Der Kuss des Engels
- Piper
- Erschienen: Januar 2010
- 1
Für Parisliebhaber und Romantiker
Nach der Beerdigung ihres Verlobten flüchtet Sophie nach Paris. Sie mietet sich ein Zimmer bei einer alten Dame, nimmt tagsüber an einem Fremdsprachenkurs teil und versucht mit ihrer Trauer fertig zu werden. Aber die Ablenkung gelingt nicht, zu vieles erinnert in der Stadt der Lichter an ihren ermordeten Verlobten Rafael (Rafe). Die Verzweiflung treibt sie eines Abends über das Geländer einer Seine-Brücke. Im letzten Moment, bevor sie springen will, erblickt sie auf einem Schiff einen Mann, der genau wie Rafael aussieht. Aufkeimende Hoffnung lässt ihr keine Ruhe und sie begibt sich auf die Suche. Während ihrer nächtlichen Detektivarbeit bewahrt ein anderer Fremder namens Jean sie davor, eine gefährliche Dummheit zu begehen. Wider aller Logik und trotz Jeans Warnungen, sich auf keinen Fall mit dem Mann mit Rafaels Aussehen einzulassen, trifft sie sich mit ihm. Die bis dahin realistische Handlung gleitet ins Fantastische, denn der Fremde entpuppt sich als gefallener Engel.
Das Flair einer Stadt
Der Einstieg in das Buch fällt leicht, denn es beginnt mit spannenden Szenen. Die Sprache ist sehr ansprechend und die Autorin zeichnet Paris in stilistisch so kraftvollen und lebendigen Bildern, dass man sich sofort hineinversetzt fühlt in die Straßen, die Cafes und Plätze dieser Metropole. Nach der Lektüre verspürte ich sofort Lust, einen kurzen Parisurlaub einzuschieben.
Dieser starke Einstieg verliert allerdings bald an Schwung und die Handlung kommt im Mittelteil nur langsam voran. Durch die anfangs ausschließlich gewählte Innenperspektive von Sophie nimmt der Leser intensiv an ihrem Gefühlsleben teil, für Anhänger von Schlag auf Schlag Action ist das sicher ein dickes Manko. Sophie zweifelt, ist ängstlich, weint ständig und es fällt ihr schwer, aus ihrer Trauer herauszukommen. Ihre heile Welt ist durch die Ermordung Rafes zusammengebrochen, alle ihre Zukunftspläne sind vernichtet. Ihr Parisaufenthalt sollte ihr helfen, aus diesem tiefen Loch herauszufinden. Das geschieht natürlich auf eine gänzlich andere Art als gedacht. Die Ereignisse der Handlung sind nicht besonders überraschend und einige Ideen und Nebenfiguren wirken leicht aufgesetzt.
Aber das alles wird sprachlich so gekonnt und atmosphärisch dicht erzählt, dass ich mich an keiner Stelle gelangweilt fühlte und ich hatte den Stoff innerhalb kürzester Zeit gelesen. Aufgebrochen werden die Ereignisse durch den Perspektivenwechsel auf Jean. Er ist ein geheimnisumwitterter Mann, der durch seine vielschichtige Persönlichkeit fesselt. Die Auseinandersetzung mit ihm, die Diskussionen und die Exkurse in theologische Grundsatzfragen sind interessant. Besonders der Ansatz, dass die gefallenen Engel keine Möglichkeit haben, etwas Gutes zu tun, sondern von Gott dazu verdammt sind, als reine Instrumente des Bösen zu dienen, gefällt mir gut. Natürlich werden solche Fragen nur angerissen, eine tiefer gehende Betrachtung würde die meisten Leser eines solchen Romans abschrecken und passt auch nicht zu dem Genre. Das rasante Ende erscheint im Verhältnis zum breiten Mittelteil gedrängt und lässt leider noch etliche Punkte offen.
Wer braucht einen Prinzen auf einem weißen Pferd?
Meine Hauptkritik richtet sich gegen die Hauptprotagonistin selbst und den klassischen Plot, Frau muss sich von starken Männern retten lassen. Letzteres ist natürlich von vielen Leserinnen genau so gewünscht, aber das kann man als Autor auch anders ausgestalten. Sophie ist der größte Schwachpunkt der ganzen Geschichte, sie ist mir als Heldin zu bieder und brav. Höflich, nett, ängstlich darauf bedacht, nicht anzuecken, fleißige Schülerin, brave Tochter, wohlbehütet, ein durch und durch an die Gesellschaft angepasstes Mädchen, die nicht aufbegehrt. Sie glaubt zwar nicht an Gott, aber sie rennt sofort zu einem Priester und ist gewillt, ihm zu glauben, weil er angeblich Fachmann ist. Auf die Idee, Autoritäten in Frage zu stellen, kommt sie nicht. Das nervt, da hätte ich eine Entwicklung erwartet.
Sophie ist hübsch genug, um die Aufmerksamkeit von Männern auf sich zu ziehen, aber sie fühlt sich in Gegenwart von attraktiven, selbstbewussten Frauen sofort eingeschüchtert. Ihr Verlobter dagegen ist ihr Prinz auf dem weißen Pferd. Der gefallene Engel Gadreel wirkt auf mich viel sympathischer als dieser Überheld und Gut-Mensch Rafe, den Sophie auf einen viel zu hohen Sockel hebt.
Natürlich könnte man argumentieren, Verstorbene werden immer verklärt gesehen, die negativen Eigenschaften werden verdrängt. Am ärgerlichsten empfinde ich, dass Sophie das klischeehafte Mädchen ist, das die Rettung von einem Mann erwartet und Opferung als einzige aktive Möglichkeit für eine Frau ansieht.
Meine Hoffnung ist, dass es eine Fortsetzung geben wird, in der genau diese fehlende Entwicklung der Hauptprotagonistin vollzogen wird, und die offenen Punkte bieten genug Ansätze dafür. Denn trotz der Kritik habe ich den Roman gerne gelesen.
Sarah Lukas, Piper
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