Die Traurigkeit der Zombies
- Festa
- Erschienen: Januar 2011
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Eine neue (nicht immer lebendige) Gemeinschaft
Zwölf Jahre ist es her, seit die Zombies die Menschheit überrannten. Die Zivilisation wurde zerstört, aber die Überlebenden haben sich neu organisiert. Wo sie in ausreichender Stärke zusammenfanden, konnten sie die hungrigen Untoten in Schach halten. Inzwischen beginnt man sie zurückzudrängen. Weite Landstriche sind ´zombiefrei´ und können landwirtschaftlich genutzt werden. Allmählich kehrt ein Alltag ohne ständige Lebensgefahr ein.
Eine der aufblühenden Kolonien liegt irgendwo im Mittelwesten der USA. Zu den Kindern, die nach der Katastrophe geboren wurden, gehört die zwölfjährige Zoey, deren Eltern von Zombies getötet wurden. Sie wächst ohne Sehnsucht nach einer Vergangenheit auf, die sie nie kennenlernte. Für Zoey ist die Gegenwart der Maßstab eines Lebens, in dem sie ihren Platz ohne dauerpanische Seitenblicke auf mögliche Zombie-Attacken findet.
Um die Untoten der Region kümmert sich Milton, ein ehemaliger Wissenschaftler, der trotz eines Zombiebisses nicht zum Wiedergänger wurde, sondern zwischen beiden Welten lebt. Die Untoten greifen ihn nicht an, sodass er sie in sorgfältig befestigte Lager führen und dort festsetzen kann: Milton steht auf dem Standpunkt, dass auch Zombies ein Recht auf ihre Existenz haben.
Aus Theorie wird Praxis, als der untote Schullehrer Wade Truman dem jungen Will, Miltons Gehilfen, zu erkennen gibt, dass ihm seine Intelligenz geblieben ist. Will ist fasziniert und lässt sich auf seinen Streifzügen von Truman und dessen ebenfalls ihrer selbst bewussten Gefährtin Lucy begleiten.
Eines Tages wird ein Außenposten der Kolonie von marodierenden Plünderern überfallen. Der Angriff kann nur knapp zurückgeschlagen werden. Die Kolonisten rüsten zum Widerstand, da sie zu Recht weitere Attacken fürchten. Aufmerksam beobachten Truman und Lucy das Geschehen. Sie begreifen nicht, wieso sich die Lebenden bekämpfen, während die Untoten friedlich zueinander sind. Als der Kampf zwischen den Lebenden offen ausbricht, müssen sie entscheiden, auf welche Seite sie sich schlagen werden ...
Mehr als bissige Kannibalen
Spätestens seit 1968 hat sich das Bild des Zombies auf wenige Kernelemente verdichtet. George A. Romero hat dies in "Night of the Dead" (dt. "Die Nacht der lebenden Toten") so genial gezeichnet, dass es quasi zur Definition wurde. Demnach ist der Untote eine stehend verrottende, von grässlichen Wunden entstellte und geistig auf die pure Gier auf Menschenfleisch beschränkte Kreatur.
Als solche passt er perfekt in das dramatische Gefüge eines Horrors, der sich nicht auf Andeutungen verlässt, sondern den Weg zu seiner Wirkung drastisch, hässlich und grausig in der ursprünglichen Bedeutung dieser Worte beschreitet. Unterstützung findet dies in einer Urangst des Menschen, der sich seit jeher ungern vorstellt, was wohl geschehen würde, könnten die Toten aus ihren Gräbern zurückkehren.
Auf der Strecke blieb in der Regel das mögliche Potenzial der Zombie-Figur, die auf brutalen Schrecken reduziert wurde. Dabei beschäftigte bereits Romero selbst 1985 in "Day of the Dead" (dt. "Zombie 2") die Frage, ob der Intelligenzverlust der Untoten tatsächlich kollektiv und vollständig war. Sehr richtig kam er zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall sein konnte: Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit muss es ´kluge´ Zombies geben.
Wie Romero mit dem untoten "Bub" belegte, erwuchs aus dieser Tatsache eine ganz neue Spannung. Sie ging einher mit moralischen Grundsatzfragen, die über das übliche Gemetzel zwischen Mensch und Zombie hinausgriffen. Wie steht es um das Existenzrecht von Untoten, die sich nicht als geistlose Feinde, sondern als verständigungsfähige und -willige Intelligenzwesen herausstellen?
Spannender Horror ohne Grusel-Spektakel
Kim Paffenroth ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Professor für Religionswissenschaften. Als solcher hat er sich auf das Leben und Werk des antiken Kirchenlehrers und Philosophen Augustinus (354-430) spezialisiert, der sich ausgiebig Gedanken über das Böse im Menschen machte. Als Autor orientiert sich Paffenroth außerdem an William Shakespeare und Hermann Melville, denen er (zu Recht) unterstellt, das Prinzip dieser Bosheit nicht nur begriffen zu haben, sondern es adäquat in Worte fassen zu können. ("Pale Gods", einen für 2013 angekündigten Roman, nennt Paffenroth ausdrücklich eine "Zombie-Version von Moby-Dick".)
Es lag für Paffenroth nahe, die in der Forschung erworbenen (moral-) theologischen Erkenntnisse in seine Romane einfließen zu lassen. Dies klingt leserfeindlicher als es in der Umsetzung ist: Weil der Autor über Talent und handwerkliches Geschick verfügt, ist es möglich, den Leser zum Nachdenken oder sogar Lernen zu verleiten, ohne ihn dadurch in die Flucht zu schlagen.
Der Grat, auf dem er dabei wandelt, bleibt allerdings schmal. Mit "Die Traurigkeit der Zombies" verdeutlicht Paffenroth, wie groß die Gefahr ist, ins Rutschen zu geraten. Der Hardcore-Horrorfan wird ohnehin unzufrieden sein. Zwar wird die eine oder andere Menschenkehle durchgebissen, während umgekehrt Zombieschädel platzen, doch dies geschieht eher nebenbei und wirkt oft wie eine lästige Pflichtübung. Faktisch geht es Paffenroth um neue und gleichzeitig uralte Fragen: Wie funktioniert menschliches Zusammenleben? Gibt es eine ´ideale´ Gesellschaft? Ist ein Neubeginn unter Vermeidung bekannter Fehler möglich?
Modelle menschlicher Koexistenz
Paffenroth postuliert eine postapokalyptische Zukunft, die nicht durch Hunger, Kälte oder die ständige Bedrohung durch Zombies gekennzeichnet ist. Die Welt hat sich verändert, doch sie ist keineswegs untergegangen. Auch die verloren geglaubte menschliche Zivilisation hat sich gefangen. Sie mag ungleich bescheidener als früher sein. Andererseits ist Zoeys Kolonie längst nicht mehr die neo-steinzeitliche Horde permanent nervöser Jäger und Sammler, die wir im ersten Band der "Dying-to-Live"-Serie kennenlernten.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Zombie-Geschichten bläst Paffenroth auch nicht zum totalen Krieg gegen die Untoten. Nachdem sie durch die pure Wucht ihrer Heerscharen und den Überraschungseffekt die Menschen zunächst zu vernichten oder in die Flucht zu treiben drohten, hat sich dieser Impetus gelegt: Die Zombies waren nie darauf aus, die Weltherrschaft zu übernehmen; sie sind dazu ohnehin außerstande. Als die Menschen dies begriffen, konzentrierten sie sich darauf, sich der Untoten zu erwehren, statt Zeit und Ressourcen in einen sinnlosen Vernichtungsfeldzug zu investieren.
Der Mensch kann lernen, so Paffenroth. Er ist nicht so naiv, die Kolonie als neues Utopia frei von Problemen und Konflikten zu zeichnen. Dennoch spielt er ein vielversprechendes Gesellschaftsmodell durch. Später konfrontiert er es mit der ´klassischen´ Mad-Mad-Rotte tötender, vergewaltigender, zerstörender und letztlich unbelehrbarer Überlebender. Sie stellen nach Paffenroth eine Sackgasse der sozialen Entwicklung dar. Vorsichtige Zusammenarbeit ist höchstens mit der hierarchisch strukturierten "River Nation" möglich. Auch hier steht am Anfang der Konflikt, der sich aber durch Verhandlungen lösen lässt.
Ein Dreieck mit unerwarteter Basis
Legt man die Maßstäbe des Horror-Genres streng an, bietet "Die Traurigkeit der Zombies" höchstens eine (in Details zugegeben ungewöhnliche) Coming-of-Age-Geschichte. Erzählt wird sie einerseits von der zwölfjährigen Zoey, die ihren Platz in der Kolonie zu finden versucht, während sie gleichzeitig mit pubertätsbedingten Verwirrungen zu kämpfen hat. Die Handlung springt kapitelweise zu den Aufzeichnungen des auf seine Weise ebenfalls ´heranwachsenden´ Zombies Truman, der zwar nicht mehr sprechen aber eine Schreibmaschine bedienen kann.
Auf diese Weise lernt man die zukünftige Gegenwart in doppelter Sicht kennen. Interessanter ist natürlich Trumans Weg, der ihn nicht zurück in die überlebte Menschlichkeit führen wird. Stattdessen entwickelt sich Truman zu einer neuen, charakterlich eigenständigen Person. Ein reduzierter Verstand begrenzt seinen Wortschatz, weshalb er in einfachen aber klaren Worten ausdrücken muss, was ihn bewegt. Interessanterweise gilt dies ähnlich für Zoey. Paffenroths Schlussfolgerung ist klar: Die neue Welt gehört den Kindern, die sich in ihr zuhause fühlen, und den Zombies. Nur sie sind frei von den Erinnerungen an eine schmerzlich vermisste sowie von Fehlern geprägte Vergangenheit. Damit verbüßen eigentlich die älteren Mitglieder der Kolonie als Gefangene ihrer Erinnerungen die "life sentence" - die lebenslange Haft - des Originaltitels. Sie werden aussterben und den Weg frei für eine (hoffentlich) bessere Zukunft machen.
Dies ist Paffenroths Botschaft, die ihm nur manchmal allzu didaktisch aus der Feder fließt. Ein finaler Ausblick belegt tatsächliche bessere Zeiten. Damit wäre die "Dying-to-Live"-Geschichte im Grunde erzählt. Doch Paffenroth kehrte 2011 in die von ihm geschaffene Welt zurück. Er ließ Will, seine neue Gefährtin sowie die Zombies Truman und Lucy durch die USA streifen und andere Regionen und Lebensmodelle kennenlernen. Es wäre interessant, ihnen dabei zu folgen. Freilich ist fraglich, ob Paffenroths ´intellektueller´ Grusel sich im Meer des zumindest hierzulande aktuell favorisierten Blutmatsch-Horrors behaupten kann.
(Dr. Michael Drewniok, Januar 2013)
Kim Paffenroth, Festa
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