Schlechtes Gras und Retorten-Zombies
Wer kennt nicht das geflügelte Wort von der Gefahr des Wünschens? Die liegt nämlich darin, dass Wünsche in Erfüllung gehen können. So erging es mir mit Fast tot, dem Debüt Ralph Haselbergers. Seines Zeichens Angehöriger eines drolligen Literatenzirkels namens "Die Apokalyptischen Schreiber", in dem er unter dem Alias "Tod" logiert. Gruselig gemeint. Genau wie sein Buch.
Als Rezensionsexemplar gewünscht, reagierte der Verlag freundlich und schnell und schickte das Buch alsbald dem geneigten Rezensenten. Also mir. Unglücklicherweise hatte ich übersehen, dass die "Geschichte von Toten, die die Lebenden fressen" 421 Seiten lang ist. Viele Seiten, in denen die Schriftgröße - bis auf den verhunzten Anfang - gleich bleibt, sich Massen von schwarzen Buchstaben auf feinem, weißen Papier zu Worten vervollständigen, zu ganzen Sätzen gar, um am Ende "eine der blutigsten Roadstories" zu ergeben, "die man sich nur vorstellen kann". Schon da irrt der Autor fürchterlich. Ich z.B. kann mir weit mehr vorstellen, als eine abgeschmackte Verbalisierung längst gesehener Bilder. Doch gemach - zunächst gibt es einen kurzen Einblick ins Gekröse.
In diesem unserem Lande sind die Zombies los. Nichts neues, wird der aufmerksame Beobachter am Rande der westlichen Zivilisation mutmaßen - und hat vermutlich recht. Aber unsere lebenden Toten sind ein paar der besonders verfressenen Sorte. Sie mampfen sich quer durch die Republik, und nur wenige Horte des Widerstands bleiben weitgehend zombiefrei. Eines dieser wackeren Dörfer, die sich dank Bundeswehr und eilig einberufener Zivilgarde halten können, ist Marburg. Hier hausen unsere Hauptfiguren: Felix, getrennt von Frau und Kind, Fluchtplanung betreibend und eindringlich okkupiert von der leicht psychopathischen Nymphomanin Veronika, die Felix fatalerweise für die Liebe ihres Lebens hält. Dazu gesellen sich die Freunde Maik und Gregor, denen der Genuss illegaler Betäubungsmittel wichtiger ist, als die Auseinandersetzung mit der zunehmenden Zombiefizierung Deutschlands (und dem Rest der Welt?). Maik ist der zivil couragierte Fleischklops von nebenan, Gregor der depperte Jammerlappen, der mitunter versehentlich Leute erschießt, die überhaupt nicht fast tot waren. Weiter finden sich ein: eine Hand voll Wissenschaftler, die gar schreckliche Dinge erforschen, und herum experimentieren bis Hippokrates die Schwarte endgültig kracht. Fanatiker jedweder Couleur, unter denen sich, wie sollte es anders sein, die Religiösen besonders hervortun.
Widrige Umstände und brennende Sehnsüchte führen dazu, dass unsere Viererbande Marburg verlässt, um anderswo ihr Heil zu suchen. Getreu dem Motto "etwas besseres als den Untot finden wir überall". Leider ist sich das Quartett zwischenmenschlich nicht ganz grün. Animositäten und unerwiderte Liebe ergeben manch argen Konflikt. Dass die Reise nach Gießen führt, statt in den nächst gelegenen Coffeeshop, heitert die Stimmung ebenfalls nicht gerade auf. Wen wundert's?
Doch zwischen verstreutem Dope, radikalen Predigern, Beinaheamputationen, der Zusammenführung einer Kleinfamilie und einer Flut von ramponierten Zombies, humpelt "Fast tot" bedröhnt seinem Ende entgegen und macht der eigenen Titelgebung alle Ehre.
Im Prinzip kann man diese Kritik auf zwei Sätze beschränken. Hier hat offensichtlich jemand versucht, seinen filmischen Vorlieben ein Denkmal zu setzen. Flugs wurde George Romeros "Land Of The Dead" mit der mäßig unterhaltsamen Kifferkomödie "Lammböck" gekreuzt.
Rausgekommen ist zwar kein komplett ungenießbares Kraut, aber auch nichts, das mehr Spuren hinterlässt, als ein Haufen schlecht geschminkter Statisten in einer minder budgetierten George A. Romero-und-die-Folgen-Kopie. Die Beschränkung auf "Land Of the Dead" ist möglicherweise ein bisschen ungerecht, denn Haselberger hat so ziemlich alles verwurstet, was an aktuellen und älteren Zombiefilmen über die Leinwände und Bildschirme dieser Welt flimmerte. Größter Ratgeber war jedoch die "Dead"-Reihe Romeros, gemixt mit ein bisschen "Resident Evil". Zwar existiert keine "Umbrella Corporation", aber Fingerzeige in die ungefähre Richtung böser und gewissenloser Wissenschaft, lassen den Schluss zu, dass irgendwelche misslungenen Experimente für das vermehrte Auftreten von Zombies verantwortlich sind.
Wirklich wichtig ist das nicht, denn von kleinen Episoden abgesehen, die in unterirdischen Laboren spielen, stehen die vier Protagonisten (Felix, Maik, Gregor und Veronika - obwohl der Klappentext behauptet: Veronica) und im späteren Verlauf Dr. Rüttgers, samt seiner seltsamen Sekte, im Mittelpunkt.
Doch bleiben die Charaktere blasse Funktionsträger, deren Handlungen und Beziehungen kaum nachvollziehbar gestaltet sind. Die Passagen, in denen Gregor und Maik sich um ihren Marihuananachschub und dessen Verbrennung kümmern, bersten über von pubertärer Euphorie. Das kann man nur belustigt oder mit dezentem Entsetzen hinnehmen. Dass dies in einer sprachlichen Trostlosigkeit geschildert wird, die geradezu zum eiligen und flüchtigen Weiterblättern auffordert, auch.
Obwohl insgesamt marginal lesbarer, als diverse Versuche anderer schreibender Dilettanten, bzw. dilettierender Schreiber, die sich auf der Couch finden lassen, leidet Fast tot unübersehbar an der eigenen sprachlichen Unzulänglichkeit. Das Grauen des apokalyptischen Szenarios, das der Roman so gerne entwerfen möchte, wird nicht einmal ansatzweise erfasst, geschweige denn begriffen.
So begegnen wir gleich auf der ersten Seite einem gepeinigten Mann, dessen Leben äußerst schmerzhaft zu enden droht. Das lautet dann so: "Eine Gestalt zappelte unbeholfen inmitten der mit scharfen Spitzen bestückten Drahtrollen." Gehen wir zur Verteidigung des Autor davon aus, dass er den gemeinen Natodraht nicht kennt, der Kasernen, Schwimmbäder und ähnlich schützenswerte Einrichtungen vor Eindringlingen bewahren soll. Der hat nämlich keine Spitzen, sondern scharfkantige Schneiden mit Widerhaken, die sich um so tiefer ins Fleisch bohren, je heftiger man zu entkommen versucht. Ziemlich eklige Sache, dies.
Im nächsten Satz sind aus den "Spitzen" dann doch "Haken" geworden, was das Opfer derselben - offensichtlich Sado-Maso-Fan - derart freut, dass "nur noch ein Arm in der Luft wedelte". Kennt man von Hunden: bei unerträglichen Schmerzen wedeln die auch mit dem Schwanz. So irrt der Autor hilflos durch die Nacht, treibt seine "Helden" vor sich her, bis es am Ende so ausgeht, wie man es von Beginn an erwartet hat.
Leidlich spannend wird es auf den letzten 150 Seiten, als unser quirliges Quartett auf Dr. Rüttgers rüde und geschmacksunsichere Sekte trifft. Aber auch hier kommen weder aufsehenerregende Entwicklungen, geschweige denn Überraschungen ans Tageslicht.
Einzig erstaunlich ist die mögliche Lösung, die Haselberger, bzw. seinen Forschern, für das Zombieproblem vorschwebt. Ohne zuviel zu verraten: es soll die Pest mit Cholera ausgetrieben werden. Anstatt sich mit der, zugegeben eigenwilligen, Idee komplett dem Wahnwitz zu ergeben, der Fast tot sowieso schon von der ersten Seite an fest im Griff hat, bleibt die viel zu lange Geschichte die klägliche Vision eines begeisterten Zombiologen, dessen umtriebige Gedankenwelt vor dem Verdauungstrakt der Zombies noch lange nicht halt macht. Wer wollte nicht schon immer wissen, wie und ob Zombies ihre Nahrung wohl verwerten, wenn keines ihrer Organe mehr arbeitet, oder im schlimmeren Fall gar nicht vorhanden ist. Vermutlich ergeht es den lebenden Toten mit ihren blutigen Schnitzeln, wie dem Leser mit Fast tot: Man kann es herunterwürgen, aber es bleibt unverdaulich liegen. Da helfen weder probiotischer Joghurt, noch die mehrfach erwähnten und unverwüstlichen Motörhead zur Anregung.
Lieber zu einem der zahlreichen filmischen Vertreter greifen, die es mittlerweile massenhaft und oft ungeschnitten auf DVD gibt. Von Lucio Fulcis "Woodoo - Screckensinsel der Zombies" am oberen Spektrum bis Joe D'Amatos Zombie-Porno "In der Gewalt der Zombies" und unzählbaren Amateurgurken á la "Zombie 90 - Extreme Pestilence" wird ein ähnliches Maß an Unbedarftheit, Absurdität, Langeweile und hausgemachter blutiger Effekte geboten wie im literarischen Nachzügler Fast tot. Der Riesenvorteil: die Filmchen sind meist nach 80 Minuten ausgestanden.
PS.: "Wieso, gibt es da noch was anderes?" fragte ein Kollege, dem ich erzählte, ich läse ein Buch über Zombies in Marburg. Davon distanziere ich mich. Fast tot spielt auch in Gießen.
Deine Meinung zu »Fast tot«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!